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Zuständig für die »Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus« ist nach unserem Recht nämlich nicht der Verfassungsschutz, sondern zuständig sind das Bundeskriminalamt sowie die Polizeien der Länder (§ 4a Bundeskriminalamtgesetz). Das ist auch konsequent: Bei terroristischen Anschlägen handelt es sich um schwere Straftaten gegen Leib und Leben, deren Verhinderung und Verfolgung Aufgabe der Polizei ist. Eine Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Verfassungsordnung sind solche Taten jedoch kaum – diese wird eher durch die staatlichen Reaktionen auf den Terrorismus, vor allem den Aufbau eines umfassenden Systems der elektronischen Massenüberwachung unterminiert. Immerhin können wir dem Verfassungsschutz dankbar sein, dass er wohl nicht – wie so häufig bei gewalttätigen Neonazis – versucht hat, die Terrorismusverdächtigen als V-Leute anzuwerben und dann dem polizeilichen Zugriff zu entziehen. Vor allem aber stellt sich die Frage, warum unsere Innenpolitiker nicht müde werden, den Verfassungsschutz sowie auch den Auslandsgeheimdienst BND als effektive Waffe gegen den Terrorismus anzupreisen und entsprechend aufzurüsten – technisch, finanziell und durch Einräumung neuer Überwachungsbefugnisse. Angesichts des völligen Versagens des Verfassungsschutzes bei der Aufklärung der terroristischen rechten Szene rund um den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) und angesichts der eifrigen Mithilfe des BND bei der weltweiten Massenbespitzelung würde es doch naheliegen, die Umtriebe der deutschen Geheimdienste wirksam einzuschränken und diese stärker an die Kandare zu nehmen. Wir erinnern uns: Besonders der Verfassungsschutz in Thüringen hat bei dem jahrelangen mörderischen Treiben des NSU nicht nur »weggeschaut«, sondern die polizeilichen Ermittlungen systematisch hintertrieben, angeblich, um seine V-Leute zu schützen. Eine gründliche Aufklärung, welche Rolle diese vom Staat großzügig alimentierten Personen in der Neonaziszene spielten und immer noch spielen, scheiterte nicht zuletzt an der planmäßigen Vernichtung zahlreicher Akten, die hierüber hätten Aufschluss geben können (»Operation Konfetti«). »Warum sind die Bundes- und Landesämter des Geheimdienstes nicht zu Tatorten erklärt worden?«, fragt der Journalist Andreas Förster zu Recht. Auch das Handeln des BND gibt Anlass zu scharfer Kritik. Er hat die NSA tatkräftig bei der Überwachung der globalen Telekommunikation anhand von circa 14 Millionen »Selektoren« unterstützt, von denen die wenigsten etwas mit der Abwehr von Terrorismus zu tun haben. Ausgeforscht wurden vielmehr etliche Politiker europäischer Staaten, Institutionen der EU, Wirtschaftsunternehmen und eine große Anzahl unbescholtener Privatpersonen. Nach dem Anfang September veröffentlichten Prüfbericht der Bundesdatenschutzbeauftragten betrug das Verhältnis zwischen Zielpersonen und bloßen Kontaktpersonen in der Datenbank XKeyscore eins zu fünfzehn, das heißt, dass jeweils eine große Anzahl völlig Unverdächtiger in das Visier der Geheimdienste geriet. Grundlage für diese ergiebige »Zusammenarbeit« war nicht etwa eine entsprechende gesetzliche Befugnis, sondern ein zwischen BND und NSA im Jahre 2002 ausgehandeltes »Memorandum of Agreement«, eine geheim gehaltene Verwaltungsvereinbarung, die den massiven Eingriff in das grundrechtlich geschützte Telekommunikationsgeheimnis zahlreicher Betroffener keineswegs zu legitimieren vermag. Nach der Enthüllung dieser Praktiken versprach die Regierung vollmundig eine BND-Reform. Die schließlich am 21. Oktober von der Bundestagsmehrheit beschlossenen gesetzlichen Änderungen pries der zuständige Staatssekretär Klaus-Dieter Fritsche als großen Zugewinn an Rechtssicherheit an. Mehr Rechtssicherheit wurde allerdings nicht für die von der Überwachung Betroffenen geschaffen, sondern für die Beschäftigten des BND: Sie können sich bei ihren fragwürdigen »Dienstleistungen« juristisch besser abgesichert fühlen als vorher. »Mit der Reform des BND-Gesetzes«, so die Kritik des Geschäftsführers der Humanistischen Union Sven Lüders, »wird per Handstreich all das legalisiert, was der Geheimdienst bisher schon im Verborgenen praktizierte – und noch Einiges mehr, von dem die Öffentlichkeit zumindest nichts wusste.« Mit der Methode des »Nachschiebens von Legalität« versucht man auch die schwere Legitimationskrise des Verfassungsschutzes zu bewältigen. Zunächst hatten Politiker der Großen Koalition versprochen, die Vorschläge der Parlamentarischen Untersuchungsausschüsse zur Eindämmung der skandalösen Praktiken der Verfassungsschutzämter umzusetzen. Was dabei herauskam, ist schlicht das Gegenteil: Der umstrittene Einsatz von V-Leuten, häufig kriminelle Aktivisten der Neonaziszene, wurde mit der Neufassung des Bundesverfassungsschutzgesetzes vom 20. November 2015 auf scheinbar rechtsstaatliche Füße gestellt. »Verdeckte Mitarbeiter« der Ämter sowie deren V-Leute dürfen danach Straftaten begehen und sich insbesondere als Mitglieder von kriminellen beziehungsweise terroristischen Vereinigungen betätigen; die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung »von im Einsatz begangenen Vergehen absehen« oder das Verfahren einstellen. Damit kann der Verfassungsschutz auch künftig durch Zahlung erheblicher Geldsummen an kriminelle V-Leute seinen Beitrag zum Aufbau neonazistischer Infrastrukturen leisten. So erhielt allein der Thüringer Nazi-Aktivist Tino Brandt etwa 200.000 Euro. Als Zeuge im Münchner NSU-Prozess berichtete er auch, dass der Thüringer Verfassungsschutz ihn 1998 um die Übermittlung eines Geldbetrages an die Mitglieder des NSU gebeten habe. Die Berichte der V-Leute, so behaupten die Protagonisten des Verfassungsschutzes, seien zur Gewinnung von »Erkenntnissen« über die Szene unverzichtbar. Aber wie glaubwürdig sind solche Spitzelaussagen? Insider wissen, dass die neonazistischen V-Leute vor allem ihr eigenes Wohlergehen und die Verbreitung ihrer rassistischen Ideologie im Blick haben, kaum aber den Schutz der demokratischen Verfassungsordnung. Durch das V-Leute-Unwesen und die staatliche Alimentierung neonazistischer Umtriebe wird also keineswegs die Verfassung geschützt, sondern das Gegenteil bewirkt. In den siebziger Jahren wurde linksorientierten jungen Menschen der Zugang zum Beispiel zum Lehramt mit der Begründung verweigert, sie böten nicht die Gewähr, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes einzutreten. Aber wo sitzen eigentlich die Verfassungsfeinde? Kann eine Gesellschaft noch als »freiheitlich« bezeichnet werden, in der jeder Mensch damit rechnen muss, dass seine gesamte private Kommunikation per Telefon oder über das Internet – angeblich zur Bekämpfung des Terrorismus – überwacht und ausgeforscht wird?
Erschienen in Ossietzky 24/2016 |
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