Zur normalen Fassung

Der amerikanische Alptraum der Lakotaindianer

Neue US-Strategien des Völkermordes durch Assimilation zur Jahrtausendwende?

von Utz Anhalt

"Wir können nicht als freie Männer unter den Weißen leben. Wir werden versklavt. Es ist besser zu sterben, als wie Hunde zu leben."
Tatanka Yotanka (Sitting Bull), ca. 1870

"Ich wußte damals nicht, wieviel zu Ende ging ... Ich kann sehen, daß noch etwas anderes dort in dem blutigen Schlamm starb und vom Schnee begraben wurde. Eines Volkes Traum ist dort gestorben. Es war ein schöner Traum ... des Volkes Rad ist zerbrochen und zerfallen."
Black Elk, nach dem Massaker der US-Army an unbewaffneten Sioux und der endgültigen Lösung der "Lakota-Frage" durch Völkermord am Wounded Knee, 1890

"Die Sioux richten sich in ihren Aktionen nicht nach der Geschichte der USA. Die Sioux machen Geschichte."
Black Hills Streeting-Comitee, 1984


Red Cloud
Lakota Chief Red Cloud

Die neue US-Regierung um Präsident George W. Bush plant bis zum Jahre 2010 die Auflösung der Indianerreservate. Der Verdacht, die amerikanischen Ureinwohner in der Verelendung der großstädtischen Unterschichten absorbieren zu wollen, liegt nahe.

Das Problem mit der Indianersolidarität

Das Indianerbild in der BRD war und ist von falschen, wenn auch positiven Klischees, Stereotypen und Wunschvorstellungen geprägt. Diese Bilder durchzogen und durchziehen die politische Landschaft von ganz rechts bis ganz links. Während die historischen Nazis Vorstellungen wie "Indianer kennt keinen Schmerz" nutzten, um der Soldatenjugend ihr eigenes Dasein als Kanonenfutter einzubläuen, bestand das "linke" Bild von Indianern im Politromantizismus der 70er und 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts hauptsächlich aus tapferen Krieger-Männern, das den Spontis, "Stadtindianer" und Autonomen zur eigenen Selbstdefinition als "Mescaleros" oder "Geronimo" diente. Heute werden in den USA und Deutschland Indianerstereotypen zumeist verwandt, um ökologisches Bewußtsein darzustellen.

Das Problem der politischen Kämpfe indianischer Gruppen wie des American Indian Movement (AIM) und seines militanten Flügels, der Red Power Bewegung besteht in den romantisch-verfälschten Bildern, die durchbrochen werden müssen, um die indianische Wirklichkeit auch politisch wohlgesonnenen Menschen erst aufzeigen zu können.

Das Problem der politischen Kämpfe indianischer Gruppen wie des American Indian Movement (AIM) und seines militanten Flügels, der Red Power Bewegung besteht in diesen romantisch-verfälschten Bildern, die durchbrochen werden müssen, um die indianische Wirklichkeit auch politisch wohlgesonnenen Menschen erst aufzeigen zu können. Die indianische Bewegung der letzten 50 Jahre, deren heute politisch relevantesten Ausdruck die mexikanischen Zapatisten (die als Mexikaner freilich nicht im AIM sind) mit ihrer Parole Land und Freiheit darstellen, war und ist gespalten in Traditionalisten und progressive politische Aktivisten. In der Realität überschneiden sich diese beiden Stränge. Grob gesagt geht es den Traditionalisten darum, ihre Kultur, ihre Lebensweise, ihre Zeremonien und Rituale zu erhalten, während die progressiveren Aktivisten im AIM dafür kämpfen, die vollen Bürgerrechte in den USA als Individuen mit indianischer Identität zu bekommen, wofür sie die Möglichkeiten des modernen US-Staates ausschöpfen.

Die Geschichte der Lakota bis zum 20. Jahrhundert

Die Lakota hatten als Plains-Stamm niemals Zugriff auf die stärkste Waffe ihrer Gegner: die Produktionsmittel.

Die Lakota gehören zur großen Sprachfamilie der Sioux. Die sieben Untergruppen der Lakota prägten maßgeblich das Bild vom klassischen Indianer der Western und der Groschenromanliteratur, der Pubertätsphantasien und der Naturmenschenromatik. Sie waren, nachdem sie zu Beginn des 19. Jahrhunderts an Pferde gelangten, Bisonjäger, lebten als Nomaden in Zelten, führten Kriege gegen die vordringenden Weißen und trugen als Statussymbol Federschmuck. Die Lakota waren die Herren der nördlichen Plains und beherrschten Mitte des 19. Jahrhunderts ein Territorium von der Größe Mitteleuropas. Da sie als Krieger- und Erobererkultur außer den verbündeten Cheyenne und Araphoe ausschließlich Feinde hatten, waren sie in den Indianerkriegen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stark isoliert. In machiavellistischer Tradition, nach dem Motto "Verbünde dich mit den stärksten der Schwachen, um den Starken zu besiegen", schloß der Indianerschlächter General Crook Bündnisse mit den Shoshoni und den Pawnees, deren Einsatz als Späher und leichte Kavallerie den letztendlichen Sieg über die Lakotaindianer erst ermöglichte. Die vernichtende Niederlage von Colonel Custer, dessen siebtes Kavallerieregiment in der Schlacht am Little Bighorn durch die verbündeten Lakota, Cheyenne und Araphoe restlos aufgerieben wurde, konnten jedoch auch diese indianischen Hilfstruppen nicht verhindern. Durch diesen in der Geschichte der nordamerikanischen Ureinwohner einmaligen Triumph wurden Namen wie Crazy Horse (Tashita Witko) und Sitting Bull (Tatanka Yotanka) weltberühmt. Dieser Sieg war allerdings von kurzer Dauer. Red Cloud, der mit seinen Kriegern die USA in den 1860er Jahren dazu zwang, ihre Forts im Lakotagebiet abzubrennen und das Land zu räumen, resignierte, als er auf einer Reise nach Washington die massive technologische und zahlenmäßige Übermacht der Weißen erkannte. Die Lakota hatten als Plains-Stamm niemals Zugriff auf die stärkste Waffe ihrer Gegner: die Produktionsmittel. Ende der 1870er Jahre, mit dem Vordringen der weißen Siedler und der Vernichtung der Bisons, wurden die Lakota in Reservaten, die nur einen Bruchteil ihres Territoriums ausmachten, eingepfercht und gezwungen, seßhaft zu werden.

Neue Hoffnung gab gegen Ende der 80er Jahre die Geistertanzbewegung, die ausgehend von der Vision eines Paiute-Schamanen die Bisons auf die Welt zurückbringen sollte. 1890 fand das letzte Armeemassaker in den Indianerkriegen statt, als eine Gruppe Lakota unter Big Foot - unbewaffnete Anhänger der Geistertanzbewegung - von der siebten Kavallerie (das ehemalige Regiment Custers) abgeschlachtet wurde. Damit schien der Widerstand der nordamerikanischen Indianer endgültig gebrochen. Das 20. Jahrhundert zeigte jedoch die Kontinuität des Kampfes der Opfer des inneramerikanischen Kolonialismus um ihr Menschenrecht.

Die heutige Lebenssituation der Lakota

Drei der fünf ärmsten Bezirke der USA befanden sich Anfang der 1980er Jahre in Lakota-Reservaten.

Mit dem romantischen Bild von Karl May oder Indianerfilmen hat die heutige Lebenssituation der Lakota herzlich wenig zu tun. Im 20. Jahrhundert wurden die Lakota wie die anderen Indian Tribes zwangsassimiliert: ein unblutiger Völkermord. Diese Auslöschung durch kulturelle Assimilation an die weißen angelsächsischen Protestanten ("WASP") ging einher mit beruflicher und sozialer Desintegration. In der Lakota-Reservation Pine Ridge lag die Arbeitslosigkeit 1982 bei 85%. Drei der fünf ärmsten Bezirke der USA befanden sich Anfang der 1980er Jahre in Lakota-Reservaten. Alle Lakota-Reservationen sind heute von Bundesmitteln abhängig.

Die Arbeitslosigkeit und die mangelnden Möglichkeiten sinnvoller Beschäftigung in der Reservation ließen viele Lakota zu Alkoholikern werden. Ende des 20. Jahrhunderts waren in Pine Ridge 50% der Teenager und Erwachsenen zumindest Quartalstrinker. Der Alkoholismus zerstörte die traditionellen Großfamilienstrukturen der Lakota, in denen die soziale Verantwortung oberste Priorität hatte. Prügelnde Väter und verwahrloste Kinder sind heute eher die Regel als die Ausnahme. Zwar darf in den Reservaten kein Alkohol verkauft werden, doch in den Bordertowns an den Reservatsgrenzen und durch Schwarzhändler ist es möglich, an Alkohol zu gelangen.

Besetzung im Reservat.
Besetzung in Pine Ridge.

Die Lakota gehören zu der Personengruppe in den USA mit dem schlechtesten Gesundheitszustand. Alkohol, soziale Verelendung und die damit verbundene mangelhafte Krankheitsvorsorge sind die Ursache. Die Sozialstatistik der Pine-Ridge Reservation entspricht nicht dem US-amerikanischen Standard, sondern dem schwarzafrikanischer Entwicklungsländer. Die durchschnittliche Lebenserwartung betrug 1986 44 Jahre, die Todesrate durch Alkoholismus war 6-mal, die Kindersterblichkeit 3-mal so hoch wie im Durchschnitt der USA. Akute Mittelohrentzündung, Magen-Darmerkrankungen, Lungenentzündung und Tuberkulose sind weit verbreitet. Durch die schlechte Versorgung mit Lebensmitteln und die allgegenwärtige Armut werden von den Lakota hauptsächlich fett- und stärkehaltige Lebensmittel konsumiert, was Fettleibigkeit zur Folge hat. Die medizinische Versorgung ist katastrophal.

Zur sozialen Verelendung kommt die rassistische Diskriminierung in den erzkonservativ-christlich geprägten Bundesstaaten Nord- und Süddakota. Obwohl die historischen Sieger ihre Staaten mit den Namen der Besiegten (Dakota ist eine der drei großen Untergruppen der Sioux) schmückten, sind Übergriffe seitens der weißen Mehrheitsbevölkerung an der Tagesordnung. Selbst Morde an Indianern werden regelmäßig mit minimalen Strafen geahndet. In vielen Lokalen ist Indianern der Eintritt verboten, die verbreitetste Bezeichnung für Lakota lautet: "Prärienigger".

Die Lakota eroberten sich in den letzten 25 Jahren die soziale Autonomie unter Rückbeziehung auf ihre kulturellen Traditionen zurück.

Seitdem 1973 Lakota, um ihre Situation öffentlich zu machen, die symbolträchtige Gegend am Wounded Knee besetzten und diese in terroristischer Manier vom FBI geräumt wurde, hat sich die Organisation des Widerstandes verändert. Ziel der Tribal Councils (Stammesräte) ist es, sich unter Nutzung der Mittel des weißen Amerika vor den Übergriffen des FBI zu schützen und vom Bureau of Indian Affairs unabhängig zu machen. Die Strategie der Non-Reaction bedeutet, auf die alltäglichen Provokationen und Diskriminierungen nicht unmittelbar zu reagieren, sondern auf die sozialen Probleme vermöge Bildung und Wissen und der Entwicklung eigener kultureller Methoden entschärfend einzuwirken und so juristisch den Zumutungen des Indianerbüros gewachsen zu sein. Heute stellen die Lakota überproportional viele Rechts- und Staatsanwälte. Auch die Infastruktur, die Schulen, Altersheime und Krankenhäuser unterliegen heute der Selbstverwaltung der Lakota. Die Lakota eroberten sich in den letzten 25 Jahren die soziale Autonomie unter Rückbeziehung auf ihre kulturellen Traditionen zurück. Die Entgiftung von Drogenkranken findet hauptsächlich mit traditionellen Reinigungstechniken (etwa Schwitzhütten) statt. In den Reservaten werden Bisons gezüchtet; für die Lakota nicht nur eine Hinwendung zu ihrer Jägervergangenheit, sondern auch ein hoch symbolischer Wert - in der Philosophie der Sioux verkörperte der Bison die Kraft der Sonne.

AIM-logo

Offensichtlich geht es beim Plan von George "WASP" Bush, die Indianer-Reservate aufzulösen, nicht um den Kampf gegen das soziale Elend. Die Lakota sind dank ihrer wiedererlangten Autonomie im Stande, der sozialen Misere in den Reservaten wirkungsvoll selbst zu begegnen. Der Plan verweist vielmehr auf die offene Wunde des US-amerikanischen Ursprungsmythos. Die Reservate stellen die einzige Möglichkeit für Indianer dar, als Individuen und als Kollektiv politisch zu handeln. Die Abschaffung der Reservate und deren Erschließung für US-Konzerne bedeutet die Vollendung des Völkermordes an den indigenen Nordamerikanern, der mit der Landung der Mayflower im "Land ohne Menschen" seinen Anfang nahm. Der Landraub an den Lakota geht unvermindert weiter. Trotz einer "Der mit dem Wolf tanzt"-Euphorie des universalen Kleinbürgers des weißen Mittelschichtsamerika führt die US-Regierung Krieg gegen die realen Lakota. Da diese jedoch, im Unterschied zum 19. Jahrhundert, von ihren Gegnern gelernt haben, könnte der Widerstand gegen ihren jahrhundertelangen amerikanischen Alptraum von Erfolg gekrönt sein. Der Schlachtruf der Sioux-Krieger Hoka Hey: "heute ist ein guter Tag zum Sterben" ist allerdings nicht mehr zeitgemäß. Der Kampf wird heute auf anderen Ebenen geführt werden müssen.

Zur normalen Fassung


https://sopos.org/aufsaetze/3ae9e0ef0a1d8/1.html