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Der Widerstand der Globalisierungsgegner

Die Demonstration S26 in Prag am 26. September 2000

von Marcus Hawel

Vom 26. - 28. September 2000 veranstalteten IWF und Weltbank gemeinsam ihre 55. Sitzung. Als Tagungsort wählten sie die osteuropäische Metropole Prag, in die der damalige tschechische Premier Václav Klaus bereits 1996 eingeladen hatte. Die Vorkommnisse in Seattle, wo Globalisierungsgegner während des WTO-Gipfels demonstrierten, daß sie imstande sind, die Gipfel des Kapitals zu stürmen, hat die Herrschenden in der tschechischen Republik vor eine Bewährungsprobe gestellt: Ausnahmezustand und unverhältnismäßige Brutalität der Polizei sind die Reaktionen der Staatsmacht gewesen, weil sie um das Prestige des Landes bangte, das sich immerhin um die Mitgliedschaft in der EU bewirbt. 18.000 offizielle Gäste (182 Gouverneure von Zentralbanken, ca. 250 Regierungschefs und Finanzminister, ca. 15.000 Berater, Spezialisten, Ehrengäste, Journalisten, Chauffeure etc.) galt es an den Demonstranten vorbeizuschleusen und unbehelligt in das Kongreßzentrum zu bringen. 11.000 hochgerüstete Polizisten standen deshalb zum Einsatz bereit. In der deutschsprachigen Wochenzeitung Prager Zeitung vom 21. September hieß es in einem leicht entrüsteten Ton: "Die Polizei hat sich die Filmaufzeichnungen aus Seattle aufmerksam angeschaut. Und sich konsultiert mit dem FBI, Spezialausbilder ins Land geholt, neue Ausrüstungen gekauft, Schilde, Helme, Masken, Funkgeräte, Tränengas bereitgestellt, Hunde, Pferde und Wasserwerfer, und sich in martialische Übungen gestürzt, die der Vorbereitung auf einen Bürgerkrieg alle Ehre machen würde." (Prager Zeitung, Nr. 38, 21. September 2000, 9. Jg., S. 6.)

Angewidert und eingeschüchtert reagierte denn auch ein Großteil der Prager Bevölkerung, der sich an die Zeiten der Niederschlagung des Prager Frühlings erinnert fühlte, wenn diese auch verhalten ihrem Alltag nachging, als sei alles ganz normal in der Stadt. Schulen und Kindergärten aber wurden geschlossen, öffentliche Rasenanlagen umzäunt und mit Wasserspeiern versehen, um zu verhindern, daß Demonstranten mit Isomatten dort nächtigten. Die Öffentlichkeit wurde unterrichtet, daß bei Polizeiaktionen gegen Demonstranten keine Rücksicht auf Unbeteiligte in den Straßen genommen werden könne. Sogar die Gerichte sollen ihre Arbeit in diesen Tagen eingestellt haben, weil angeblich der sichere Transport von Delinquenten nicht gewährleistet werden konnte. An jeder Straßenecke patrouillierten Polizisten in Fünfergruppen, öffentliche Gebäude, Banken, Hotels und einzelne Läden wurden permanent bewacht, die mögliche Sammlung von spontan zusammenkommenden Demonstranten durch mehrere Hubschrauber, die permanent über der Prager Innenstadt kreisten, kontrolliert. Das Motorengeräusch und die Lichtkegel der Suchscheinwerfer, mit denen aus der Luft bei Nacht in die Straßen geleuchtet wurde, vermittelte die angstmachende Atmosphäre eines verhängten Ausnahmezustands in der Stadt ob der vermeintlich chaotischen Querulanten. Das Kongreßzentrum war durch gepanzerte Fahrzeuge, Wasserwerfer und Polizeiblockaden hermetisch abgeriegelt und zum Sperrgebiet erklärt worden, in dem jede Demonstration von vornherein als illegal erklärt wurde. Sogar Natotruppen sollen bereitgestanden haben, die aber nicht zum Einstatz kamen.

Der 26. September war von den sogenannten Globalisierungsgegnern zum Globalen Aktionstag erklärt worden. Der weltweiten Mobilisierung folgten nach stark schwankenden Schätzungen ca. 15.000 bis 35.000 nach Prag. Die Strategie der Organisatoren war von vornherein auf die Stürmung des Kongreßzentrums ausgerichtet gewesen. Die Demonstration begann am namesti miru und ging zielstrebig ohne Kundgebungen in Richtung des Kongreßzentrums. Dort spaltete sie sich in drei Züge auf, die an verschiedenen Zufahrtsstraßen und Eingängen des Kongreßgebäudes versuchten, die Polizeiblockaden zu durchbrechen. Diese Strategie mißlang aufgrund des massiven Polizeiaufgebots und wegen des Einsatzes von Tränengas, Wasserwerfern und Schockgranaten. Der Frust darüber entlud sich schließlich in kleineren Aktionen von militanten Gruppen, die McDonalds-Filialen, Banken und Geschäfte in der Innenstadt entglasten und sich heftige Scharmützel mit der Polizei in Barrikadenkämpfen lieferten. In der Folge wurden ca. 900 Personen verhaftet und teilweise weit über das zulässige Zeitmaß von 24 Stunden in Gefängnissen festgehalten. Die junge Welt berichtet in ihrer Ausgabe vom 30. September von sadistischen Mißhandlungen und sexuellen Belästigungen der Inhaftierten durch die tschechische Polizei: von Armbrüchen, Faustschlägen, Tritten und psychischer Einschüchterung, denen etwa eine österreichische Aktivistin nicht standhalten konnte, so daß sie aus dem Fenster im zweiten Stockwerk des Polizeigebäudes sprang und nun mit gebrochener Hüfte im Krankenhaus liegt.

Euphorisiert durch die Erfahrungen in Seattle, wo es gelang, die WTO-Konferenz zu blockieren und zum vorzeitigen Abbruch zu zwingen, traten die Demonstranten in Prag - dies bezieht sich hauptsächlich auf den sehr großen, von italienischen, spanischen und französischen Anarchisten dominierten Demonstrationsblock - mit ungewöhnlich starker Militanz auf. Dennoch konnte das Konzept "Turn Prague into Seattle" nicht umgesetzt werden. Zwar wurde auch der Prager Kongreß vorzeitig abgebrochen, jedoch krankt der Widerstand der sich selbst so nennenden Globalisierungsgegner an mangelnder Vernetzung der einzelnen im Weltmaßstab gesehen versprenkelten Gruppen, die es deshalb schwer haben, sich auf gemeinsame Inhalte zu verständigen. Die Begriffslosigkeit und Inhaltsleere kommen in der allerabstraktesten und schlichten Gemeinsamkeit, Gegner der Globalisierung zu sein, überdeutlich zum Ausdruck.

Globalisierung fungiert als Synonym für Kapitalismus. Zumindest soll der Widerstand gegen die Globalisierung antikapitalistisch sein. Daß der Kapitalismus im ausgehenden 20. Jahrhundert eine qualitativ neue Gestalt bekommen hat, soll in dem Wort Globalisierung zum Ausdruck kommen. Hier wird es schräg: denn der Widerstand richtet sich hauptsächlich gegen die Folgen einer qualitativ neuen Transformationsperiode des Kapitalismus und nicht gegen Kapitalismus überhaupt. Die Wut der Globalisierungsgegner gegen IWF und Weltbank entzündet sich vor allem an der Vergabepolitik von Krediten an Osteuropa und die Trikontländer, die an die Einhaltung von sogenannten Strukturentwicklungsplänen gebunden sind, in denen die Kreditnehmerstaaten gezwungen werden, ihre nationalen Märkte für ausländische Investoren zu öffnen, kapitalfreundliche Infrastruktur bereitzustellen, Staatsausgaben zu reduzieren etc., was generell zum Abbau sämtlicher sozialer Leistungen und Sicherungen und damit zu massiver Verarmung ganzer Bevölkerungen führt. In Ländern wie Mexiko und Chile hat diese Politik bereits in den siebziger Jahren große Auswirkungen auf die Lebensstandards der Bevölkerungen gehabt, aber auch in Osteuropa kommt nunmehr nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus die kapitalistische Modernisierung vollends zum Tragen und resultiert in sozialem Kahlschlag. Die imperialistischen Organisationen IWF und Weltbank sind 1944 von den führenden Industriestaaten zu dem Zweck gegründet worden, die Weltwirtschaft in ihrem Interesse zuzurichten, d.h. die Abhängigkeit der anderen Länder produktiv zu verewigen.

Die zentralsten Forderungen der INPEG (tschechische Koordinationszentrale der Antiglobalisierungsgruppen) sind: Schuldenannulierung für die Trikontstaaten und Demokratisierung der Institutionen IWF und Weltbank bzw. deren Auflösung. Als antikapitalistisch kann das nicht bezeichnet werden. Die Argumente der Globalisierungsgegner lassen zu wünschen übrig. IWF, Weltbank und WTO gelten zwar zu Recht als internationale Organisationen der kapitalistischen Staaten, gegen die sich seit Anfang der Neunziger Jahre zunehmend Widerstand richtet. Der Kapitalismus aber, das sollte jedem klar sein, geht nicht in diesen Institutionen auf, noch weniger in McDonalds-Filialen, die regelmäßig immer dann entglast werden, wenn das Schuldige zu abstrakt oder unerreichbar ist und der Widerstand gegen den Kapitalismus ins Leere zu laufen droht. Das "Kauft nicht bei McDonalds!" ist zudem weniger antikapitalistisch als strukturell antisemitisch. - Ebenso wie die Agitation gegen die 'Banken und Konzerne', die scheinbar die Regierungen wie Marionetten aus dem Hintergrund lenken. Nicht das 'raffende Kapital' lenkt eine zu wenig demokratische Institution, um die Welt auszubeuten, sondern demokratische Staaten kommen in den Beschlüssen des IWF überein, welche Bedingungen die Kapitalakkumulation in den einzelnen Ländern der Welt haben soll. Wessen Kapital in dieser Hinsicht profitieren soll, ist den IWF-Führungsstaaten (G7) von vornherein klar: ihr eigenes nationales. Die imperialistischen Großmächte erfüllen ihre kapitalistische Funktion ohne politisch-ökonomischen Druck einzelner Kapitalisten und Banker, weil das Interesse der Staaten mit denen der Kapitalisten zur Zeit weitgehend deckungsgleich ist. Mit ihrer Macht setzen die kapitalistischen Staaten eine Politik durch, die ihrem nationalen Kapital und damit ihrer eigenen ökonomischen und nationalen Potenz dient.

Fotos: LN - T. Krist (1), D. Port (1).

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