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The Invisible Enemy

Über die Kriegshetze zur Vorbereitung der "Operation Noble Eagle"

von Marcus Hawel (sopos)


"Sehr, sehr viel wird von Euch in den nächsten Wochen und Monaten verlangt werden. Das gilt vor allem für diejenigen draußen im Feld."
Verteidigungsminister Donald Rumsfeld in einer Botschaft an die US-Soldaten

"... ich sage kategorisch, daß ich es nicht getan habe. Wer auch immer es getan hat, hat es aus Eigeninteresse getan".
Osama Bin Laden


Kriegserklärung gegen die zivilisierte Welt

Der christliche Fundamentalist aus Texas hat einen heiligen Krieg gegen das Böse ausgerufen.

Es sei eine neue Form von Krieg, vernünftelte George W. Bush in Downtown-Manhatten im Angesicht von Schutt und Asche, welche von dem überstolzen Wahrzeichen der politischen wie ökonomischen Weltmacht USA übriggeblieben sind. Amerika befinde sich im Krieg. Eine offizielle Kriegserklärung gibt es allerdings nicht. Die Terroranschläge gegen das World-Trade-Center und gegen das Pentagon kämen freilich einer Kriegserklärung gleich. Nur wisse man nicht eindeutig, wer der Angreifer sei. Unbestritten aber befinde sich "America under Attack". Und CNN titelt unlängst seine Kriegsberichterstattung aus New York unter dem Motto: "America's new war". Der Feind greife aus dem Dunkel an, so Bush, er sei unsichtbar und deshalb besonders heimtückisch. "Diejenigen, die gegen die USA Krieg führen, haben ihre eigene Zerstörung gewählt, wir werden sie ausräuchern." Die Rhetorik ist martialisch und apokalyptisch. Von einem "Angriff auf die Zivilisation" ist die Rede. Die "Freiheit", die "freie Welt" werde beschossen. Die ersten Gesten und Rituale sind ur-religiös: Gebete zu Gott, offizielle Schwüre und Eide auf die amerikanische Flagge. Die individuelle Betroffenheit mündet in kollektiver Trauer, die Trauer kanalisiert sich in Gott und Nation, in der gotterwählten Nation. Die kollektive Trauer wechselt in Wut und mündet im Kreuzzug gegen einen noch unsichtbaren Feind. Der Feind aber wird entweder von selbst sichtbar oder aber wird sichtbar gemacht werden. Solange er sich der Sichtbarkeit entzieht, hat der amerikanische Präsident für den unsichtbaren Feind das Stigma des Teufels parat. Der christliche Fundamentalist aus Texas hat einen heiligen Krieg gegen das Böse ausgerufen.

Wenige können sich dieser Logik entziehen. Eine übergroße Mehrheit ruft nach Rache. 71% der Amerikaner sollen laut einer Umfrage von Newsweek zu Vergeltungsschlägen bereit sein, selbst wenn das eine Vielzahl von unschuldigen Opfern zur Folge hätte. Die Medien betreiben unverhohlene Kriegshetze; die Berichterstattung ist militärisch. Die amerikanische Intellektuelle Susan Sontag beschuldigt die Medien, sie hätten sich zu einer Kampagne verschworen mit dem Zweck, die Öffentlichkeit zu verdummen. Kein Angriff auf die Zivilisation sei der Terroranschlag gewesen, sondern ein Angriff auf die USA als Konsequenz aus deren mörderischer Politik in der Welt. - Von solcher Differenzierung will scheinbar niemand etwas hören. Die Intellektuelle muß aufpassen, daß ihr nicht nationaler Verrat vorgeworfen und sie Opfer derselben Pogromstimmung wird, die derzeit in den USA umsichgreift gegen Araber und Muslime.

Suche nach dem Feind

Daß es sich bei den Terrorganisationen um Relikte des Kalten Krieges handelt, die die CIA während des Kalten Krieges gegen die Sowjetunion militärisch und finanziell aufgebaut hatte, scheint nicht von Belang zu sein.

Noch bevor die politische Herkunft der Attentäter ausfindig gemacht werden konnte, stand die Reaktion der amerikanischen Militärmacht fest. Auf eine Kriegserklärung muß Krieg folgen. Krieg freilich führt man in der modernen Welt gegen Staaten oder Organisationen, die von Staaten unterstützt werden, nicht aber gegen einzelne Terroristen. Und weil die Reaktion der amerikanischen Militärmacht schon fest stand, ist die Suche nach dem Feind, die Konstruktion des Feindbildes davon beeinflußt - nicht umgekehrt. Der Krieg richtet sich gegen die "Feinde der zivilisierten Welt", gegen die "Schurkenstaaten", die Terroristen billigen, Unterschlupf gewähren oder sogar unterstützen. - Daß es sich um Relikte des Kalten Krieges handelt, um Terrororganisationen, die die CIA während des Kalten Krieges gegen die Sowjetunion militärisch und finanziell aufgebaut hatte, scheint nicht von Belang zu sein.

Als Hauptverdächtigter gilt der muslimische Top-Terrorist Osama bin Laden. Beweise für eine Verantwortlichkeit gibt es allerdings nicht. Der Verdacht reicht aus - 99mal geäußert, gilt er beim hundertsten Mal als Beweis. Unterdessen berichtet aus Pakistan die private afghanische Nachrichtenagentur AIP unter Berufung auf eine Erklärung, die ihr von Abdul Samad aus dem "politischen Büro" bin Ladens zugefaxt wurde. Darin distanziert sich bin Laden kategorisch von der gemutmaßten Urheberschaft des Terroranschlages auf das Pentagon und WTC: "... ich sage kategorisch, daß ich es nicht getan habe. Wer auch immer es getan hat, hat es aus Eigeninteresse getan". - Ob glaubwürdig oder nicht, ist offensichtlich nicht von Interesse. Der Krieg gegen Afghanistan ist ausgemachte Sache; Kabul wird bombardiert werden, und Tausende unschuldiger Menschen werden den Tod finden.

Nicht einen einzelnen Militärschlag werde es geben, prophezeite der stellvertretende US-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz, sondern einen richtigen Feldzug, der solange andauern werde, bis das Leben der Verantwortlichen und deren Helfer, bis der Terror beendet sei. Senat und Kongreß haben den amerikanischen Präsidenten sämtliche Ermächtigungen ausgesprochen: "Der Präsident ist ermächtigt, alle notwendigen und angemessenen Mittel gegen diejenigen Nationen, Organisationen und Personen einzusetzen, die nach seiner Einschätzung die Terroranschläge vom 11. September 2001 geplant, angeordnet, begangen und unterstützt haben oder die solchen Organisationen oder Personen Unterschlupf gewährt haben." 40 Milliarden Dollar wurden hierfür bereitgestellt.

Deutsch-Amerikanische Freundschaft

Allen Ländern voran, sind die Solidaritätsbekundungen der politisch Herrschenden in Deutschland am größten. Die "Kriegserklärung gegen die zivilisierte Welt" (Schröder) müsse einen entschiedenen Kampf gegen den Terrorismus zur Folge haben, ein Zusammenstehen. "Wir sind alle Amerikaner", entblödete sich nicht der SPD-Fraktionsvorsitzende Peter Struck zu sagen.

Im Kampf gegen den Terrorismus neigen die "demokratischen" Herrscher selbst dazu, terroristische Mittel anzuwenden.

Zum Auftakt der Kriegshetze in Deutschland riefen die Bundestagsparteien zu einer Massenkundgebung am Brandenburger Tor auf - die gesamte Politprominenz und 200.000 Menschen folgten dem Aufruf. Der Bundespräsident Rau sprach in seiner Funktion als Feldprediger sicherlich auch von Besonnenheit. Dennoch ging es darum, der Bevölkerung deutlich zu machen, daß der Kampf gegen den Terrorismus auch und vor allem mit militärischen Mitteln geführt werden müsse und daß "wir miteinander die Solidarität üben, die Amerika braucht und verdient hat." Die Massen haben geklatscht, Kerzen wurden hochgehalten, und Tränen kullerten aus vielen Augen. Es lebe die christliche Volksgemeinschaft. Die verständliche Angst der Einzelnen vor einem Krieg, ihre Betroffenheit und Anteilnahme an dem Leid der von den Anschlägen Betroffenen, wurde und wird mißbraucht zum Zwecke der Beschwörung eines nationalen Zusammenhalts und Einstehen für das Kommende: "Wir wollen Frieden, darum Krieg!" Selbst vereinzelte Plakate mit pazifistischen Slogans verloren in dieser Inszenierung ihre kritische Mahnung. Denn wer Frieden wolle, der müsse den Krieg akzeptieren. - In diesen Tagen leisten Medien und Politik alles erdenkbare, um die Bevölkerungen emotional auf den Krieg vorzubereiten.

Das Getöse des Krieges werden Scharfmacher wie Schily nutzen, um ihre rassistische Hardliner-Politik leiser durchsetzen zu können. Der Fraktionschef der CDU, Friedrich Merz, hat der Bundesregierung bereits eine "Nationale Allianz" angeboten, damit die Sicherheit des Landes gewährleistet sei. Im Kampf gegen den Terrorismus neigen die "demokratischen" Herrscher selbst dazu, terroristische Mittel anzuwenden. Die größte Gefahr für die westliche Zivilisation kommt aus dem Westen selbst. Wer für mehr Sicherheit die Freiheit aufgibt, so wußte noch Benjamin Franklin, droht beides zu verlieren.

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