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Sieben Darsteller, sieben Stühle (Bühne & Kostüm: Charles Koroly), spartanische Bewegungsabläufe, hohe Konzentration auf das Wort. Mit wenig Emotionen, mit Kälte, wie mathematische Musik, soll das Stück vorgeführt werden, und die Zuschauer sollen Stellung nehmen müssen. Dabei klar bleiben. Wie bei Brecht. Sagt Norén. Die sieben Personen scheinen durchweg Abspaltungen des Autors, Sprachrohre seiner Gedanken, seiner Not zu sein. Arrogante Arschlöcher, Frauen, die das Vergessen dem Spiegelbild ihres Lebens vorziehen, verbale Tötungen, irrwitzige Ehekriege. Die Asche der Beziehungen wird verstreut, über die anderen, über sich selbst. Ohne Gnade werden die Figuren demontiert. Existenzfragen werden diskutiert bis zum bitteren Ende. Unvermittelt singt die Callas. Die Klarheit ihrer seelenvollen Stimme führt alles Gesagte ad absurdum. Das Ensemble hat eine Homogenität erreicht, die nicht oft anzutreffen ist auf unseren Bühnen. Daran beteiligt sind Katrin Klein, Bernd Stempel, Barbara Schnitzler, Michael Schweighöfer, Isabel Schosnig, Peter Pagel. Eine besondere Verneigung vor Robert Gallinowski. * Im Gorki-Theater ist "Edmund Kean" auferstanden, ruhmreicher Shakespeare-Darsteller des 18./19. Jahrhunderts, gespielt von Götz Schubert, inszeniert von Peter Dehler. Die Zwei sind ein bewährtes Team seit "Helden wie wir" (nach dem Roman von Thomas Brussig). Schubert spielte hervorragend Klaus Uhltzscht, einen Stasimann, der mit seinem Schwanz die Mauer zu Fall brachte (naja). Nun also den Kean in dem Stück von Raymund Fitzsimons. Ein lila Vorhang. Um eine schwarze Skelett-Schneiderpuppe ein samtroter Königsmantel. Holzköpfe, Schminktisch, Schwert und güldene Krone. Dazu vier Bretter, die die Welt bedeuten, als Kreuz verlegt, der Mime Kean an/auf sie genagelt wie einstens Christus. Im ersten Teil des Abends erleben wir den armen Kean, wie er sich nach angemessenen Aufgaben verzehrt. Er muß in der Provinz herumziehen, hungernd, noch mehr sich verzehrend nach London und dem Drury Lane Theater. Shakespeare heißt sein Traum. Othello, Hamlet, Shylock, Lear und immer wieder Hamlet. Im zweiten Teil ist es geschafft. Kean ist König der Theaterlandschaft seiner Zeit. Nicht glücklich. Aber: besessen, maßlos, saufend, hurend, ein Extremist, begnadet mit Genie, gehetzt von Zwangsvorstellungen und Größenwahn. Wie gesagt: Schubert war köstlich als Uhltzsch, hinreißend als Riccaut in Lessings "Minna", und seiner Inszenierung von Strindbergs "Fräulein Julie" gebührte uneingeschränkt Applaus. Wie würde er nun Kean spielen, den Furiosen, Wahnhaften, pathologisch von seinen Rollen Besessenen, den theaterfeuerspeienden Drachen? Ich war gespannt. Und überzeugt, es würde ein begeisternder Abend. Aber das Ereignis stellt sich nicht ein. Peter Dehler hat zwar eine sinnreiche, poetische Inszenierung auf die Bühne gebracht, doch Götz Schubert bleibt uns den Theatergiganten schuldig. Er führt Emotionen vor wie aus dem Lehrbuch, ist intelligent, perfekt, er deklamiert, schreit, tobt, spuckt, wütet und - die Pfeile fallen zu Boden, bevor sie ihr Ziel erreichen. Alles ist richtig, aber es fehlt die Hölle, die Zerrissenheit, die Apokalypse. Sie müßte aus ihm brennen. Tut es nicht. Nicht an diesem Abend. Ich wünsche ihm andere Abende, an denen es gelingt. * "Murx den Europäer! Murx ihn! Murx ihn! Murx ihn! Murx ihn ab" von Christoph Marthaler hatte am 16. Januar 1993 an der Volksbühne Premiere. Ich sehe die Aufführung neun Jahre später. Das Ensemble singt, spielt, agiert taufrisch. Nichts ist verwischt, die Akteure arbeiten präzise wie ein Schweizer Uhrwerk. Das erzählt auch vom Spaß, den sie an ihrer Arbeit haben. Der sich offenkundig überträgt. Siehe die lange Laufzeit. Die Bühne (Anna Viebrock): ein hoher Raum mit verschrammtem Fußboden und Holzwänden, im Hintergrund eine große Uhr, stillstehend, daneben der Spruch "Damit die Zeit nicht stehenbleibt". Links und rechts im Vordergrund ein Stück uralter Fabrikanlage, schmelzofenartig, bullerndes Feuer im Inneren. Gemöbelt ist das Ganze mit diesen unsäglichen Sprelacart-Tischen und -Stühlen wie weiland DDR-Kantine. Grelle Neonröhren beleuchten das kuschlige Ambiente, ein Klavier verweist auf das Kulturvolle im Volk. Acht Darsteller, zwei Musiker sind auf der Szene, verlassen sie erst nach einhundertfünfzig Minuten! Es wird gesummt, gesungen (solo, im Terzett und im Chor), wunderschön musiziert, Witze werden gerissen, Wirtinnenverse deklamiert, man ohrfeigt und bepinkelt sich, onaniert, ißt, läuft Rollschuh, dreht Pirouetten, Liedgut der Arbeiterklasse wird intoniert, die Gruppe läßt sich zum Vortrag von Führerhymnen verführen, sehnsuchtsvoll werden die Fidschi-Inseln und Paris besungen, kurz: das ganze Repertoire echter und falscher Gefühle wird kolportiert, und vor uns entsteht das Volk, der "patriotische Abend", wie auf dem Programmzettel versprochen. Das ist dicht und stilsicher gemacht, aber um eine lange Stunde zu lang. Mir ergeht es wie einstmals Alfred Kerr, der da sagte: "Als ich um 8 Uhr ins Theater ging und nach Mitternacht auf die Uhr sah, war es 1/2 9." Gegen meine Meinung stehen neun Jahre ausverkaufte Vorstellungen und eine begeisterte Gemeinde, die nicht müde wird, Kult zu treiben mit dem Volksbühnenprogramm à la Castorf, Marthaler, Schlingensief und Kresnick. Vor allem aber feiern sie sich selbst, die im Zuschauerraum. Stets fühle ich mich unter ihnen, als wohnte ich dem Treffen einer Sekte bei, nicht unsympathisch, aber fremd. * Lessings "Nathan der Weise" hatte Premiere im Berliner Ensemble. Eine gute Aufführung. Heiter auch. Zu meiner Erheiterung trug der Intendant des Hauses und Regisseur des Abends insbesondere bei. Der schöne Saal, besetzt bis auf den letzten Platz, summte in Erwartung des Ereignisses, die Lichter waren bereits eingezogen, da wedelte der Samtvorhang neben mir, und Claus Peymann lugte herein, beäugte sein Publikum. "Wir sind alle da", sagte ich, er sah zu mir, sein Gesicht strahlte wie ein Kind in Erwartung des Weihnachtsmannes. Ein heftiger Akkord, die dunkle, leere Bühne wird vom Licht aufgerissen (Bühne, Licht: Achim Freyer), Recha spielt Hopse, im Hintergrund flammt blutrot ein Kreuz aus der Finsternis. Schrumm! dröhnt es wieder. Black out. Das wirkt. Daja (Carmen-Maja Antoni) und Nathan (Peter Fitz) eröffnen das Stück. Unsicher, zäh hebt das an zwischen den beiden, will nicht werden. Auftritt Recha (Anna Böger). Erneute Verunsicherung. Recha Böger ist von ungewöhnlich großer Statur, so ungeschickt angezogen, daß es einen graust, die Frisur eine Verhunzung, die ganze Person eine Kaschperlpuppe. Doch siehe da! Sie spielt und lacht, redet, weint, läßt allen heftigen Gefühlen eines jungen Mädchens ihren Lauf, mit ihrer lauteren Munterkeit löst sie alles, alles auf, man ist im Handumdrehen eingenommen für das liebe Wesen Recha, die bemerkenswerte Darstellerin Böger. Ein Damenrad rollt klingelnd auf die Bühne, der Derwisch (Veit Schubert) knallt auf und in die Szene. Zum langen weißen Rock trägt er den Frack mit bunten Hosenträgern obenauf und rotgeschminkte Ohren (Kostüme: Maria-Elena Amos). Ein Clown, eine gute Haut, ein Freund, Schlitzohr und noch viel mehr. Spätestens jetzt hat man's kapiert, Lessings "Dramatisches Gedicht", sein bewegendes, lichtes, tiefgründiges Nachdenken übers Menschsein kommt hier nicht auf hohem Kothurn einher, sondern wird erweitert bis zum Clownsspiel - ohne daß der Tiefgang vergessen wäre. Die erste Szene mit dem Klosterbruder (Martin Seifert) bestätigt die Vermutung. Heiter, witzig, mit feinem Hintersinn holt Seifert aus dem Tempelherren (Markus Meyer), was er wissen muß. Stilistisch krönt diesen Zugriff auf das Stück die Darstellung von Hans Peter Korff. Sein Saladin stammt direkt vom englischen Kollegen Alec Guinness, befördert Gewinn und Amüsement mit jedem seiner Auftritte. Ihm ebenbürtig Schwester Sittah (Ursula Höpfner, deren Rollen stets wie getanzt auf den Betrachter kommen, als suchte sie in jeder Figur die eine Melodie, die eben jene bewegt und treibt; ihr zuzuschauen, ist ein besonderer Genuß). Nie zuvor sah ich das Schachspiel zwischen Saladin und Sittah so unterhaltsam, elegant und witzig aufgeführt wie hier. Sparsamste Mittel, pralle Phantasie, gelungene Choreographie. Und endlich, endlich wird wieder einmal gesprochen, wie es der Zunft geziemt! Die menschenfreundliche, metaphernreiche, leiderfahrene, weise Wortkunst Lessings, seine Botschaft kann so zu ungeteilter Erfahrung werden. Muselmann, Christ, Jude - wer ist im Besitz der Wahrheit, wer hat das wahre Gesetz, den wahren Gott? Nathans Antwort ist auch für uns gemacht. Seine Lebensklugheit immer noch blanke Theorie, heute mehr denn je. Doch der Nathan Peter Fitz´ bleibt in der Schuld des lessingschen Auftrags. Große Gefühle stellt er dar, führt sie vor, er bekennt sie nicht. Er zahlt, wie Eulenspiegel, nur mit dem Klang der Münze, nicht mit der Münze selbst. Da bleibt eine Rechnung offen. Ende und Vorhang. Unerwartet tritt die Antoni in Kostüm und Maske Lessings vor den Vorhang, zitiert Heiner Müllers "Lessings Schlaf Traum Schrei", der die Agonie eines Dichters angesichts seiner Zeit beschreibt. Trostlose, ergreifende Worte. Zwei Dichter, ein Gedanke: "Die Geschichte reitet auf toten Gäulen ins Ziel". Auch Thomas Brasch ist anwesend. Der Applaus an diesem Abend entwickelte sich. Von verhaltener Zustimmung zu einem Fluß mit guter Strömung und kleinen Stromschnellen. Der Auftritt Peymanns, heiter wie Saladin, von sich selbst (sympathisch) begeistert durchglüht, bewirkte Applaus-Katarakte mittlerer Größe.
Erschienen in Ossietzky 2/2002 |
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