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Gescheit die Stoffwahl, dieser Kolumbus. Der Stoff um den genuesischen, vermutlich auch jüdischen Abenteurer, Entdecker, Forscher und Flottenadmiral in spanischen Diensten ist dem Odysseus-Mythos ähnlich und unendliche Male in allen Genres, vor allem in epischen und noch mehr in dramatischen gestaltet worden. Er sollte den Seeweg nach Indien entdecken, weil der Landweg zu teuer und seit dem Sieg der Osmanen über das byzantinische Ostrom (Konstantinopel) gefährlich geworden war. Man mußte den Blick nur nach Westen wenden. Und es kam – wenn auch erst nach der vierten Reise – neben der Kartoffel viel Gold nach Spanien, freilich nicht für Kolumbus, der 1506 arm gestorben war. Die gierige, ihn fördernde Königin Isabella war schon 1504 gestorben, der Aragonier Ferdinand am Gold interessiert, doch nicht an Colombo beziehungsweise Colón. Um so mehr dann die Nachwelt. Es hatte mit Las Casas begonnen. Italiener wie G. C. Stella und G. Giorgini verfaßten 1589 und 1596 die ersten Epen. 1604 dann das erste Drama durch keinen geringeren als Lope de Vega mit »El nuevo mundo descubierto por Cristóbal Colón«. Vielfach erschien Colón auch als Opernheld, so 1690 in »Il Colombo ovvero l’India scoperta« von P. Ottoboni und A. Scarlatti. Auch die Commedia dell’Arte hatte sich seiner bedient. – Im 18. Jahrhundert wurde der Stoff erneut aufgegriffen, vor allem im Zeichen des Rousseauismus und dessen Interesse an Natur und für Naturvölker. Rousseau selbst hatte unter dem Titel »La découverte du nouveau monde« (1740) ein lehrhaftes Beispiel in Form einer indianischen Liebesgeschichte gegeben. Das 19. Jahrhundert schien des Colombos besonders zu bedürfen – eine Fülle von Adaptionen des Stoffes ist zu vermelden. Die Briten an vorderster Spitze, um nur Washington Irving und J. F. Cooper zu nennen. Frankreich durfte nicht fehlen: Lamartine handelte in den Zwanzigern vor allem das Genie-Thema ab. Hinzu kam das revolutionäre Motiv des Matrosen-Aufstands, welches in den kommenden Jahrzehnten Thema geworden war. Auch der Braunschweiger Theaterleiter August Klingemann versuchte sich 1811 am Stoff, wenngleich nicht eben erfolgreich. Die Dramatiker verschiedener europäischer Länder machten Colón zum Liebhaber, während die Erzähler stärker auf das historisch-politische Material zielten, es verarbeiteten. Zunehmend kam Musik ins Spiel, etwa bei P. Giacometti (1841). Allmählich breitete sich der Stoff europäisch aus: Der Deutsche Friedrich Rückert versuchte sich 1845 mit »Christoforo Colombo«; Sánchez de Fuentes läßt Kolumbus dem »Ewigen Juden« in »Colón y el Judio errante« (1843) begegnen; bei dem bekannteren Víctor Balaguer mußte er in »L’última hora de Colón« (1876) sterben. Abwegig wurde es gegen Ende des 19. Jahrhunderts, als C. zum religiösen Vorkämpfer und Missionar aufgebaut wurde, was er zwar sein sollte, aber nun wirklich nicht war. Von diesen meist französischen Darstellungen wandten sich die Autoren des 20. Jahrhunderts wieder ab, etwa um 1929 Jakob Wassermann, der das Thema gleich mehrfach aufnahm: streifend im Essay »Der Literat oder Mythos und Persönlichkeit« (1910), ausführlich in der späteren Biographie »Christoph Columbus, der Don Quichote des Ozeans« (1929). Damit sind wir bereits im Zeitraum unserer Komödie von 1932, die übrigens damals unter den Namen W. Hasenclever/P. Panter, also unter einem der Tucholsky-Pseudonyme angekündigt wurde; offenbar ahnte Tucho, daß das Werk durchaus mißglückt ist. Sehr schnell sind wir nun in der Gegenwart – F. J. Weinrich wäre zu nennen (1923), die Spanier Muron (1928) und Benitez (1951), die den Stoff von religiösem Beiwerk befreiten. Kazantzakis stylte Colombo zum Übermenschen. Musiktheater-Schöpfungen zum Thema sind zahlreich – von Barock-Opern über Werner Egk »Columbus« (als Funkoper 1932, Bühnenwerk 1942) bis zum DDR-Komponisten Karl-Rudi Griesbach »Kolumbus« (1958). Unser kleines Werk also inmitten einer Fülle von Werken zu diesem produktiv-reichen Stoff. Warum nun eigentlich dieses? Eines der schwächsten des Genres und zum Thema? Ihm ist auch nicht mit einer reichen, ergiebig-opulenten Inszenierung zu helfen. Man hatte alles: eine wuchtige, fast zu wuchtige Szene, die den Widerspruch genießen ließ: einen Kriegsbau, zu friedvoller Kunstübung umgerüstet; darauf ein sehenswürdiges Kolumbus-Schiff (Bühne: Hans Luckfiel); ein engagiertes Ensemble, dem mein voller Respekt gilt. Nur der Hauptdarsteller Rainer Nentwig sei genannt, der fast wie ein Professioneller agiert, ja gespielt hat; und sein Regisseur Eduard Schynol, der Ideen wie Handwerk einsetzen konnte. Und wenn schon zu diesem Thema – es gibt da ungleich Besseres, und nicht so sehr in den angedeuteten alten Zeiten. Es gibt neues Besseres: etwa Jura Soyfer mit der »Broadway-Melodie 1492« – hier hat ein junger, doch echter Dramatiker gearbeitet. Da ist Theaterluft drin. Und noch besser ist Peter Hacks` »Columbus, oder: Die Weltidee zu Schiffe« (Fassung von 1970; frühe Fassung von 1954/56: »Eröffnung des indischen Zeitalters«). Die großen Wirtschafts- und Klassenkonflikte jener Zeit, an- und mitspielend auf heutige, sind hier ungleich schärfer aus- und vorgestellt. Anstatt eines Resümees habe Walter Benjamin das Wort: »Die linksradikalen Publizisten vom Schlage der Kästner, Mehring [Walter], Tucholsky sind die proletarische Mimikry des zerfallenden Bürgertums. […]Die Verwandlung des politischen Kampfes aus einem Zwang zur Entscheidung in einen Gegenstand des Vergnügens, aus einem Produktionsmittel in einen Konsumartikel – das ist der letzte Schlager dieser Literatur.« (W. B: »Gesammelte Schriften. III.«, hg. v. Hella Tiedemann-Bartels, 1972, S. 279ff.) Das Theaterstück »Christoph Kolumbus oder die Entdeckung Amerikas«, Tucholsky-Bühne Minden unter der Leitung von Eduard Schynol, ist am 20. Oktober um 11 Uhr im Russisches Haus für Kultur und Wissenschaft, Berlin, im Rahmen der Jubiläumstagung der Kurt-Tucholsky-Gesellschaft zu sehen (www.tucholsky-gesellschaft.de).
Erschienen in Ossietzky 21/2013 |
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