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Gleich drei haben sie davon, und Begriffe wie Friedenspflicht und Tarifeinheitsgesetz sind unaussprechliche Fremdworte aus Deutschland. Am schlimmsten ist die Confédération nationale du travail (CGT) mit ihrem Chef Philippe Martinez. Diese einst (oder vielleicht immer noch?) kommunistische Arbeitervertretung hatte einmal Millionen Mitglieder, heute immerhin noch 700.000. Den neuen Gewerkschaftsboss (er wurde im Februar 2015 gewählt) habe man, so kann man es in deutschen Gazetten lesen, vollkommen unterschätzt. Was verwunderlich ist, denn wegen seines Schnurrbarts wird er allenthalben mit Stalin verglichen. Auf diesen Leibhaftigen konzentriert sich nun die mediale Empörung. Schlechte Noten verteilt man als Klassenprimus schon länger. Im Gegensatz zu uns haben die Franzosen eben noch nicht verstanden, dass immer längere Arbeitszeiten auch immer mehr Arbeitsplätze schaffen, dass ein möglichst geringer Mindestlohn ein auskömmliches Leben garantiert und dass ein möglichst später Rentenbeginn jungen Leuten viele Jobs verschafft. Daher gibt es dort immer noch die 35-Stunden-Woche, den höchsten gesetzlichen Mindestlohn in der EU und die Rente mit 60. Der biedere deutsche Leser versucht sich vorzustellen, was wäre, wenn solche »Chaostage in Frankreich« hier ausbrächen. Ein Herr Martinez wäre wahrscheinlich schon wegen »gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr« verhaftet und hätte zudem dutzende Schadensersatzklagen am Hals. Aber keine Angst, der französische Streikvirus hat es selten über den Rhein geschafft. Auch in Frankreich schießen die Medien der Multimillionäre aus allen Rohren. Während die mehrheitlich von Studenten dominierte Protestbewegung »nuit debout« (nachts hellwach) noch mit einigem Wohlwollen betrachtet wurde, kennt man mit der CGT und deren Chef kein Erbarmen. Im ersten französischen Fernsehen (TF1) des Bauunternehmers Bouygues werden in den Nachrichten minutenlang die Leiden der wartenden Autofahrer an den Zapfsäulen gezeigt. Über die »wahren Motive« der CGT wird kein Zweifel gehegt: Martinez will mit dem Streik nur den Mitgliederschwund seiner Gewerkschaft stoppen. Auch die Presse hat sich größtenteils gegen die Gewerkschaft verschworen. Im Figaro (Eigentümer: Rüstungsfabrikant Dassault) wird die Organisation als altes verrostetes Kraftwerk beschrieben, welches sich auf einer unerbittlichen Flucht nach vorne befindet. Einige Journalisten sind sich nicht zu schade, die CGT in einem Atemzug mit dem Front National zu nennen. Aber selbstverständlich lässt auch die Le-Pen-Partei kein gutes Haar an den Gewerkschaften – bis auf eine Ausnahme: Der FN unterstützte massiv die Demonstration der Polizeigewerkschaft SCSI (Syndicat des cadres de la sécurité interieure) am 18. Mai. Immer mehr gerät aus dem Blickfeld, worum es eigentlich geht. Das neue Arbeitsgesetz, in Frankreich traditionell nach dem zuständigen Minister benannt, ist der erste Schritt zu einem französischen »Hartz IV«. Das »El Khomri«-Gesetz der gleichnamigen Arbeitsministerin ist trotz aller Propaganda von Regierung und Parteien alles andere als beliebt. Über die Tatsache, dass fast 70 Prozent der Franzosen das neue Arbeitsgesetz ablehnen, wird freilich kaum noch gesprochen. Ganz zu schweigen von Umfragen, wonach noch ganze acht Prozent der Franzosen Vertrauen in politische Parteien haben. Der Präsident und sein Premierminister setzen voll auf die laufende Fußball-Europameisterschaft. Wer sollte es trotz des immer noch bestehenden Ausnahmezustands und der Fußballeuphorie wagen, als Spielverderber dazustehen? Zwar hat man sich nicht getraut, die Streiks zu verbieten, aber die Müllberge wurden diskret von Privatfirmen weggeräumt und der Pariser Nahverkehr durch ein Notprogramm aufrechterhalten. Aber die Gewerkschaften lassen sich nicht unterkriegen. Das zeigt die Großdemonstration gegen das »El Koumri«-Gesetz am 14. Juni in Paris, und auch Piloten und Fluglotsen wollen wieder streiken. Ein YouTube-Blogger auf der Website der CGT beschreibt den streikbereiten Durchschnittsfranzosen so: »Er mag den Fußball, aber er mag nicht, wenn man die Spielregeln ändert ...«
Erschienen in Ossietzky 13/2016 |
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