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Mit der Fragestellung »Kontroverse & Kompromiss« wandte sich die Wissenschaft den zwischen 1505 und etwa 1570 entstandenen konvexen Pfeilerbilder zu. Plötzlich erscheinen sie im Kontext der Konfessionalisierung, hie katholisch, da protestantisch, als wichtiges Ensemble, und die Bildbedeutungen werden erstmals sichtbar. Vielseitig erläutert ein gewaltiges Buch tiefgründig auf 400 Seiten mit vielen farbigen Abbildungen und differenzierenden fundierten Artikeln weit über die nun abgeschlossene Ausstellung hinaus stadt-, religions-, und kulturhistorische Aspekte und gibt zudem eine Einführung in christliche Kunst. Die Pfeilerbilder dienten als tägliche Bilder für die Domgemeinde, welche nur gelegentlich den Hohen Chor betreten durfte, dem Andenken, der Fürbitte oder Repräsentation. Der Argumentation durch Bilder in der Reformationszeit stehen im Dom die Pfeilerbilder als erwidernde Argumentation gegenüber. Sie stehen für religiöse und kirchliche Kontinuität. Denn nach der simultanen Nutzung des Domes durch Neu- und Altgläubige ab 1526 wurde er 1530 den Katholiken zugewiesen. Der Bildsinn tritt in der Reformationszeit den protestantischen Bildern gegenüber. Die Gregorsmesse ist wie andere Themen ein unökumenisches Thema, das seit der Reformation nur vereinzelt und nur auf der altgläubigen Seite auftritt. Im Bild steht Christus in seinen Wunden auf einem Altar, der Blutstrahl stürzt aus der Seitenwunde in einen Kelch. Dem Opfer schlägt die Pracht der Liturgie entgegen, die aus Ablässen gewonnen wurde und folglich im »diametralen Gegensatz zu den neuen theologischen Konzepten geriet« (Christian Hecht). Im Bild »Stammbaum Mariens« sollte die »Unbefleckte Empfängnis« Mariens propagiert werden und ihre Krönung zur Himmelskönigin, ein Rang, den ihr Luther nicht zugesteht. Welche Mühe es bereitet hat, den Transformationsprozess der Menschwerdung Christi theologisch zu erklären, veranschaulicht die Allegorie der Eucharistischen Mühle. In deren Trichter fallen Texte der Evangelien, in denen das Wort Gottes offenbart wird. Durch tätige Apostel kommt als Mahlgut das Schriftband »Das Wort Gottes ist Fleisch geworden« aus der Schütte, zudem das nackte Christuskind. Es blickt aus dem Kelch, der von Kirchenvätern gehalten wird, was das kirchliche Amt kennzeichnet und 1534 sich gegen die Reformation selbstvergewissert. Dagegen weist in dem Pfeilerbild Johannes der Täufer in seiner Predigt, einem evangelischen Prediger gleich, auf den anwesenden Christus, das Lamm. Ein neugläubiges Bildprogramm präsentieren im Chorgewölbe der Kaufmannskirche die protestantische Taufe, Kanzel und Altar mit dem vollständigen christologischen Bezug und dem Austausch der Maria gegen den Moses. Etwas differenzierter gesehen wird, dass der Jesuiten-Orden nicht allein zu Rekatholisierung gegründet wurde, sondern zuerst zur katholischen Reform. Bedenken sollte man auch, dass die protestantische Übersetzung des Alten Testamentes genauer ist als die katholische, aber Luthers Bestreben, sich ganz auf die Bibel zu berufen, ihn vor Einsichten hemmte, zu denen die Jesuiten in der Lage waren, beispielsweise Kopernikus‘ heliozentrisches Weltbild anzuerkennen. In Erfurt gab es »zwei Wahrheiten« (Birgit Emich), die auf konkurrierenden theologischen Tatsachen beruhten. Die dritte, die jüdische, die ihnen gegenüberstand, gab es damals in Erfurt nach den Pogromen nicht mehr. Ein jüdischer Hohepriester widerspricht auf einem Pfeilerbild gegenüber dem gekreuzigten Christus dessen Gottessohnschaft, während Ungläubige sich zum Christentum bekannten. Bei der Anbetung des Kindes wird jedoch auch ein Türke, ein Feind christlichen Glaubens, eingebunden. Als Lösung, wie Katholiken und Protestanten nach der konfessionellen Spaltung künftig zusammenleben wollen, brachte der Augsburger Religionsfrieden von 1555 die Formel hervor: Wer über das Land herrscht, soll auch die Religion bestimmen. Der Untertan musste sich der Entscheidung des Landesherren fügen oder in ein entsprechendes Territorium oder eine bikonfessionelle Reichsstadt auswandern. Die war Erfurt zwar nicht, aber es wurde doch zur ersten bikonfessionellen Stadt und betrieb Religionsfrieden. Das ergab sich, weil der Stadtrat mit dem weit entfernten Landesherrn, dem Erzbischof von Mainz, für die Mehrheit der Erfurter verhandelte und mit dem Evangelischen die »Schirmherren« ihrer sächsischen Umgebung ausspielte. Der Stadtrat stellte nicht den Schutzpatron von Mainz, den Hl. Martin, vor dem Rathaus auf, sondern trat dem Erzbischof mit einem republikanischen »Römer« entgegen. In gereifter Unparteilichkeit ließen die Erfurter Stadtoberen zudem beide Konfessionen »friedlich und ruhig bey- und neben einander wohnen«. Denn die Stadt war keine Heilsgemeinschaft, für ihr Miteinander stand nicht mehr der gemeinsame Glaube, sondern der Wille, sich als politische Gemeinde zu verstehen. Damit wuchs ihre Stärke, die in der zentralen Lage, im fruchtbaren Waidanbau, dem intellektuellen Zentrum (Universität seit 1392; Humanismus; Buchdruck für beide Konfessionen) begründet war. Ein modernes Modell. Katalogbuch »Kontroverse und Kompromiss – Der Pfeilerbilderzyklus des Mariendoms und die Kultur der Bikonfessionalität im Erfurt des 16. Jahrhunderts«, Hg. Eckhard Leuschner, Falko Bornschein, Kai Uwe Schierz, Sandstein Verlag, 29,90 € (im Erfurter Angermuseum)
Erschienen in Ossietzky 20/2015 |
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