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Aber das ist Museumsfrühgeschichte. Der Shop wurde zerhackt, das Geschäft ausgesourct, die Mitarbeiterinnen in die Aufsicht abgeschoben oder, wahlweise, der freien Marktwirtschaft überantwortet. Auch andere und anderes wurde outgesourct; gleichzeitig passiert aber auch das Gegenteil: Es wird ingesourct – in diesem Fall eine liquide Bank; die dazu passende Personalpolitik gab es schon länger (Griechenland beginnt am Neckar). Aber: Der Staat hat zu wenig Geld, zumindest zu wenig für Kunst und Kultur. Klar ist, der Rettungsschirm für Banken kostet viel. Aber zum Glück sind die Banken, die erwähnte ist nicht die einzige, großzügig genug, etwas zurückzugeben. Weniger der Allgemeinheit, die dürfte eher selten im Metzler-Saal Platz nehmen, der als Vortragsraum und Party-Location gebucht werden kann. Das Bildungsbürgertum hat sich ins Geldbürgertum verwandelt und zieht die Nähe zu den Objekten vor, deren Gewinnsteigerung nur noch mit Drogengeschäften und Prostitution vergleichbar sind: Kunstwerke. Das alles findet im strahlenden Lichte statt, dafür sorgt die rot-grüne Landesregierung, die nun auch ihre direkten Sponsoren veröffentlichen will. Da hätte ich eine Idee, angelehnt an die Gepflogenheiten im Sport: Der Ministerpräsident trägt einfach einen Anzug, auf dem die Firmen vermerkt sind, die am meisten gespendet haben und denen das Land so oder so gehört. Je nach Spende könnten die Hinweise auch auf die Minister verteilt werden. Eine wahrlich bunte Riege würde da entstehen, und wir wüßten immer gleich, wer wem gehört, und müßten nicht nachforschen. Übrigens könnte das Vorgehen der Staatsgalerie noch andere Dämme brechen und der neoliberalen Flut weitere Gebiete öffnen: In der Schule könnten die Klassenzimmer nach Sponsoren benannt werden, dann würde die erste Klasse zum Beispiel im McDonald-Zimmer lernen, die zweite im Coca-Cola-Raum, die dritte im Lego-Land und so weiter. Wenn im Heiligsten der profanen Welt der Bürger, im Kunsttempel, derartiges möglich sein sollte, warum nicht auch in der Schule, wo man doch für das Leben lernen soll. Oskar Stuttgarter Ein neuer Tourismus-TrendEigentlich sollte man annehmen, daß Regionen und Städte mit ihren Sehenswürdigkeiten um Touristen buhlen – tatsächlich wurden sie bisher auch meist mit Schlössern, Museen, Parkanlagen oder Shopping-Zentren angelockt. Mit historischen Persönlichkeiten und Künstlern – von Luther bis Händel – konnte man touristisch ebenso punkten. Diese kulturellen und landschaftlichen Angebote scheinen aber nicht auszureichen, um die Übernachtungszahlen zu steigern. Neue Ideen greifen Raum, zum Beispiel Krimi-Tourismus. Stadtbesichtigungen und Ausflüge der anderen Art – mit einem Hauch von Abenteuer und Nervenkitzel. Dabei geht es nicht um historische Kriminalfälle sondern um zeitgenössische »böse Taten«, die vorher auf der Bestseller-liste standen oder gerade über den Bildschirm flimmerten. Das ist doch einmal etwas anderes – nicht auf den Spuren von Johann Sebastian Bach, sondern in den Fußstapfen eines »Tatort«-Kommissars. Schlechte Karten haben da Städte, die ohne populären Fernsehermittler auskommen müssen. Also wetteifern sie um Drehbuchautoren und Regisseure, damit ihre Kommune einmal zum Tourismus ankurbelnden Original-Tatort wird. Aber bitte keinen schlichten Mord. Es muß schon etwas Ausgefallenes sein – wie jüngst das nächtliche Anzünden eines Opfers auf dem 10-Meter-Sprungturm eines Freibades. Da könnte man doch hinterher glatt die Eintrittspreise erhöhen. Oder der Fall einer schon halberstarrten Leiche von der Kirchturmspitze mitten auf den Marktplatz. Grund genug für eine Erinnerungstafel. Schade, daß es hierzulande so wenig Wolkenkratzer gibt, dann könnte der Tatort noch weiter gen Himmel verlegt werden. Neben einem spektakulären Tatort darf selbstverständlich auch der Kommissar (oder das Team) nicht einfach nullachtfünfzehn sein, kein biederer Maigret sondern ein Schimanski-Typ, der es mit den Gesetzen selbst nicht so ernst nimmt. Hauptsache verschroben, grantig und kauzig. Je unrealistischer das Verbrechen und je exzentrischer der Kommissar, desto besser scheinbar für die Tourismus-Besucherzahlen. Kultur-Stadt ist out – Krimi- oder Grusel-Stadt ist in. Manfred Orlick Protestparteien bestimmen mitSeit Ende Juni weht in Spaniens mächtiger Region Madrid ein frischer Wind. Die konservative Partido Popular (PP) verlor nach Jahren der Alleinregierung hier bei der Wahl am 24. Mai ebenso wie in weiteren Landesteilen ihre absolute Mehrheit. Vor allem linke und liberale Allianzen sorgten für veränderte politische Kräfteverhältnisse. Daß die PP weiter in Madrid regieren kann, hat sie der 2006 gegründeten Partei Ciudadanos (Staatsbürger) zu verdanken. Die Partei ist in vier Bündnissen Partner der PP, aber auch in einem linken Bündnis vertreten. Anders die 2014 als Partei eingetragene Formation Podemos (Wir können es), die nur zu Linksbündnissen bereit ist. Die beiden Parteien haben ihren jeweiligen Bündnispartnern – der PP und der Partido Socialista Obrero Español (PSOE) – erhebliche Zugeständnisse abringen können: mehr Sozialleistungen, Privatisierungstop im Gesundheitswesen, neue Arbeitsplätze für Ärzte, Krankenhauspersonal und Lehrer. Das von PSOE und Podemos eingegangene Bündnis verpflichtet sich zur Schaffung von Anlaufstellen für von Zwangsräumung betroffene Bürger, denen auch Wohnungen zur Verfügung gestellt werden sollen. Geplant ist zudem eine Kürzung der Abgeordnetendiäten. Ciudadanos trotzte der PP-Regierungschefin der Region Madrid, Cristina Cifuentes, ein umfangreiches Programm zur »demokratischen Erneuerung« ab. In Madrid ist die PP in mehrere Korruptionsskandale verwickelt. Nach den neuen Bestimmungen sollen strafrechtlich beschuldigte Parlamentarier in dieser Region künftig zum Rücktritt gezwungen werden. Beschränkt wird auch das Mandat von Regierungsmitgliedern auf acht Jahre, Spitzenkandidaten müssen durch Vorwahlen legitimiert sein. Bei den spanischen Parlamentswahlen im Herbst wird man sehen, ob die neuen Parteien auch landesweit Akzente setzen können. Karl-H. Walloch Gewaltfrei gegen AtomwaffenDie diesjährige Blockadekampagne »büchel65« knüpfte an die Musikblockade 2013 und an das zehntägige Aktionscamp 2014 gegen den einzigen in Deutschland noch verbliebenen Atomwaffenstützpunkt Büchel/Eifel an. Dort lagern derzeit 20 Atombomben. Sie sollen durch modernere und zielgenauere Atomwaffen ersetzt werden. Täglich üben Bundeswehrpiloten mit ihren Tornados, die völkerrechtswidrigen Waffen auf ihr Bestimmungsziel abzuwerfen (atomare Teilhabe Deutschlands), und verstoßen permanent gegen den Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (NPT-Vertrag). Der Anfang der diesjährigen Widerstandswochen wurde auf den fünften Jahrestag jenes Bundestagsbeschlusses gelegt, nach dem Deutschland atomwaffenfrei werden sollte. Die Umsetzung wurde jedoch von den Bundesregierungen nie ernsthaft verfolgt. Das Ende der Kampagne fiel mit dem Ende der als gescheitert zu bewertenden NPT-Konferenz in New York zusammen. Der Zeitraum dazwischen betrug 65 Tage. »An möglichst vielen der 65 Tage blockieren unterschiedliche Gruppen jeweils für einen Tag die Zufahrten zum Fliegerhorst Büchel«, hieß es im Aufruf von büchel65. Dem Aufruf zum zivilen Ungehorsam folgten Aktionsgruppen aus ganz Deutschland, aber auch aus Frankreich. Die Ausgestaltung war bunt und vielfältig: Es gab Geburtstags-, Gottesdienst-, Betriebsausflugs-, Konzert-, Jugendnetzwerks-, Familien- und Lesungsblockaden. Mehrmals konnte der Fliegerhorst für mehrere Stunden ganz dichtgemacht werden. Auch kleineren Gruppen gelang es, direkt vor dem Haupttor den Militärbetrieb zu stören. Insgesamt machten an 31 Tagen etwa 400 Aktivist_innen darauf aufmerksam, daß sie nicht mehr gewillt sind, das von diesem Massenvernichtungsmittel ausgehende Unrecht hinzunehmen. Bei der Abschlußblockade am 29. Mai machten knapp 40 Aktionsteilnehmer_innen durch das Mitführen ihrer Zahnbürste (Zahnbürstenblockade) deutlich: »Wenn wir auch am letzten Tag wieder geräumt werden und Platzverweise erhalten, werden wir diese ignorieren und uns so lange wieder dem Fahrzeugverkehr in den Weg setzen, bis wir in Gewahrsam genommen werden.« 22 beharrliche Blockierer_innen schafften es an dem Tag in den Gefangenenbus der Polizei. Durch eine Dauerpräsenz in der Nähe des Haupttors über 65 Tage hinweg konnten die einzelnen Gruppen empfangen, vorbereitet und in ihren Aktionen begleitet sowie die Medien kontinuierlich informiert werden. Die permanente Präsenz war das Bindeglied zwischen den Gruppen und Aktivitäten. Neben der Störung des Militärbetriebes waren die Erfahrungen des gewalt-freien Widersetzens wichtig, die manche Teilnehmer_innen der Aktionen zum ersten Mal machten. »Wir werden wiederkommen«, sagten fast alle Aktivist_innen. Die Bedrohung durch Atomwaffen hat mit der Ukraine-Krise und der zugespitzten Konfrontation der beiden wichtigsten Atommächte neue Brisanz erhalten. Mit der beabsichtigten Modernisierung ihrer Atomwaffenarsenale wird eine neue nicht zu kontrollierende Aufrüstungsspirale in Gang gesetzt, an deren Ende die Vernichtung von uns allen stehen könnte. Die Fortschritte der letzten Jahre bei der atomaren Abrüstung werden zunichte gemacht: Der Vertrag zwischen den USA und der UdSSR zur Begrenzung von Raketenabwehrsystemen (ABM-Vertrag) liegt auf Eis, auch der bilaterale Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme (INF-Vertrag) droht einseitig gekündigt zu werden, der NPT-Vertrag gilt durch die Weigerung der Atommächte zur Abrüstung (ihre Verpflichtung aus dem § 6 dieses Vertrages) als »zahnlos«. Ein Hoffnungsschimmer: die neue Initiative zur Ächtung aller Atomwaffen, die von Österreichs Regierung international vorangetrieben und bisher von über 100 Staaten unterstützt wird. Deutschland ist allerdings nicht dabei. Nur konsequenter Druck von unten kann eine neue notwendige Dynamik in der atomaren Abrüstung in Gang setzen. büchel65 war ein Schritt zur Umsetzung unserer Vision von einer Welt ohne atomare Bedrohung. Ernst-Ludwig Iskenius Ernst-Ludwig Iskenius ist aktiv für IPPNW und im büchel65-Orga-Team. Heidelberger LesebuchEs ist schon eine illustre Gesellschaft: Von Hannah Arendt über Emil Julius Gumbel und Rosa Meyer-Leviné bis Carl Zuckmayer – alle, die unter den Heidelberger Intellektuellen zwischen 1910 und 1933 einen Namen hatten, sind in diesem Band versammelt, vorausgesetzt, sie haben zu den nach 1933 Verfemten gehört (zwei schon zuvor Verstorbene ausgenommen). Die lichtvollen Seiten Heidelbergs stehen im Vordergrund, die dunkleren bis schwarz-braunen sind jedoch nicht ausgespart, waren sie doch für die Schicksale der hier Porträtierten zumindest mitbestimmend, zumeist nicht erst nach 1933; merkwürdigerweise fehlt der 1937 zwangsemeritierte Karl Jaspers. Der Band liefert also keine »ausgewogene« Darstellung, er ist vielmehr ein Lesebuch im besten Sinne des Wortes. Da steht ein mit einer kurzen Einführung versehenes Dokument neben einer detaillierten historischen Darstellung, eine Jugenderinnerung neben einer dezidiert rechtstheoretischen Betrachtung, kein Beitrag länger als zwanzig Seiten. So kann an jedem freien Abend eine Geschichte gelesen werden, wobei sich die Freude an kleinen Reminiszenzen und intelligenten Beobachtungen immer wieder einstellt. Thomas Kuczynski »Intellektuelle in Heidelberg 1910–1933. Ein Lesebuch«, herausgegeben von Markus Bitterolf, Oliver Schlaudt und Stefan Schöbel, edition schöbel, 429 Seiten, 23,80 € Exil ohne RückkehrMan weiß es erst seit kurzem genauer: Im März 1942 verstarb Maria Leitner fünfzigjährig völlig entkräftet und mittellos im Marseiller Exil. Alle Hoffnungen und Bemühungen, in die USA zu gelangen, waren gescheitert. In einer Rezension zu einem Buch über Vertriebene hatte sie Jahre vorher Freiligrath zitiert: »Ein Revolutionär kann sich nirgends anständig begraben lassen als im Exil.« Maria Leitner, ein »zierliches Persönchen«, die Frau aus einer kleinbürgerlichen jüdischen Familie, die sozialkritische Reporterin linksliberaler Zeitungen – eine Revolutionärin? Freilich, betrachtet man sich ihre Arbeiten als Schriftstellerin und Journalistin: Immer hatte sie die soziale Lage der von ihr Beschriebenen und die jeweiligen Interessen an den Zuständen im Auge. Noch bis Ende der dreißiger Jahre setzte sie sich der Gefahr aus und besuchte illegal Deutschland für Reportagen, die die Lage im Land in kurzen Texten für Prager, Pariser oder Moskauer Zeitungen schilderten. Durch und durch Antifaschistin beschrieb sie in ihrem im Sommer 1937 in der Pariser Tageszeitung in Fortsetzung erscheinenden Roman »Elisabeth, ein Hitlermädchen« den Alltag und den Drill, den viele junge, oft hitlergläubige Leute in Arbeitslagern der Nazis erfuhren. Es ist gut, daß Helga und Wilfried Schwarz mit der erneuten Herausgabe des Romans und der Reportagen an diese mutige Frau und ihr Schicksal erinnern. Christel Berger Maria Leitner: »Elisabeth, ein Hitlermädchen. Ein Roman und Reportagen (1934–1939)«, herausgegeben und kommentiert von Helga und Wilfried Schwarz, AvivA Verlag, 393 Seiten, 19,90 € Walter Kaufmanns LektüreDie ins Deutsche übersetzte Prosa dieser Dichterin ist streng, wortgenau und wunderbar bildhaft: »Jeder, der auf die kleinen weißen, rot gedeckten Häuser blickt, jeder, der den Duft nach Minze, Zitronen und Honig tief einatmet, fühlt sich, als sei er ins Paradies gekommen«, schreibt sie, die als Kind dem polnischen Ghetto Częstochowa entkommen war, den Krieg mit gefälschten Papieren überlebt hatte und sich später in Israel als Irit Amiel einen Namen machte. »Das aber ist nur der Augenschein«, heißt es weiter, »denn in unserem Kibbuz wohnt in jedem dritten Haus eine griechische Tragödie und in jedem zweiten eine jüdische.« Derart fesselnde Einstiege haben ihre an die dreißig Geschichten vom Überleben fast alle – sie ziehen ins Erzählte, und am Ende glaubt man, weit mehr zu wissen, weit mehr erfahren zu haben, als die meist nur drei Seiten kurzen Arbeiten offenbaren. Es ist, als hätten sich zwischen den Zeilen Romane aufgetan, ganze Biographien, schier unvergeßliche, zutiefst berührende Lebensschicksale. Gezeichnete! Die als Kinder und junge Erwachsene das Grauen der Ghettos und Lager wie durch ein Wunder überlebt haben, sind fürs Leben gezeichnet. Ihre Beschaffenheit ist verständlich, sie werden uns vertraut wie Verwandte, wie Schwestern, Brüdern. Sie heißen Linka und Rafael, Daniel, Siva, Elisheva und Lucynka, und was sie durchlebt haben berührt, eben weil Irit Amiel verhalten schildert, nie laut, nie schrill. Und wenn anklägerisch, dann mit sparsamen Worten: nüchtern, sachlich, das Schreckliche glasklar vor Augen. Die Worte wirken – wie ihre wohl eigenen Erinnerungen aus dem Ghetto: »Vater hob mich hoch und schob mich kopfüber in das Loch … ich konnte mich nicht einmal von ihm verabschieden. Um seinen Mund zuckte etwas zwischen einem Lächeln und einem Weinen … so verließ ich das Ghetto … meine Kindheit, meine schöne Mutter, mein geliebter Vater blieben für immer auf der anderen Seite. Ich war damals elf Jahre alt und seit diesem Augenblick fühle ich mich nirgends mehr zu Hause.« Verhalten, schlicht – oh ja, und eindringlich zugleich, derart Eindringliches zu bedeutender Literatur geformt findet sich so schnell nicht. Lob darum der Magali Zibaso, die Irit Amiels Prosa ins Deutsche übertrug, und dem Verlag, der ein schönes Buch daraus machte. Walter Kaufmann Irit Amiel: »Gezeichnete. Geschichten vom Überleben«, übers. von Magali Zibaso Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, 170 Seiten, 22,95 € Zuschrift an die Lokalpresse»Was bleibt vom Queen-Besuch?«, fragen sich die Bild-Bundesausgabe vom 27. Juni, meine Elfriede und ich, nachdem Elizabeth Regina unsere Republik wieder auf dem Luftwege verlassen hat. »Sie bescherte den Berlinern tolle Tage«, resümiert der Berliner Kurier, und das können meine Elfriede und ich nur aus vollem Herzen bestätigen. Wir gehörten zu jenen Hauptstädtern, die trotz ihres Status der Hochbetagten und übersteigerten Blutdrucks eine halbe Nacht am Brandenburger Tor ausharrten, um der »mit einem adretten gelben Hut verzierten« dienstältesten Monarchin aus der Nähe zu huldigen. Wir waren dabei, als Berliner Kita-Kinder aus dem Wedding echte Sommerblumen überreichten und sich der royale Stargast in perfektem Englisch mit »Thank you!« dafür bedankte. Bereits am ersten Besuchstag hatten die Queen und ihr Philip die Spree geadelt, als sie über eine »extra gezimmerte Holztreppe (Stufenhöhe exakt 16,3 Zentimeter)« den Holzkahn »Ajax« geentert hatten, der dasselbe Baujahr aufweist wie Majestät selber. Offensichtlich ein haltbarer Jahrgang! Der Bundespräsident und seine amtierende First Lady informierten höchstpersönlich über die Anrainer-Gebäude, an denen das Wasserfahrzeug flott vorbeiglitt. »So vornehm floß die Spree noch nie dahin«, kommentierte der Berliner Kurier die mutige nautile Exkursion. Anschließend wurden die hohen Gäste von der Bundeskanzlerin durch ihren Amtssitz geführt. Es war ein bewegender Moment, als Angela Merkel vom Balkon ihres Dienstgebäudes aus nach rechts wies und bemerkte: »Und ich habe in Ostdeutschland gelebt, nur 200 Meter hinter den Schienen!« Nach diesem bedrückenden Szenarium entspannte sich die Situation im Schloß Bellevue bei Lamm mit Senf und leckerem Beelitzer Spargel. »Auf ihrem [der Queen; d.V.] Haar funkelte, passend zur festlichen Gelegenheit, ein Diamant-Diadem ... Die Gäste waren entzückt«, freute sich ein Journalist. In der Süddeutschen vom selben Wochenende interpretierten die Reporterinnen Verena Mayer und Constanze von Bullion Majestät als Ikone des 20. Jahrhunderts, die sich bereits in früher Jugend eine undurchdringliche Fassade zugelegt hatte, auf die sie auch bei ihrem aktuellen Deutschland-Besuch nicht verzichtete. »Aber wenn es erwartet wird, dann knipst sie es schnell wieder an, dieses Lächeln.« Meine Elfriede und ich danken der Presse, die uns durch ihre inhaltsreichen, zu Herzen gehenden Berichte über den Besuch der Queen auch dann informierte, wenn uns die persönliche Nähe aus Sicherheits- oder Zeitgründen verwehrt war. Nun, nach der Rückkehr des verehrten Gastes in ihr um die weitere EU-Mitgliedschaft ringendes United Kingdom, ist für Elfriede und mich irgendwie eine große Leere eingetreten. – Horst und Elfriede Kulicke (76 und 74), Rentner, 12589 Berlin-Hessenwinkel Wolfgang Helfritsch
Erschienen in Ossietzky 14/2015 |
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