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Wer kennt nicht Dresdener Stollen, Aachener Printen, Burger Knäckebrot oder Nürnberger Lebkuchen? Manchmal hat man fast den Eindruck, der Ort wäre erst durch sein spezielles Naschwerk in die Kulturgeschichte eingegangen. Einmal, es war in der grauen Adventszeit, das Wetter muffelte vor sich hin, fuhren wir im männlichen Dreierpack auf einer trüben Autobahn südwärts. Es war langweilig. Als Hinweisschilder die Abfahrt Northeim androhten, kam ich auf die Idee, dass auch dieses Städtchen ein regionaltypisches Backwerk aufweisen müsse und überraschte meine Mitfahrer mit der Frage, ob sie schon von den berühmten »Northeimer Nikolaus-Happen« gehört hätten. Sie hatten nicht, und ich heuchelte Verwunderung. Northeimer Nikolaus-Happen, erklärte ich, würden traditionell rechtshändig gebacken und aus gut abgelagertem einheimischen Gerstenschrot hergestellt. Dem Quellteig werde eine Prise britannischen Ingwers und ein Schuss abgegorenen hessischen Apfelweines beigemengt. Für den exakt dosierten Kakaoanteil würden ausgereifte Bohnen aus Singapur verwendet, die auf Grund ihrer besonderen Rispenstruktur – zwei rechts, drei links – für die Northeimer Spezialität besonders geeignet wären. Die Northeimer Nikolaus-Happen dürfen nur von ortsansässigen Zunftmeistern in der Zeit vom 30. November, 2 Uhr, bis 18. Dezember, 22 Uhr, in begrenzter Stückzahl hergestellt werden. Das Backwerk gehöre wie das Brandenburger Tor zum UNESCO-Weltkulturerbe und trage das erweiterte europäische Gütesiegel. Brüssel und der IWF bezuschussen den Quellteig. Meine Mitfahrer hatten noch nichts von der Delikatesse gehört, zeigten jedoch Interesse. Das machte mir Mut. Die Herstellung der Happen, fuhr ich fort, obliege einer strengen Qualitätskontrolle durch die Innung. Eine Gutachter-Kommission, in der auch die im Kommunalparlament vertretenen Parteien repräsentiert seien, überwache den Backvorgang und erteile den Zuschlag für die Herstellung. Über das Quorum der Linkspartei würde noch entschieden. Das bis nach Bad Gandersheim verbreitete Northeimer Gewerbeblatt informiere aktuell über das Geschehen. Es sei im Übrigen auch so, ergänzte ich, dass der Gaumenkitzel wegen der limitierten Stückzahl ungern an Durchreisende verkauft werde. Die einheimischen Bäcker behaupteten mitunter sogar, von dem Naschwerk noch nie etwas gehört zu haben, um es nicht fremden Schlünden zuführen zu müssen. Davon dürfe man sich als Interessent jedoch nicht beeindrucken lassen. Die Northeimer seien bundesweit als besonders sturköpfig beleumundet. Da wir uns der Abfahrt Northeim inzwischen weiter genähert hatten und sowieso eine Pause anstand, schlug ich vor, in die Kommune abzuzweigen und gleich eine Probe aufs Exempel zu machen. Meine auf eine Kostprobe der echten Northeimer Nikolaus-Happen geradezu erpichten Mitfahrer stimmten zu, und wir verließen die A 7. Der erste Bäckerladen war bedauerlicherweise geschlossen. »Wegen fachspezifischer Weiterbildung«, wie auf einem Schild im Schaufenster zu lesen stand. Dafür hatten wir Verständnis. Ins nächste Fachgeschäft wurde ein Mitfahrer abgeordnet. Wir sahen ihn durch die Scheiben zuerst mit einer Verkäuferin freundlich reden und danach mit einem dazu getretenen Herrn im Bäckerkittel heftig gestikulieren. Schließlich verließ unser Mann hochroten Hauptes den Laden. Der Inhaber folgte ihm auf dem Fuße und notierte sich unauffällig unser polizeiliches Kennzeichen. »Du hast recht«, seufzte unser Kollege. »Die Northeimer sind Sturköpfe, wenn nicht gar Lügner!« »Du hast es wahrscheinlich sehr grob und undiplomatisch angestellt«, bemerkte der andere. »So etwas muss man mit Einfühlungsgefühl angehen!« »Das kannst Du ja gleich versuchen«, ermunterte ich ihn und steuerte zwei Straßenecken weiter ein »Backwaren-Logistik«-Geschäft an. Souverän verschwand unsere Testperson hinter der Ladentür. Wir warteten voller Spannung. In den ersten Minuten tat sich nichts. Nach einer Viertelstunde trat ein offensichtlich erregter Mensch im weißen Kittel vor das Geschäft, sah nervös in alle Richtungen, fingerte ein Handy aus der Tasche und gab drei Ziffern ein. Dann trat er von einem Bein aufs andere. Es vergingen nur wenige Minuten, bis ein Wagen der Ersten Hilfe mit Notsignal und mehreren kräftigen Medizinmännern vorfuhr. Nun bedurfte es unseres beherzten Eingreifens, um eine Reduzierung unseres Teams zu vermeiden. »Solche Ausraster kommen bei unserem Kollegen zuweilen vor«, informierten wir das skeptische Personal des Rettungswagens. »Aber er ist harmlos und befindet sich unter ständiger ärztlicher Aufsicht!« Die anschließende Auslieferung unseres Kollegen erinnerte mich an die über zwei Jahrzehnte zurückliegenden Übergabeverhandlungen auf der Glienicker Brücke. Unserem Mann war das Siegerlächeln abhandengekommen. »Jetzt bist du dran«, knirschte er mir aus dem schützenden Fonds des Wagens zu. »Wenn ihr meint«, sagte ich mit vorgetäuschter Selbstbeherrschung. In Marktnähe stießen wir auf den nächsten Backwarentempel. Meine Mitfahrer boten mir die Begleitung an, aber ich lehnte entschieden ab. Vor dem Ladentisch postierte ich mich so, dass man das Verkaufsgespräch von draußen schlecht einsehen konnte. »Geben Sie mir bitte ein halbes Pfund von diesen Lebkuchenherzen«, flötete ich der neubacken wirkenden Dame hinter dem Tresen zu und wies auf das nächstbeste Gebäck. »Aber gern«, flüsterte sie zurück. »Diese Printen werden in Northeim gern gekauft!« Meine Mitfahrer starrten mich fassungslos an, als ich, die duftende Tüte in der Hand, fröhlich zustieg. Vor dem Start biss ich einen Lebkuchen an, schnalzte verzückt und reichte die Kostbarkeit weiter. »Bedient euch, Freunde«, sagte ich. »Den britannischen Ingwer kann man einwandfrei herausschmecken!«
Erschienen in Ossietzky 24/2016 |
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