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Schließlich hatten die »Sicherheits«-Maßnahmen etwa 300 Millionen Euro gekostet, die müssen irgendwie gerechtfertigt werden. Dummerweise waren nirgends Chaoten zu sehen. Im Schloß präsentierte sich die westliche Wertegemeinschaft in feudalem Glanz beim Fototermin. Die gemeinsamen Werte sind börsennotiert. Und müssen verteidigt werden. Besonders gegen das böse Rußland, das diesmal ausgeladen war. Obwohl sich da auch nicht alle einig sind. Das Handelsblatt brachte es auf den Punkt: »Merkel will strafen und reden, Obama strafen und schießen.« Beide halten sich für die geeignete Institution, um über das korrekte Verhalten von Staaten zu wachen und diese gegebenenfalls zu bestrafen. Aber es wurde auch etwas beschlossen: Die G7 kündigten an, die Welt bis Ende des Jahrhunderts zu »dekarbonisieren«. Sogar Greenpeace jubelt! Aber abgesehen davon, daß Absichtserklärungen wie »Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen«, nichts mit realistischen Maßnahmen zu tun haben, ist durchaus nicht der Ausstieg aus Kohle und Erdöl gemeint. Dekarbonisiert werden soll die Luft, das heißt das CO2 soll ihr wieder entnommen werden. Wie, das weiß noch niemand, es soll aber geforscht werden. Und die Erde soll sich um nicht mehr als zwei Grad erwärmen. Das wurde vor 20 Jahren auch schon als Ziel beschworen, passiert ist allerdings wenig. Die durchschnittliche Erdtemperatur stieg zwischen 1880 und 2012 um etwa 0,85 Grad Celsius. Die Arktis schmilzt weiter, der Permafrostboden taut auf, die wetterbedingten Katastrophen mehren sich, die Sahelzone trocknet weiter aus. Und die Staatsoberhäupter von sieben wichtigen Industriestaaten feiern sich selbst unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Gipfel des Zynismus! Doch das kann noch getoppt werden. Die EU beschloß, gegen die Schleuser im Mittelmeer vorzugehen. Erst einmal werden die Schleuserwege erkundet, dann sollen Schiffe und Infrastruktur der Schleuser zerstört werden. In Libyen. Das war einmal ein souveränes Land. Jetzt kann die EU offenbar darin schalten und walten, wie es ihr paßt. Es gibt kein UN-Mandat für eine solche Aktion. Internationales Recht? – Nichts da, hier gilt das Recht des Stärkeren. Geld ist vorhanden für Kanonenboote, aber nicht für Maßnahmen, die in Afrika den Lebensstandard erhöhen könnten. Von politischen Freiheiten für die Völker Afrikas ganz zu schweigen. Die deutsche Justiz macht sich zum Erfüllungsgehilfen des Militärregimes in Ägypten und verhaftet einen Journalisten, der der ägyptischen Regierung nicht genehm ist. Gut – er wird wieder freigelassen, weil es keine rechtliche Begründung für die Verhaftung gab, aber die Geste war klar: Der ägyptische Junta-Chef kauft weiter Rüstungsgüter in Deutschland ein. Und politische Gegner müssen weiter fliehen. Immerhin: Deutschland hat seinen Waffenexport im letzten Jahr verdoppelt. Die griechische Regierung handelt weiter verantwortungslos, meint Claudia Roth in einem Interview im Deutschlandfunk: »Es kann nicht sein, daß die griechische Regierung vor allem im Parteiinteresse agiert und sagt, das waren unsere Wahlversprechen und die müssen wir einhalten.« Es ist doch wirklich unerhört! Wahlversprechen einhalten! Und jetzt auch noch das Volk befragen! Das ist ganz klar gegen die westliche Wertegemeinschaft gerichtet. Nein, die Griechen müssen weiter Hausaufgaben machen, die Wolfgang Schäuble ihnen aufgibt. Es sei denn, sie gehen raus aus der Eurozone. Das scheint inzwischen geradezu erwünscht zu sein. Der Grexit sei verkraftbar, tönen immer mehr Wirtschaftswissenschaftler und Politiker. Das macht skeptisch. Wer kann schon in die Zukunft sehen und die Entwicklung komplizierter und voneinander vielfältig abhängiger Sachverhalte vorhersagen? Aber kann, was Schäuble sagt, gut sein für Griechenland? Und was wird mit Spanien, Irland, Portugal, Italien? Ist die wiedererlangte Souveränität über die eigene Währung vielleicht auch für sie erstrebenswert? Und wird das die Mehrheitsverhältnisse dort verändern? Wir leben in spannenden Zeiten. Da wendet sich manches und mancher. Ungarn wird einen Drahtzaun an der serbischen Grenze bauen, um Flüchtlinge abzuhalten. Ungarn hat im Jahr 1989 durch die Öffnung der Grenze nach Westen die Massenflucht aus der DDR ermöglicht. Aber das waren andere Zeiten. Jetzt wird Ungarn bedroht: Von serbischen Flüchtlingen, die der Hoffnungslosigkeit und Armut in ihrem Land entgehen wollen. Und wenn die EU einen virtuellen Zaun durch das Mittelmeer baut, kann ja wohl auch Ungarn einen Zaun bauen. Das Menschenrecht auf Freizügigkeit gilt nur dann, wenn es nützlich ist. Im Tarifkampf der ErzieherInnen und SozialarbeiterInnen haben die Schlichter gesprochen. Ein wenig Lohnerhöhung ja, aber keine grundsätzliche Besserstellung in der Eingruppierung, was die Gewerkschaften fordern. Weiterhin sind diese Berufszweige gegenüber den »Schreibtischtätern« in den Ämtern niedriger eingestuft, verdienen viel zu wenig und müssen sich auf Altersarmut gefaßt machen. Daß wieder gestreikt werden muß, um Verbesserungen zu erreichen, ist klar, ob wieder gestreikt wird, hängt von der Kampfbereitschaft der Gewerkschaftsmitglieder ab. Deutschland fängt langsam an, die Franzosen bei den Streiktagen einzuholen. Die Postler streiken unbefristet, Amazon wird weiter bestreikt, und die Pflegekräfte der Charité in Berlin sind in den Streik getreten. Allen geht es nicht nur um Lohnerhöhungen, sondern um bessere Arbeitsbedingungen und Neueinstellungen. Das weckt durchaus Befürchtungen: Bis wir eine bessere Lösung gefunden haben, werden sich die Wähler – unabhängig von ihrer wirtschaftlichen Kompetenz – mit großer Wahrscheinlichkeit für Alternativen (zum Kapitalismus; J.Z.) entscheiden, soll nach Medienberichten Jim Reid, Chef der Abteilung für globale Kreditstrategie der Deutschen Bank USA, bereits gebarmt haben. Damit das nicht geschieht, wird an vielen Fronten gearbeitet. Papst Franziskus fordert, die Klage der Armen und die Klage der Erde zu hören. Aber welcher Richter wird diese Klage zulassen und in ihrem Sinne urteilen? Wir sollen wohl auf das Jüngste Gericht warten. Immerhin sammelt der Papst Fans: »Kein Witz, wenn der Papst weiter so redet, dann fange ich früher oder später an zu beten und trete wieder der katholischen Kirche bei«, meinte laut n-tv der kubanische Präsident Raúl Castro. Ob das gegen die neue Offensive der USA hilft, Kuba durch Umarmung zu ersticken? Hillary Clinton will Präsidentin der USA werden und posiert als Kämpferin für soziale Gerechtigkeit: »Wohlstand kann es nicht nur für Konzernchefs und Hedgefondsmanager geben. Die Demokratie ist nicht nur für Milliardäre und Unternehmer da.« (junge Welt) Äh, doch, Frau Clinton, ist sie! Nur Milliardäre können es sich leisten, Präsidentschaftswahlen zu ihren Gunsten zu entscheiden. Und wo das noch nicht ganz so schlimm und eindeutig ist, wird TTIP den Rest von Demokratie auch noch aushebeln. Tut es ja jetzt schon: Am 10. Juni wollte das Europaparlament über TTIP diskutieren. Aber am Abend davor setzte der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, das Thema von der Tagesordnung ab. Und mit 183 zu 181 Stimmen verordnete sich das Parlament dann selbst Schweigen. Angeblicher Grund: zu viele Änderungsanträge. Eigentlicher Grund: Es hätte eine Niederlage der großen Koalition der Befürworter geben können. Das wäre zwar demokratisch, aber nicht im Interesse der Mächtigen. Die lassen nur solange im Parlament diskutieren, wie die Entscheidungen zu ihren Gunsten feststehen. Im Notfall lassen sie noch mal wählen, wie Erdogan in der Türkei. Zynismus überall. Der Senat von Berlin verbietet Kindern das Betteln. Werden sie doch erwischt, müssen sie Strafe zahlen: bis zu 500 Euro. Und woher nehmen sie das Geld? Wahrscheinlich von ihren reichen Eltern. Gibt es eigentlich eine Steigerung von zynisch?
Erschienen in Ossietzky 14/2015 |
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