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Europäische Hausordnung

Der Mazedonien-Einsatz dient den EU-Staaten zur eigenen Stärkung

von Thomas Uwer


Der gerade veröffentlichte Kosovo-Bericht der von der schwedischen und kanadischen Regierung sowie verschiedenen internationalen Instituten eingesetzten Unabhängigen Internationalen Kommission wertet die aktuelle »präventive Truppenstationierung« als Teil der militärischen Eskalation, nicht als deren Lösung.

Bereits Anfang der Neunziger Jahre warnten die US-amerikanischen Hardliner Henry Kissinger und Zbiegniew Brzezinski vor der Gefahr, die NATO könne mit dem Zusammenbruch des Warschauer Pakts und einer damit einhergehenden Aufwertung der europäischen Bündnismitglieder in einen Strudel ungelöster nationaler Konflikte geraten, in dem sie letztlich untergehen müsse. Angesichts der Operation Essential Harvest scheint es, als ob sie Recht behielten. Denn obschon es mit dem Untergang der NATO nicht weit her zu sein scheint, ist von dem einstigen antikommunistischen Panzerblock wenig mehr geblieben als ein Instrument der Intervention in die ethnischen Verteilungskriege der osteuropäischen Peripherie. Die Grundlage hierfür haben seit dem Wegfallen der ursprünglichen Bestimmung der NATO die europäischen Staaten geschaffen. Mit der Anbindung Polens und Tschechiens sowie den Sondierungsmissionen in Rumänien, Bulgarien, Weißrußland und dem Baltikum ist die NATO zum wichtigsten politischen Instrument eines von Deutschland dominierten Europas bei der Bestimmung seines Verhältnisses zu den östlichen Peripheriestaaten geworden.

Die »verspätete Wiederherstellung der Gerechtigkeit«, wie Vaclav Havel die in Aussicht gestellte Westanbindung Osteuropas über das Militärbündnis bezeichnete, wurde zugleich auch als Aufforderung verstanden, das aus den Zeiten des Blockkonfliktes stammende Freiheitsversprechen des Westens ins Völkische zu wenden. Denn von der Freiheit des Menschen, die der Westen einst den östlichen Nachbarn in Aussicht stellte, ist nicht mehr geblieben als die »Freiheit der Völker«. Europa hat sich verschrieben, die Nationalitäten aus der Unterdrückung zu entlassen, nicht den Einzelnen. Dieses Versprechen wird von den Militäroperationen der NATO nun vollzogen.

Mit seinem Verhältnis nach Außen definiert sich Europa zugleich selbst. Die nationale Freiheit, die die Europäer ihrer Peripherie verordnen, setzt die Möglichkeit voraus, diese auch durchzusetzen. Die neue Rolle als Garant der Völkerfreiheit ist daher bereits im Kern von der militärischen Intervention als Ordnungsmacht nicht zu trennen. Folgerichtig ist der »europäische Einigungsprozeß« in kaum einem anderen Bereich so weit fortgeschritten wie in der militärischen Zusammenarbeit. Davon zeugen nicht nur das Eurocorps oder deutsch-niederländische, deutsch-dänische sowie deutsch-polnische Einheiten, sondern auch der hochgradig ideologische Sprachgebrauch von der »europäischen Verteidigungsidentität«. Wie stark diese das gesamte politische Denken präformiert, zeigt, daß sich in Europa auch die Kritik an der Operation Essential Harvest lediglich auf die Frage des Mandatsträgers beschränkt, während die militärische Intervention im Grundsatz unhinterfragt bleibt. Die Forderung, das Mandat des Einsatzes in Mazedonien den UN anstelle der NATO zu übertragen, läuft dabei den Ambitionen Europas auf dem Weg zur Ordnungsmacht nicht zuwider.

Europas Wiedereintritt in die Nationalitätenpolitik des Ostens - wie auch sein Engagement in anderen Regionen - wird nicht entlang wirtschaftlicher oder geopolitischer Interessen legimiert, sondern über eine imaginierte, quasi interessenlose Gemeinschaft der 'Guten'. Eine Konstruktion, die von der Forderung nach einer Stärkung der UN im sogenannten »ethnischen Konfliktmanagement« bloß affirmiert wird. Eine Konstruktion zugleich, die scheinbar die Grundfrage bürgerlicher Politik aus dem Handeln der europäischen Staaten eliminiert hat, nämlich wem aufgrund welcher Interessen dieses Handeln nutzt. Damit einher geht eine beachtliche Geschichtslosigkeit, die den Blick auf Europas Verantwortung für die heutigen Auseinandersetzungen nahezu unmöglich macht. Denn mit ihrer früheren Politik auf dem Balkan haben die dominanten Staaten Europas - wie im einst kolonisierten Nahen-Osten - die Grundlage für die heutigen Konflikte überhaupt erst gelegt. Wie eng die Gemeinschaft mittlerweile der eigenen historischen Vorlage folgt, zeigt sich nicht zuletzt im Bruch mit dem Prinzip der mittelbaren Herrschaft, das den Imperialismus der USA über Jahrzehnte ausgemacht hat. Im Rückgriff auf die koloniale Praxis zielt die Interventionspolitik im Kosovo und in Mazedonien auf die dauerhafte Präsenz von europäischen »Ordnungskräften« und eine direkte Mandatsverwaltung.

Dabei zeigt sich gerade am Beispiel Mazedoniens, wie fatal sich Europas Ordnungspolitik auf die Region auswirkt. 1999 hatte sich die mazedonische Regierung aus berechtigter Angst vor der nun eingetretenen Destabilisierung gegen die Intervention im Kosovo gewandt. Der gerade veröffentlichte Kosovo-Bericht der von der schwedischen und kanadischen Regierung sowie verschiedenen internationalen Instituten eingesetzten Unabhängigen Internationalen Kommission bestätigt die damaligen Befürchtungen. Er wertet auch die aktuelle »präventive Truppenstationierung« als Teil der militärischen Eskalation, nicht als deren Lösung.

Daß militärische Intervention in Zukunft auch ohne NATO möglich sein könnte, wird um so wahrscheinlicher, je stärker die USA zur europäischen Politik auf Distanz gehen. So sorgte die Ankündigung des Pentagon, man werde sich nach Ablauf der ersten zur Entwaffnung gesetzten Frist aus Mazedonien zurückziehen, in Europa keineswegs für Unruhe. Während in Deutschland noch ein zu erzwingendes UN-Mandat bevorzugt wird, stellte Frankreichs Staatschef Jacques Chirac bereits die Ausrufung einer selbstmandatierten europäischen Militärmission in Aussicht. Kissinger und Brzezinski haben also Recht behalten, wenn auch ihre eigentliche Sorge nicht dem Untergang der NATO, sondern dem damit verbundenen Hegemonieverlust der USA galt.



Thomas Uwer ist Mitarbeiter der entwicklungspolitischen Organisation WADI e.V. in Berlin.
Der Artikel erschien zuerst in der Nr. 256 der iz3w - blätter des informationszentrums 3. welt.

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