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Die künstlerischen Strukturen verändern sich. Verschiedentlich ging die bildende Kunst Beziehungen zu anderen Gattungen oder Kunstarten ein, wie Literatur, Theater, Film. Als Anfang des 20. Jahrhunderts ein Streben der Künste nach Reinheit festzustellen war, kamen ihr Prinzipien aus der Musik näher und solche der Ornamentik. Wie sich ornamentale Strukturen in »gestalthaft geordnete Ganzheiten« (Friedrich Möbius) einfügen, welche Rolle sie dabei übernehmen, wie ihre Existenzweise den Begriff der »langen Zeitdauer« erfüllt und welche Brüche zu verzeichnen sind, zeigt der historische Abriß der etwa 200 Exponate von über 80 Künstlern und rund 60 weiteren anonymen, nicht überlieferten Künstlern. Mit ihnen wird, geistig angeregt von der Geschichte der Form Alois Riegls, eine Ikonologie der Textilstrukturen und Ornamente entfaltet, werden strukturelle Analogien und Sinnzusammenhänge aufgedeckt, um die Frage zu beantworten, was sie als kulturell-symbolische Form den Menschen bedeuten, worauf sie über sich hinausweisen. Über unserer Haut liegen Kleider, Hosen, Hemden, Schals, Kopfbedeckungen. Von der Windel bis zum Leichentuch erleben wir universell das sinnliche Berührtsein unseres Leibes von Textilem, das den Träger charakterisiert, wie der vom Gewand umflossene sitzende Buddha (Sandstein, 3. Jh.). Das Textile wurde weltweit über Jahrtausende in einem Reichtum an Webarten und Texturen entwickelt und mit kongolesischen, peruanischen, präkolumbischen oder europäischen Textilfragmenten gezeigt. Das Spinnen und Weben ist, wie Gottfried Semper 1860 feststellte, eine Urtechnik, aus der alle anderen Künste hervorgingen. Zudem verweist die Präsentation auf die heutige weltweite Vernetzung mit dem World Wide Web als eine Art Webstuhl des Internet-Zeitalters. Mit hochkarätigen Gemälden von Gustav Klimt, Vincent van Gogh, Edgar Degas, Henri Matisse, Paul Klee und Jackson Pollock werden das Ornament und der Stoff als Material in den jeweiligen historischen Kommunikationssituationen betrachtet und in ihnen die Gestalt der Epoche entziffert. Den Auftakt mit der Kapitelüberschrift »Das Bild will Stoff – der Stoff will Bild werden« bildet der europäische Jugendstil wegen der schwanenhalsförmigen Ornamente, doch vor allem als Position, »die Hierarchie zwischen Kunst und Kunsthandwerk zugunsten eines umfassenden Lebensentwurfes aufzulösen«, wie es im Katalog heißt. Mit Schönheit wird bei Gustav Klimt die duftige Außenhaut hin zum Kopf und zu den Händen gesteigert. Daß bei Édouard Vuillard textiles Gestalten und Malerei ineinander übergehen, zeigt wie das Motiv einer Person von völlig gewebten Flächen und strukturiertem Raum (Tapete) verschluckt wird. An Henri Matisse verdeutlicht der biographische Hintergrund, daß er aus einer Weberfamilie stammt und textile Formen nicht nur von Anfang an sammelt, sondern im Blut hat, wie die Sinnbildlichkeit seiner Motive sich von lebendigen Texturen speist. Weit gefächert ist die Ausstellung, welche die profane Motivik hängender Wäsche in Edgar Degas’ Bild »Die Büglerin« zeigt und die Kette aus Wolle und den Schuß aus Seide beim Brüsseler Gobelin »Amor und Psyche«, um 1735; sie verdeutlicht die Impulse zur Entwicklung des Seriellen und feiert mit Videoarbeiten den Prozeß der Herstellung von Textilen, wo die Finger ein faszinierendes Ballett aufführen (Kimsooja) oder wo Betrachter in sich ständig wandelnden Netzen (Peter Kogler) umfangen werden. Selbstverständlich führt der rote Faden zum Bauhaus in Weimar und Dessau, wo das textile Gestalten einen ersten Höhepunkt fand, mit Paul Klee als Leiter der Werkstatt der Weberei. In seinem Werk »Gefangen/Diesseits – Jenseits/Figur«, um 1940, bilden Kett- und Schußlinien erst Gitterflächen und umgeklappt einen vergitterten Raum. Sein Weg des Bildhaften geht weit über die auf ihm beruhenden Werke Gertrud Arndts oder Anni Albers‘ hinaus. Immer selbstverständlicher werden Textilen als Medium, Technik, Material und Idee verwendet, ob in der Pop-Art, Sigmar Polke, im Fluxus, Joseph Beuys, in der Minimal Art, Agnes Martin, oder bei den Protagonistinnen der feministischen Kunst mit Rosemarie Trockels Strickbildern und den »Spiderwomen« von Louise Bourgeois. Anregend wird das Bedeutungsspektrum des Textilen zum aktuellen Kunstschaffen ausgedehnt, wo Skulpturen genäht, Installationen gehäkelt werden. Der Faden tritt aus der Bildfläche in den Raum und bildet Gespinste, in welche bei Chiharu Shiota Blätter mit Liebesbriefen eingewoben sind. Allenthalben prägt die orthogonale Gewebestruktur von Kette und Schuß die Ausstellung, wie bei der Komposition des Gemäldes »Weber am Webstuhl« von Vincent van Gogh oder die wie Kettfäden aneinandergereihten Weiden auf der Malerei Christian Rohlfs, bis hin zum rechtwinkligen Gittermuster der 1920er Jahre von Piet Mondrian. Da erinnere ich mich, wie es deutlich widergespiegelt war in der Gestaltung des Buchumschlages »Sprache und Erkenntnis« von Erhard Albrecht, und denke: Wie könnten philosophische Analysen aus der DDR von 1967 zu einem neuen Zugriff zur Informationsästhetik und beispielsweise zur Ikonologie der Textilmuster beitragen? Bis 2.3.2014, Kunstmuseum Wolfsburg, Hollerplatz 1, Dienstag bis Sonntag 11 bis 18 Uhr, montags geschlossen, Tageskarte 8 €; ermäßigt 5 €, Katalog 42 €
Erschienen in Ossietzky 3/2014 |
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