Zur normalen Fassung

Der folgende Beitrag wurde vor der seit Mitte Dezember in Argentinien anhaltenden Revolte verfaßt, dennoch hat er nichts von seiner Aktualität verloren. Vielmehr beschreibt er die politisch- ökonomischen Grundlagen der argentinischen Krise und trägt zum Verständnis der gegenwärtigen Situation bei.
Informationen zur aktuellen Lage sind am besten unter indymedia.de, bzw. argentina.indymedia zu erhalten.



Kreative Wege in die Pleite

Währungspolitik in Argentinien

von Iris Tinsel


Anfang 90er Jahre litt Argentinien unter einer Hyperinflation, deren jährliche Rate bis zu 5000% betrug. Um den Verfall der Währung zu stoppen, wurde im April 1991 auf Betreiben von Wirtschaftsminister Cavallo das "Konvertibilitätsgesetz" verabschiedet. Es schreibt verfassungsrechtlich die Parität von Peso und US-Dollar fest. Um den festen Wechselkurs von eins zu eins in die Praxis umzusetzen, wurde ein Currency-Board-System (Wechselkursregime) eingeführt. Dieses hat dafür zu sorgen, daß die Menge an Pesos, die sich im Umlauf befindet, von der Zentralbank zu 100% mit der Ankerwährung abgesichert wird.

Der neu eingeführte Euro-Dollar-Peso beruht auf Rechenakrobatik

Die Zentralbank darf dabei nicht aktiv in die Geldpolitik eingreifen: Nach der neoliberalen Logik sollen Angebot und Nachfrage das Verhältnis von eigenem Geld und Devisen ins Gleichgewicht bringen. Das Currency Board setzt freien Kapitalfluß, die Flexibilisierung der Preise und den Abbau von Handelshemmnissen voraus. Da die Devisenreserven gering sind und nur bis zu maximal 30% aus Schuldtiteln bestehen dürfen, ist die im Umlauf befindliche Geldmenge knapp. Kommt es zu Kapitalzuflüssen, vergrößert sich das Geldangebot. Werden Devisen verkauft, kommt es zu einer sinkenden Geldmenge, das heißt zu einer sinkenden Inflationsrate bis hin zur Deflation sowie zu steigenden Zinsen und niedrigeren Investitionen, Konsumausgaben und Importen.

Zwar wurde die Hyperinflation durch das Currency-Board erfolgreich bekämpft und Argentinien galt dem IWF als Musterland, aber mit der Dollarkonvertibilität waren auch hohe Kosten verbunden, die mitverantwortlich für die heutige Krise sind: Wegen der Abhängigkeit des Peso vom überaus hohen US-amerikanischen Leitzins kam es gezwungenermaßen zu seiner Überbewertung und damit zu überhöhten Exportpreisen, zu Preissteigerungen v.a. in der Anfangsphase (Argentinien zählt zu einem der teuersten Länder), Steuereinbußen sowie zu einem Haushalts- und Handelsbilanzdefizit. Die Umschreibung der bestehenden Schulden in Dollar, die notwendige Beschaffung von Devisenreserven und die Finanzierung des Haushaltsdefizites (dieses kann aufgrund der Bestimmungen des Currency-Bords nicht über die Devisenreserven finanziert werden) verursachte eine enorme Erhöhung der Staatsverschuldung.

Argentinien kam seit Dezember 2000 in eine immer schärfere Zahlungsnot. Im April 2001 legte der 'neue alte' Wirtschaftsminister Cavallo (diesmal nicht als Mitglied einer peronistischen, sondern einer sozialdemokratischen Regierung) einen neuen Plan vor. Die "erweiterte Konvertibilität" sollte die einst 'heilig' gesprochene - nun jedoch von einigen Wirtschaftsexperten als obsolet bewertete - Dollaranbindung etwas lockern. Mittel zum Zweck war der Euro. Ein gemeinsamer Währungskorb, in dem sich Dollar und Euro zu gleichen Teilen befinden, sollte die Devisenreserven der argentinischen Zentralbank bilden, wenn der Euro den gleichen Wert wie der US-Dollar erreicht habe. Diese Bedingung war jedoch aufgrund der Talfahrt des Euros nicht zu erfüllen. Zur gleichen Zeit verloren die argentinischen Exportgüter wegen der stetigen Abwertung des brasilianischen Real an Konkurrenzfähigkeit. Kurzum machte man aus der Not eine Tugend und splittete die Währung in einen "Normal"- und einen "Außenhandelspeso".

Lange Zeit galt Argentinien dem IWF als währungspolitisches Musterland.

In der Praxis wurden ab Juni 2001 alle Außenhandelsgeschäfte (außer Finanzen und Brennstoffe) mit einem "Spezial-Dollar" gehandelt, dessen Wert sich aus dem Mittelwert von Euro und Peso errechnete und beim damaligen Kurs 8% unter dem Normalpeso lag. Die Exporteure konnten so preisgünstiger und mehr exportieren. Die Importeure mußten jedoch für die bezogenen Waren 8% mehr bezahlen. Einen 'Ausgleich' schaffte die Regierung, indem sie die Subventionen, mit denen bisher die Exporte unterstützt wurden, um 8% kürzte und die Zollgebühren für Importe von 35% auf 27% senkte. Ein cleverer Plan, so dachte man, denn über 'kreative' Berechnungen verschiedener Einsparungen sollte die Regierung bis zu 600 Mio. Dollar jährlich für sich verbuchen können.

Über die versteckte Abwertung des Peso sollte also das Haushaltsdefizit finanziert, ein steigender Außenhandel und die Produktionssteigerung der nationalen Industrie erreicht werden, was wiederum die Zahlungsfähigkeit der Regierung sichern sollte. Und nicht zuletzt hoffte man, daß auf diesem Weg der Erhalt der nationalen Währung garantiert werden könne. Denn der Peso soll nicht nur einen Rest von nationaler Souveränität gegenüber dem IWF und den USA behaupten, sondern bringt der argentinischen Regierung durch die Seigniorage (Zinsgewinn der Zentralbank auf Grund ihres Banknotenmonopols) auch jährliche Einnahmen von 1 Mrd. Dollar.

Allerdings ging die Rechenakrobatik, die die "erweiterte Konvertibilität" erforderte, nicht auf. Zu sensibel war der Finanzmarkt in diesem Augenblick für solch eine kaum zu durchschauende Veränderung der Währungspolitik. Ausländisches Kapital wurde aus Angst vor einer übergreifenden Abwertung prompt abgezogen. Die Zahlungsunfähigkeit im August 2001 konnte nur mit einem 8 Mrd. Dollar-Kredit des IWF abgewendet werden. Das so genannte Länderrisiko, ein internationaler Maßstab für die Risiken bei Finanzgeschäften, stieg unterdessen unaufhörlich.

Unterm Strich führte der währungspolitische Schlingerkurs zu Mißtrauen, das sich bald in Panik äußerte.

Zinserhöhungen und eine weitere Kapitalflucht waren die Folge, der Bankrott von Banken und ein damit zusammenhängender Zusammenbruch des Rentensystems sind zu befürchten. Vor der Insolvenz stehend, leitete die Regierung im November 2001 das bis heute umfangreichste Umschuldungsverfahren ein, bei dem es um 100 Mrd. Dollar geht. Die Gläubiger werden gezwungen, hochverzinste Schuldscheine in niedrig verzinste umzutauschen, obwohl der Zwang zur Umschuldung normalerweise zu steigenden Zinsen führt. Willigen sie nicht ein, stehen ihre gesamten Einlagen auf dem Spiel. Unterm Strich führte der währungspolitische Schlingerkurs zu Mißtrauen, das sich bald in Panik äußerte: innerhalb von einem Monat wurden 3 Mrd. Dollar private Sparguthaben aufgelöst. Nun hat die Regierung vorerst verboten, pro Monat mehr als 1000 Peso Spareinlagen abzuheben.

Der Beitrag erschien zuerst in der Nr. 258 der iz3w - blätter des informationszentrums 3. welt. Iris Tinsel ist Mitarbeiterin des iz3w.

Zur normalen Fassung


https://sopos.org/aufsaetze/3c36087c86a39/1.html