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Pflaster nach der Schlacht

Die europäische Politik rührt nicht an den Ursachen der Gewalt

von Stefan Gose


Auf ihrer Suche nach neuen Existenzbegründungen hatten westliche Militärs bei ihren ersten Auslandsmissionen nach dem Ende des Kalten Krieges in Kambodscha und Somalia lernen müssen, daß nicht jede Krise zu neuer Legitimation verhilft. Die neue sicherheitspolitische Rhetorik von 'internationaler Verantwortung' erlitt weitere Kratzer durch die konfliktverschärfenden Fehlleistungen auf dem Balkan und in Ruanda. Vor diesem Hintergrund bekam die Debatte um die "humanitären Missionen" der UN bald eine kleine, zivile Schwester: die Diskussion um Konfliktprävention. Der Begriff war in der Entwicklungspolitik, in der Friedensforschung und in der Menschenrechtsarbeit von NGOs längst Programm. Entsprechend wurde die Zuständigkeit für konfliktpräventive Maßnahmen bei Entwicklungs- und Außenministerien angesiedelt.

Zivile Konfliktbearbeitung ergänzt und unterstützt - oft ungewollt - militärisches Handeln.

Daß nicht die Konfliktverursacher Wirtschaft und Militär in die Verantwortung genommen wurden, geht auf ein Verständnis zurück, das Konflikte und ihre Beilegung vor allem als ein lokales Problem der Länder des Südens ansieht, welches mit leicht modifizierter Entwicklungspolitik und zivilen Mediationsmethoden zu lösen sei. Zur Befriedung gewaltsam ausgetragener Konflikte sollen daher zunehmend regionale Organisationen ausgerüstet werden. Entsprechend unterstützte die EU seit 1995 im Rahmen ihrer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) den Ausbau von Frühwarnkapazitäten und polizeilichem bzw. militärischem Peace-Keeping bei der Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) und nahm diesbezügliche Kontakte zu afrikanischen Wirtschaftsentwicklungsorganisationen wie SADC oder ECOWAS auf.

Konfliktprävention hatte fortan bei der EU Konjunktur. 1996 forderte die EU-Generaldirektion für Entwicklungspolitik, daß alle Maßnahmen der EU-Kommission konfliktpräventiv ausgerichtet sein sollen, etwa durch die Beachtung von Konfliktpotentialen bei den Programmen der EU für die mit ihr verbündeten AKP-Staaten (Afrika, Karibik, Pazifik). 1998 erklärte die EU konfliktpräventive Ansätze im Umgang mit allen Entwicklungsländern für verbindlich. Tatsächlich setzte sie jedoch ihre konfliktverschärfende Agrar- und Freihandelspolitik fort, durch die viele Länder in wirtschaftliche Bedrängnis gebracht wurden. Im AKP-Abkommen vom Juni 2000 wurden sogar die Rohstoffausfuhr-Stabilisierungsfonds Sysmin und Stabex wieder abgeschafft, die ansatzweise zu ökonomischem Ausgleich beigetragen hatten. Wie ernst es der EU mit der Konfliktprävention ist, illustrieren die Beschlüsse des Europäischen Rates von 1999. Danach soll eine aus 60.000 Soldaten bestehende "Rapid Reaction Force" aufgebaut werden, während dem EU-Kommissar für Außenbeziehungen, Chris Patten, für das Jahr 2000 gerade mal 15 Mio. Euro für Krisenprävention und zivile Konfliktbearbeitung bewilligt wurden. Die europäische "Konfliktprävention" ist somit, trotz zahlreicher Gremien und Initiativen, bestenfalls ein Feigenblatt für ansonsten unveränderte ökonomische und militärische Interessen.

Aufgeräumt wird hinterher

Auch in Deutschland wird unter 'Konfliktprävention' fast ausschließlich 'zivile Konfliktbearbeitung' verstanden, also nichtmilitärische Interventionen vor, während und nach gewaltsamen Konfliktaustragungen. Um wirkliche Prävention, d.h. um die Beseitigung von strukturellen Konfliktursachen, geht es fast nie. Traditionell staatliche Instrumente ziviler Konfliktbearbeitung wie Diplomatie, Polizei- und Rechtshilfe, Wahlbeobachtung, Demilitarisierungsmaßnahmen, Katastrophen- und Wiederaufbauhilfe sowie die Entwicklungspolitik erfahren daher eine Aufwertung, ohne daß (para-)militärische Gewaltapparate und strukturelle Gewalt verringert würden. Im Gegenteil, zivile Konfliktbearbeitung ergänzt und unterstützt - oft ungewollt - militärisches Handeln. Beispiel Kosovo: Das vorgebliche Scheitern der ohnehin nur halbherzigen OSZE-Mission wurde zur Legitimation des Angriffskrieges gegen Jugoslawien benutzt. Während des Krieges sorgten zivile Kräfte für ein freies Schußfeld, indem sie die Flüchtlinge betreuten, und nach dem Krieg kümmern sie sich um die menschlichen und materiellen "Aufräumarbeiten". Nichts davon hat mit Konfliktprävention zu tun.

Im Rahmen staatlicher "Konfliktprävention" werden folgerichtig vorwiegend solche Instrumente unterstützt, die zivil-militärischen dual-use-Charakter haben, wie verbesserte Frühwarn- und Analysekapazitäten, Informationsaustausch, Selbstschutz- und Mediationsfähigkeiten, bei denen Sicherheitskräfte von zivilen Konfliktexperten lernen und umgekehrt. Nach amerikanischem Vorbild hat sich die Bundeswehr eine Civil-Military-Cooperation-Einheit (CIMIC) zugelegt, in der zivile Fähigkeiten von Reservisten zur Mediation in Einsatzgebieten genutzt werden sollen. Krisenprävention und zivile Konfliktbearbeitung sollen keine ernsthafte Konkurrenz zur militärischen Außenpolitik bilden, sondern eine methodische Ergänzung.

Doch selbst diese Begleitfunktion steht auf tönernen Füßen. Seit Sommer 2000 bildet das Auswärtige Amt im Rahmen der "Aktion Ziviles Friedenspersonal" in jeweils zweiwöchigen Modulkursen über Mediation, Recht, Sprache, Kultur, Erste Hilfe und handwerkliche Fertigkeiten so genannte "Friedensfachkräfte" aus. 500 von den 2000 bis 3000 vorgesehenen 'Troubleshootern' sollen bereits für UNO-, OSZE- oder EU-Einsätze in Krisengebieten bereit stehen. Ob diese Crashkurse tatsächlich zur zivilen Konfliktbearbeitung qualifizieren, ist mehr als fraglich. Es geht eben nicht um gewaltmindernde Konfliktprävention, sondern um ein Instrument der Konfliktbearbeitung, mit dem insbesondere die Bündnisgrünen Glaubwürdigkeit jenseits militärischer Aufrüstung demonstrieren wollen. Dies beantwortet zugleich die Frage, warum die Gelder für die outgesourcten semiprofessionellen "Friedensfachkräfte" nicht NGOs wie medico international, Kurve Wustrow, Balkan Peace Team und anderen übergeben wurden, die langjährig mit großer Erfahrung Freiwillige für Konfliktregionen ausbilden. Denn keine dieser Organisationen würde auf Abruf Dutzende Friedensfachkräfte bereitstellen, nur weil es die Regierungsplanung wünscht. Die meisten von ihnen verstehen sich nicht als außenpolitische Sozialarbeiter im Dienste staatlicher Interessen- und Sicherheitspolitik, sondern versuchen auf der Basis von sozialem, antimilitaristischem oder pazifistischem Engagement gewaltfreie Konfliktaustragung zu stärken. Das bringt sie nicht selten in Opposition zu staatlichem Handeln.

Instrumentalisierte NGOs

Damit ist das Problem von politischer Vereinnahmung und Parteilichkeit ziviler Konfliktbearbeitung benannt. Sie kann nicht neutral sein, weil ihr Selbstverständnis die Stellungnahme gegen Menschenrechtsverletzungen verlangt. Diese Positionierung kann zivile Konfliktbearbeitung vor Ort unmöglich machen, wenn Konfliktparteien lediglich eine Akutversorgung zulassen, die sie bei der Konfliktaustragung entlastet, oder wenn Konfliktbearbeiter als Geiseln instrumentalisiert und Hilfsgüter für Schwarzmärkte und Gewaltapparate mißbraucht werden. Die häufig fließende Grenze zwischen punktueller Konfliktmilderung zum Preis einer strukturellen Konfliktunterstützung (eine Tonne Hilfsgüter für die Bevölkerung, zwei Tonnen für's Militär) führt zur Überforderung von Hilfskräften. Die Möglichkeiten ziviler Konfliktbearbeitung enden dort, wo mindestens eine Partei vom Konflikt profitiert und an einer Beilegung nicht interessiert ist. Hier offenbaren sich Konflikte als strukturelles Problem, das mit symptomorientierten Mitteln allenfalls zu lindern ist. Zivile Konfliktbearbeitung kommt also ohne eine nichtmilitärische Strukturpolitik, die Konfliktressourcen wie Waffen, Profite oder Privilegien verringert und substantielle Anreize für zivile Konfliktaustragung schafft, nicht aus. Damit ist zivile Konfliktbearbeitung zumindest unter heutigen Bedingungen auf die Unterstützung durch Regierungen in Nord wie Süd angewiesen.

NGOs können sich dabei zwar zumindest partiell einer Instrumentalisierung durch staatliche Interessen entziehen. Die Praxis zeigt jedoch, daß die meisten NGOs dort anzutreffen sind, wo öffentliche Gelder ihre Arbeit unterstützen. Das entwertet die Arbeit vor Ort meist nicht. Es stellt aber ihren politischen Anspruch in ein ernüchterndes Licht: Wenn von Konfliktprävention die Rede ist, reicht diese meist nicht über humanitäre Hilfe hinaus. Wenn alles zivile Konfliktbearbeitung ist, was nicht schießt, dann handelt es sich um einen Etikettenschwindel, ein Imagelifting für traditionelle Sicherheitspolitik auf Kosten jener, die sich ernsthaft um den Abbau von Gewaltstrukturen mühen.

Kein Mangel an Informationen

Fast allen gewaltsamen Konflikten liegen sozio-ökonomische Disparitäten zu Grunde, an deren Zustandekommen die Interventionsstaaten maßgeblich beteiligt sind.

Eine wirkliche Konfliktbearbeitung darf vor struktureller Gewaltprävention nicht halt machen. Fast allen gewaltsamen Konflikten liegen sozio-ökonomische Disparitäten zu Grunde, an deren Zustandekommen die Interventionsstaaten maßgeblich beteiligt sind. Die wissenschaftliche Konfliktursachenforschung und NGOs wie das forum on early warning and early response (FEWER) haben ausbaufähige Systematiken nicht nur zur Konflikterkennung, sondern auch zur ihrer Beseitigung entworfen. Selbst das BMZ hat sich mittlerweile ein solches Raster angeeignet. Wenn auch viele dieser Ansätze noch unzureichend sind, weil lieber Länderstudien erstellt statt globale Gewaltstrukturen analysiert werden, läßt sich resümieren, daß es an Informationen über Konflikte und ihre Ursachen nicht mangelt. Es fehlt der politische Wille, Verschuldung, terms of trade, Waffenexporte, Oligarchien und die eigene Beteiligung daran in Frage zu stellen. Was nützt das Bekenntnis des Bundessicherheitsrates zur Konfliktprävention, wenn dieses Gremium die brisantesten Waffenexporte bewilligt?

Wenn Konfliktprävention und zivile Konfliktbearbeitung diese Namen verdienen sollen, dann müssen sie öffentlich politisiert werden, Roß und Reiter der Konflikte benannt werden und nicht nur jene mißbrauchten Aufständischen, die uns im Rahmen simpler Feindbilder als religiöse oder ethnische Fanatiker serviert werden. Die Akteure der Konfliktprävention dürfen sich nicht länger auf die Austragungsorte der Konflikte beschränken, sondern müssen sich fragen, woher die Minen, die sie dort entschärfen, kommen. In diesem Prozeß werden Regierungen eher zögerliche Verbündete sein, denn wirkliche Konfliktbearbeitung poliert ihr Image nicht, sondern zerkratzt es.

Friedensfachkräfte müssen sich also die Frage stellen: wollen wir unmittelbar helfen, auch wenn wir damit Gewaltapparate entlasten? Oder muß Konfliktprävention politisch sein und kann deshalb im Fahrwasser von staatlicher Sicherheitspolitik nur scheitern? Die zweite Variante kann nur durch die Kooperation unabhängiger NGOs, die lokales Engagement mit öffentlicher Benennung der Konfliktursachen verknüpfen, zu Erfolgen führen. Dies ist keine leichte Aufgabe, weil sie die Arbeit vor Ort erschwert und zu Hause die Geldgeber verschreckt. Aber es ist nun mal kein nachhaltiges Konzept, nach jeder Schlacht erneut Pflaster zu verteilen.


Stefan Gose ist Redakteur der Zeitschrift ami - antimilitarismus information.
Der Artikel erschien zuerst in der Nr. 254 der iz3w - blätter des informationszentrums 3. welt.



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https://sopos.org/aufsaetze/3b4a2b4867df7/1.html