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Die Notwendigkeit für dieses Referendum ergibt sich aus der schlichten Tatsache, dass die Regierung von Matteo Renzi ihr komplexes Reformpaket im Parlament ohne die für Verfassungsänderungen nötige Zweidrittelmehrheit durchgepeitscht hat, nur deshalb ist nun – laut Verfassung – eine Bestätigung durch das Wahlvolk erforderlich, die seit langem die politische Kontroverse anheizt. Worum geht es bei dieser »riforma«, die von einem renommierten Gegner wie Tomaso Montanari sogar mit einer »Pistole an der Schläfe der italienischen Demokratie« verglichen wird? Sachlicher ausgedrückt geht es um eine Anpassung der demokratischen Grundsätze der Verfassung an jene postdemokratische Wirklichkeit, in der schon die einfache Gesetzgebung der letzten Jahre das Sozial- und Arbeitsrecht sowie das allgemeine Wahlrecht weitgehend ausgehöhlt hat. Begonnen hatte damit Silvio Berlusconi. Doch die Ansätze zum Abbau des Zweikammer-Parlaments und zur Errichtung einer Art Präsidialrepublik reichen weiter zurück. Schon in den 60er Jahren hatte die Rechte mehrfach versucht, eine Seconda Repubblica zu schaffen. Auf internationaler Ebene benannte 1975 die Trilaterale Kommission in ihrem »Report on the governability of Democracies« jene »Probleme der Regierbarkeit«, die fast vierzig Jahre später, im Mai 2013, von J. P. Morgans Thinktank für Europas »Peripherie« politisch präzisiert wurden: Dort gebe es nämlich noch einen »starken Einfluss sozialistischer Ideen, Ausdruck der politischen Stärke der Linksparteien nach dem Sieg über den Faschismus«. Und eben das hätte zur »Schwäche der Exekutive gegenüber den Parlamenten und Regionen, zum verfassungsgemäßen Schutz von Arbeiterrechten und Protesten gegen unliebsame Änderungen« geführt. Die Notwendigkeit der Abänderungen solcher Verfassungen stand damit auf der Tagesordnung. Dem tragen in Italien inzwischen längst alle Regierungen Rechnung. Mario Monti, einstiger J.-P.-Morgan-Manager, der 2011 Berlusconi auf höheres Geheiß aus Brüssel ablöste, gelang es sogar, das sogenannte Stabilitätsgesetz in die Verfassung einzubringen. Sein Nachfolger Enrico Letta war zu kurz im Amt, um etwas durchzusetzen. Aber Matteo Renzi, der ihn als neuer Sekretär des Partito Democratico (PD) 2014 überraschend ablöste, trat explizit zur Veränderung des Landes und dessen Verfassung an. Das begann mit der rottamazione, der Verschrottung alles »Alten«, vor allem der alten Linken, auch der Ex-Kommunisten, die noch in seiner Partei überdauerten. Renzis Koalition aus PD und Teilen von Berlusconis alter Forza Italia basiert allerdings auf einem Parlament, das nach einem Wahlrecht gewählt wurde, das 2014 vom Verfassungsgericht als verfassungswidrig beurteilt wurde. Dass nun ausgerechnet dieses Parlament sich anschickt, eine so fundamentale Verfassungsänderung durchzudrücken, die nicht etwa mit breiter konstitutioneller Übereinkunft, sondern von Renzis Regierung ausgearbeitet wurde, erscheint vielen im Lande auch moralisch fragwürdig. Von demokratischem Stil ganz zu schweigen. Ebenso fragwürdig wie die Modalität, über 47 Artikel mit unterschiedlichsten Inhalten – deren komplexe Formulierungen die wenigsten Wähler kennen beziehungsweise verstehen dürften – mit einem einzigen Ja oder Nein abstimmen zu müssen. So hat denn Renzi auch von Beginn an suggeriert, es handle sich im Grunde um eine Abstimmung für oder gegen ihn und seine Neuerungen – um eine Entscheidung zwischen Fortschritt und Reaktion. Und er hat für den Fall einer Ablehnung mit seinem Rücktritt gedroht. Die populistische Zuspitzung der Auseinandersetzung und die damit verstärkte politische Spaltung der Gesellschaft schürt bei den meisten Italienern die Sorge vor erneuter Unsicherheit. Die schon drohend in Aussicht gestellten finanzpolitischen Folgen (an der Börse und beim Zinsniveau der Staatsverschuldung) steigerte die Financial Times (20.11.) sogar zur Gefahr eines bevorstehenden Austritts Italiens aus dem Euro. Entsprechend hat Renzi denn auch volle verbale Unterstützung aus Brüssel, Berlin und sogar jüngst noch von Barack Obama erhalten, bei einem Abschiedsbesuch in Washington, den Renzi mit einem Tross von 500 Gefolgsleuten aus Italiens Establishment als großes Medienspektakel inszenierte. Die poteri forti (Machteliten) stehen also hinter ihm. Seit dem Frühjahr jettet Renzi mit seinem Regierungsflieger kreuz und quer durch das Land, verspricht Vorwahlgeschenke überall und zieht alle Register populistischer Vereinfachung. Seine Medienpräsenz im Staatsfernsehen und im Internet übersteigt die seiner Vorgänger um ein Vielfaches. Publikumswirksam gibt er vor, vor allem die beim Wahlvolk besonders verhassten »Kosten der Politik« senken zu wollen, indem er das Zweikammersystem de facto aus den Angeln hebt durch eine regionale Beschränkung der zweiten Kammer (Senat), deren zahlenmäßig verringerte Mitglieder nicht mehr direkt vom Volk gewählt werden sollen, – vorgeblich um das parlamentarische Prozedere »zu vereinfachen«. Dass mit dem abgespeckten Senat auch dessen bisherige Kontrollfunktion weitgehend entfällt, erwähnt er nicht. Auch nicht das fatale Zusammenspiel mit dem erneuerten Wahlgesetz, das Renzi nur mit Misstrauensvotum im Parlament durchsetzen konnte und über dessen Verfassungsmäßigkeit das Verfassungsgericht erst nach dem Wahltermin (!) entscheiden wird. Das sichert nämlich diesmal der relativ stärksten Partei im zweiten Wahlgang einen Mehrheitsbonus von 55 Prozent der Abgeordneten zu und de facto einen direkt gewählten Regierungschef. Mit solch übermäßiger Machtkonzentration bei der Exekutive und zunehmender Einschränkung der Volkssouveränität durch stark reduzierte Repräsentanz des Wählerwillens werden die Regierungschefs künftig endlich durchregieren können! Gegner dieser möglichen de jure Umfunktionierung Italiens zu einer gefürchteten autoritären Postdemokratie finden sich quer durchs Land: von der schwachen, längst außerparlamentarischen Restlinken über Teile der Gewerkschaften und bis hin zu Vertretern von Renzis PD, ebenso wie bei den Rechten, vom wieder auf der Bühne präsenten Berlusconi bis zur Lega Nord und den Ex-Faschisten, aber vor allem bei Grillos M5S, der oppositionellen Fünf-Sterne-Bewegung, deren weiteres Erstarken die meisten im Lande mit Sorge sehen. Namhafte Verfassungsrechtler legen sich ins Zeug und erklären, dass und wie die demokratische Verfassung des Staates noch zu retten sei, erreichen mit ihren Argumenten aber kaum die große Menge derer, die politisch abseits stehen. Viele setzen eher auf eine mögliche Ablösung Renzis. Eine solche steht zwar in keinem zwingenden Zusammenhang mit dem Ausgang einer Volksabstimmung, ein mehrheitliches No würde aber dessen im Lande schon angeschlagene Position weiter schwächen und den Wahltermin für ein neues Parlament näher rücken lassen. Renzi, der zwischenzeitlich noch einen Rückzieher gemacht hatte, setzt kurz vor der Wahl wieder alles auf eine Karte: nach ihm die Sintflut ... Si- und No-Anhänger agieren mit ungleichen Mitteln, Renzi hat seinen gesamten Propagandaapparat eingesetzt und die großen Medien auf seiner Seite, die Verfechter des No engagieren sich überwiegend an der Basis und finanzieren ihre Kampagnen selbst. Am 4. Dezember genügt eine einfache Stimmenmehrheit ohne Quorum. Das Ergebnis ist offen, die Spannung groß.
Erschienen in Ossietzky 24/2016 |
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