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Todestag Ossietzkys eine Reise nach Słońsk (knapp 100 Kilometer östlich von Berlin), wo wir am Festakt zum polnischen Nationalfeiertag (3. Mai) auf dem Platz vor dem »Museum der Märtyrer« mitwirken durften. In der einst preußischen Region Neumark hatten sich nach dem Zweiten Weltkrieg großenteils Polen aus den Gebieten angesiedelt, die damals auf Beschluß der Alliierten der Sowjetunion zugesprochen worden waren. Sie wußten zunächst wenig über die Geschichte ihrer neuen Heimat. Aber es fanden sich polnische Historiker und Antifaschisten, die für eine Gedenkstätte zu Ehren der KZ-Opfer sorgten – mit besonderer Aufmerksamkeit für den Friedensnobelpreisträger Carl von Ossietzky, der hier ein Jahr lang gequält worden war. Als wir das Museum besuchten, mußten wir feststellen, daß offenbar seit einigen Jahren wenig zu seiner Erhaltung geschehen war. Der Bestand an Exponaten war kärglich. Als beschämend empfand ich, daß die Johanniterkirche, das Prunkstück der Stadt, mit viel Geld aus dem Etat des deutschen Staatsministers für Kultur aufs feinste renoviert worden war, offenbar als Symbol früherer deutscher Kolonisierung, wohingegen das vereinigte Deutschland für das KZ-Museum keinen Cent erübrigt hatte. Ich wurde daraufhin in Berlin bei mehreren Politikern vorstellig. Einer verwies mich an den nächsten, keiner erklärte sich für zuständig. Ich kam keinen Schritt voran. Aber die VVN nahm sich der Sache an. Seit 2009 beteiligen sich Mitglieder des Bundes der Antifaschisten regelmäßig am Gedenken an das Massaker, mit dem sich ein SS-Kommando in der Nacht vom 30. zum 31. Januar 1945 von Sonnenburg verabschiedet hatte: Mehr als 700 von 840 Häftlingen wurden damals wenige Stunden vor dem Einmarsch der Roten Armee im Hof des KZ erschossen. Beim VVN-Landesverband Berlin bildete sich ein »Arbeitskreis Sonnenberg«, der jüngst in enger Zusammenarbeit mit der Słońsker Stadtverwaltung eine Konferenz mit Angehörigen von Opfern aus mehreren Ländern und mit zahlreichen Experten veranstaltete und dort unter anderem über seine Bemühungen um Hinweise auf die Opfer berichtete. Ich empfand diese vom Gemeindevorsteher Janusz Krzyskow eröffnete, von Hans Coppi (VVN) straff geleitete Konferenz als großen Schritt voran. Für die bauliche Wiederherstellung und die Ausgestaltung des Museums stehen inzwischen Mittel der Europäischen Union bereit. Ich meine allerdings weiterhin, daß es eine Aufgabe Deutschlands ist, die erforderlichen Mittel zu geben. Die Täter sind in Deutschland straffrei geblieben. Der Prozeß gegen einige von ihnen endete 1971 in Kiel mit Freispruch für alle. Begründung: Ihnen sei eine individuelle Tatbeteiligung nicht nachzuweisen. Im KZ Sonnenburg auf dem Gelände eines früheren Zuchthauses, das wegen katastrophaler hygienischer Verhältnisse geschlossen worden war, sperrten die Nazis seit Anfang April 1933 Männer ein, die ihnen als entschiedene Antifaschisten bekannt und verhaßt waren, zumeist Kommunisten, unter ihnen die Reichstagsabgeordneten Ernst Schneller und Ottomar Geschke sowie Otto Gotsche, später Sekretär des Staatsrats der DDR. Mit einem der ersten Transporte kamen auch der junge Jurist Hans Litten, der sich in gerichtlichen Auseinandersetzungen mit Adolf Hitler und anderen Nazis hervorgetan hatte, der Schriftsteller Erich Mühsam und Carl von Ossietzky. Sie waren in der Nacht nach dem Reichstagsbrand in »Schutzhaft« genommen worden. In Sonnenburg gerieten sie unter das Regiment der als »Hilfspolizei« eingesetzten SA, die äußerst sadistisch und brutal gegen die Häftlinge vorging. Darüber liegen mehrere Berichte von Überlebenden vor. Die Nazi-Akten sind seit 1945 verschwunden. Über die Ankunft in Sonnenburg schrieb der aus dem Emsland hintransportierte Kommunist Klaas Meyer, der später, als die KPD in der Bundesrepublik wieder verboten war, sozialdemokratischer Bürgermeister von Loppersum wurde: »Auf dem Bahnhof mußten wir uns aufstellen. Alle SA-Leute wollten kommandieren, es war ein großes Durcheinander. Plötzlich stand auch einer vor mir und grölte mich an: Ob ich kalt wäre? Ich verneinte dies, er aber sagte: ›Du bist kalt? Zieh dem Juden da den Mantel aus, der braucht ihn doch nicht mehr!‹ Ich sah, wie er auf einen alten Mann zeigte ... Erich Mühsam. Ich habe den Befehl nicht ausgeführt. Dafür schlug mich der SA-Mann – das Blut lief mir übers Zeug. Die ganze Bevölkerung war vertreten. Man hatte ihnen gesagt, wir wären Reichstagsbrandstifter. Eltern und Kinder schlugen nach uns, oder wir wurden angespuckt. Nach Sonnenburglager ging es ein wenig steil an. Wir mußten singen: ›Deutschland über alles‹. Dabei schlug die SA mit Knüppeln auf uns ein. Am meisten wurden E. Mühsam, Rechtsanwalt Litten und Bernstein auf diesem Zug geschlagen. E. Mühsam hatte so viel abgekriegt, daß er zusammenbrach. Er wurde dann mitgeschleppt von unseren Genossen. Ich hatte schon vorher sein Gepäck genommen. Sie hatten dem alten Mann immer wieder auf die Hände geschlagen, daß er zuletzt nichts mehr halten konnte.« Rudolf Bernstein, nach der Haft in die Sowjetunion entkommen und 1945 als Offizier der Roten Armee zurückgekehrt, berichtete: »Der Gefangene ist verpflichtet, vor jedem SA-, SS-Mann oder Polizisten im Lager wie ein Rekrut die Knochen zusammenzureißen. Bei militärischen Ehrenbezeugungen, die nach Ansicht der Nazis nicht exakt genug sind, wird das ›Hinlegen und Aufstehen‹ praktiziert, bis der Gefangene, physisch erschöpft, in seine Zelle wankt oder ins Lazarett transportiert werden muß … Erich Mühsam wurde wiederholt blutig geschlagen, ihm wurden Bart- und Kopfhaare ausgerissen ... Als man ihn in der Nacht vom 16. zum 17. Mai in seiner Zelle gefoltert hatte, erkannten wir ihn am anderen Tage nicht mehr wieder. Er war unfähig, auch nur ein Wort zu sprechen ... Man fragt z. B.: ›Bist du noch ein Kommunist?‹ Antwortet der Betreffende mit ›Ja‹, dann hageln Gummiknüppel und Fausthiebe auf den Gefangenen nieder: ›Was, du Schwein, bist noch immer Kommunist?‹ Antwortet der Gefragte mit ›Nein‹, so entgeht er keinesfalls der Mißhandlung, sondern unter Fußtritten und Hieben brüllt man ihn an: ›Was, du Feigling hast keinen Mut, dich zur Kommune zu bekennen?‹« Bernstein schilderte auch, wie sich Gefangene das eigene Grab schaufeln mußten. In einem Bericht, der in der Exilzeitschrift Die neue Weltbühne erschien, heißt es: »Carl von Ossietzky wurde im Laufschritt umhergejagt, mußte sich hinwerfen, aufstehen, wieder hinwerfen, wieder aufstehen. Betrunkene SA-Leute ließen sich das Vergnügen nicht nehmen, hinter ihm herzulaufen und Ungeschicklichkeiten Ossietzkys durch Schläge oder Fußtritte zu bestrafen. Oft vermochte sich Ossietzky kaum noch zu erheben, stumm lag er da, ohne Protest, ohne seinen Schmerz zu äußern. Solche Augenblicke benutzte der Sturmführer Bahr, ihn mit den Füßen zu stoßen und zu brüllen: ›Du polnische Sau, verrecke endlich!‹ Wenn sich Ossietzky erhob, wurde er wieder geschlagen und getreten. Einige Wochen wiederholten sich solche Szenen ...« Schon 1932 anläßlich des beim Reichsgericht geführten Geheimprozesses wegen des Weltbühne-Artikels »Windiges aus der Luftfahrt« über ein verfassungs- und völkerrechtswidriges Aufrüstungsprogramm der Reichswehr hatte sich Ossietzky geweigert, ins Ausland zu gehen, »weil ich als Eingesperrter am unbequemsten bin«. Ebenso entschied er sich, nachdem Hitler, vor dem er schon seit 1921 hellsichtig gewarnt hatte, Reichskanzler geworden war. Ähnlich Hans Litten, von dem der Satz überliefert ist: »Millionen von Arbeitern können nicht heraus, auch ich muß bleiben.« Eine Entscheidung für Martyrium. Der Häftling Ossietzky, 1934 ins Moorlager Esterwegen verlegt, wurde den Nazis immer unbequemer, da namhafte deutsche Emigranten wie Hellmut von Gerlach, Albert Einstein und Thomas Mann und berühmte ausländische Schriftsteller und Gelehrte wie Bertrand Russell und Virginia Woolf ihn für den Friedensnobelpreis nominierten und er als stummer, stumm gemachter Ankläger gegen den Nazi-Terror zum Inbegriff des deutschen Antifaschismus wurde. In der Konferenz am 13. September in Słońsk wurde ein Entwurf für die künftige Innenarchitektur des Museums vorgestellt. Er wirkt durch düstere Symbolik. Ich hoffe, das Museum wird vor allem informieren – ein Lernort, wo gezeigt wird, was einst in Sonnenburg geschehen ist, und wo dieses Geschehen in den historischen Kontext gestellt wird. Ich finde das düster genug. Es gibt keine Ossietzky-Gedenkstätte. Das künftige Sonnenburg-Museum und das Moorlager-Museum in Papenburg werden einander ergänzen müssen, um diese Lücke zu füllen. Die Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg, die diesen Namen nach langem Kampf tragen darf, sollte beide wissenschaftlich unterstützen. Zu wünschen ist auch eine möglichst enge Zusammenarbeit mit den nach Ossietzky benannten Schulen. Von Ossietzky und in der Auseinandersetzung mit ihm läßt sich viel lernen. Das erlebte ich kürzlich an einem von der Ossietzky-Schule in Berlin-Kreuzberg veranstalteten, von der Internationalen Liga für Menschenrechte unterstützten Projekttag zum Thema Ossietzky. Alle Klassen waren einbezogen. Hoch erfreulich.
Erschienen in Ossietzky 21/2013 |
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