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Mythos transición

Anmerkungen zu Till Sträters Aufsatz "Gegen die Straflosigkeit des Franquismus!"

von Carles Ossorio Capella

Till Sträter, "Gegen die Straflosigkeit des Franquismus! Die Erinnerungsbewegung in Spanien und die Mythen der transición" in: Henning Fischer, Uwe Fuhrmann, Jana König, Elisabeth Steffen und Till Sträter, Zwischen Ignoranz und Inszenierung. Die Bedeutung von Mythos und Geschichte für die Gegenwart der Nation, Münster 2012, S. 60 ff.

Das Wort Transition kann im deutschen Sprachgebrauch in verschiedenen Zusammenhängen vorkommen, aber im heutigen Spanien hat die transición eine ganz konkrete politische Bedeutung: sie soll den Übergang aus der Franco-Diktatur zu einem demokratischen Spanien bezeichnen.

Für einen Großteil der spanischen Bevölkerung ist die transición aus der Franco-Diktatur zur Demokratie durch einen Konsens zwischen den Kräften des faschistischen Regimes und der Opposition erreicht worden, was einen friedlichen Übergang möglich machte und die Überwindung der seit dem Bürgerkrieg existierenden Spaltung innerhalb der spanischen Gesellschaft. Till Sträter zeigt nun am Beispiel der von Franco-Anhängern verübten Morde während und nach dem Bürgerkrieg und der heutigen Auseinandersetzung mit diesen Morden, dass diese Vorstellung von der transición blind macht für die Wahrnehmung einer anderen historischen Wirklichkeit. Versöhnung wird als Mythos entlarvt.

Sicherlich wäre es auch möglich gewesen, den mythischen Charakter des Konsens durch seine historische Analyse zu entlarven, denn die Transition wurde innerhalb des franquistischen Pseudoparlaments (den Cortes) beschlossen: Die reformwilligen Kräfte des Franco-Regimes setzten sich gegen die Traditionalisten, die nur Reformen innerhalb des faschistischen Systems haben wollten, durch. Der Beschluss, die "traditionelle Monarchie" in eine "parlamentarische Monarchie" umzuwandeln, wurde ohne Beteiligung einer demokratischen Opposition durchgesetzt. Sicherlich waren große demokratische Fortschritte mit dieser Umwandlung verbunden: Das Parlament - mit ausschließlich legislativer Macht – wird seither durch allgemeine und geheime Wahlen gewählt und sowohl eine sozialdemokratische als auch eine kommunistische Partei wurden zugelassen.

Das Amnestiegesetz von 1977 sollte den Versöhnungswillen der beiden ehemaligen Bürgerkiegsfronten dokumentieren, mit dem Tenor: Alle sollten die Vergangenheit begraben und das erfahrene Leid vergessen. Unter die Amnestie fielen aber fast nur faschistische Täter. Und die spanische Justiz hatte fast vierzig Jahre seit Beendigung des Bürgerkriegs Zeit gehabt, die Verbrechen, die von der republikanichen Seite begangen worden waren, zu verfolgen und zu bestrafen, während in all den Jahren die Verbrechen, die von Faschisten begangen worden waren, ungesühnt blieben. Die Zahl dieser Opfer, die in anonymen Massengräbern verscharrt sind, schätzte eine Historikerkommission auf 130.000 Menschen. Einen systematischen Massenmord, um den es sich hier handelt, juristisch aufzuklären, obliegt staatlicher Verantwortung. Aber der spanische Staat unternahm nichts. Nun kümmern sich seit Anfang des neuen Jahrtausends Privatorganisationen um die Exhumierung der faschistischen Mordopfer, wobei diese Organisationen meist Angehörige vertreten: Ihnen gehe es zuallererst um eine würdige Beerdigung der Toten und eine späte Ehrung der toten Verwandten. Die Exhumierung der Toten wird in der Öffentlichkeit als ein privates Problem behandelt, nicht als ein ungelöstes politisches Problem.

Ganz anders dagegen der Umgang der Gerichte mit Franco-Gegnern. Vom Anfang der Franco-Diktatur an bis zu ihrem Ende haben zum Beispiel militärische Standgerichte in politischen Verfahren zahllose Strafurteile gefällt. Noch im Jahre 1974 wurde Salvador Puig Antich in einem Schnellprozess zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Es ist in den Gruppen der spanischen Gesellschaft, die direkt oder indirekt betroffen waren, schwer verständlich, warum, als 1982 die Sozialdemokraten die Wahlen gewannen und die Regierung stellten, von Regierungsseite nichts unternommen wurde, um diese Gerichtsurteile neu aufzurollen oder zu annullieren. Der Sprecher der sozialdemokratischen Fraktion im Parlament, Jáuregui, begründete diese Vorgehensweise damit, dass man sonst "alte Wunden aufreißen" und den "gesellschaftlichen Frieden schwer beschädigen" würde. Man muss zur Kenntnis nehmen, dass die spanische Regierung nicht den autoritären Rahmen der franquistischen Gesetzesordnung, innerhalb dessen das Fundament des gegenwärtigen Systems gelegt worden war, in Frage stellen wollte.

Erst im Herbst 2008, als die konservative Partei längst wieder an die Macht gekommen war, nahm ein Ermittlungsrichter, Baltasar Garzón, die Ermittlung zur Aufklärung des Schicksals der "Verschwundenen" des Bürgerkriegs auf. Doch bereits eineinhalb Jahre später, noch bevor er Resultate vorlegen konnte, wurde Garzón mit sofortiger Wirkung von seinem Amt suspendiert. Und seither hat in Spanien kein Gericht die Ermittlungen wieder aufgenommen.

Dass die konservative Partei der PP, als Erbe der Franco-Zeit, kein Interesse an der Aufklärung der faschistischen Verbrechen hat, ist naheliegend. Erklärungsbedürftig ist aber, warum die Sozialdemokratische Regierung stillschweigend eine solche Politik unterstützt hat. Till Sträter vermutet, dass die Sozialdemokratische Partei, die PSOE, von der transición profitiert hat und deswegen diese Transition nicht in Frage stellen wird. Hinzu käme die Angst vor einem erneuten Bürgerkrieg oder vor einem Militärputsch. Nach meiner Auffassung ist die These glaubwürdiger, dass die große Mehrheit innerhalb der PSOE an den Mythos der Transition glaubt.

Die Transition, so wie sie stattgefunden hat, war für Spanien verheerend. Dadurch wurde die Spaltung der spanischen Gesellschaft nicht nur nicht überwunden sondern verstetigt; darüber hinaus übernahmen maßgebliche politische Institutionen die Makel der Diktatur, eine weit verbreitete Korruption: Die Personen und die Institutionen, die unter Franco aktiv gewesen waren, blieben es unverändert auch nach der transición und mit ihnen blieb auch die Korruption. Davon betroffen war vor allem die konservative PP, aber auch die neuen demokratischen Organisationen, wo sie - auf lokaler oder regionalen Ebene - die Macht übernehmen konnten. Darunter litt die Glaubwürdigkeit sowohl der politischen Parteien als auch der demokratischen Institutionen.

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sopos 3/2014