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Vor Jahren (Ossietzky 12/01) habe ich in dieser Zeitschrift unter dem Titel »Brunetti in Leuna« einen langen Artikel veröffentlicht. Darin hatte ich ein Krimiszenario um die damaligen großen Politskandale (CDU-Spenden, Leuna-Bestechungen, Treuhand, Kohl, Schreiber, Pfahls ...) entwickelt und im Schlußsatz bedauert, daß es keinen deutschen Kriminalautor gäbe, der sich hiesiger Staatsverbrechen annähme. Beispielsweise der geheimen NATO-Terrortruppe »Gladio«, die aus Altnazis zusammengesetzt im Auftrag des BND und der CIA, vom Massenmörder Klaus Barbie trainiert in der BRD unter dem Namen »Stay behind« operierte und im Frühjahr 1989 ein Thema erster Zeitungsseiten und sogar des Bundestages hergab, bis dann das Siegesgeschrei der »Wende« alles zudeckte. Inzwischen ist mein damaliger Wunsch in Erfüllung gegangen. In bereits sechs Bänden schildert der Stuttgarter Autor Wolfgang Schorlau die gefährlichen Ermittlungen seiner Kunstfigur, eines aus Ekel über den BKA-Betrieb dort abgesprungenen Zielfahnders namens Georg Dengler, der auf eigene Faust als Privatdetektiv weitermacht und dabei immer wieder auf hochstaatspolitische Fälle oder Wirtschaftskriminalität vom Brutalsten stößt. Schorlau nutzt souverän alle Ingredenzien des klassischen Krimis: Hochspannung, glänzend beobachtetes Lokalkolorit, überraschende Lösungen und psychologisch glaubwürdig gezeichnete Figuren, stellt dabei viele hochgeschätzte angelsächsische oder italienische Autoren in den Schatten. Allenfalls wären seine Romane vergleichbar mit denen von Eric Ambler, Andrea Camilleri oder Petros Markaris mit seinem Athener Kommissar Charitos in der griechischen Finanzkrise. Man fiebert Nächte hindurch mit Schorlau. Krimikost wie sie sein soll. Vor allem aber – und das zeichnet Schorlaus Thriller besonders aus – hält er sich eng an historische Fakten, nennt wenn es sein muß politische Adressen auch im Klartext. Die Themen der einzelnen Bände sind tagesaktuell: Zugriffe der Konzerte auf die öffentliche Wasserversorgung (»Fremde Wasser«), die Aufdeckung schwäbischer Provinzkriegsverbrechen (»Das dunkle Schweigen«), die neu entwickelten US-Laserwaffen (»Brennende Kälte«) oder der jüngste Band (»Die letzte Flucht«), der akribisch die kriminellen Geschäfte der Pharmakonzerne auflistet. Auch zu »Stuttgart 21« gibt es am Rande hieb- und stichfeste Fakten. Wolfgang Schorlaus Bücher sind sauber recherchiert: Krimis und Aufklärung zugleich. Im umfangreichen Anhang sind Quellen, Zeitungsberichte und Geheimdienstpapiere dokumentiert. Ein gutes Geschenk also für Freunde, die bisher noch gewissen rechtsstaatlichen Illusionen anhingen. Aber auch ausgebuffte Ossietzky-Leser werden hier noch manches Aha-Erlebnis haben, Fakten, die sie bisher eher unter Unglaubliches, Spekulationen oder Verschwörungstheorien abgelegt hatten. Als Einstieg in Schorlaus chronique criminelle wären wohl zwei Titel sinnvoll: Denglers erster Fall (jetzt schon in der 18. Auflage erschienen) »Die blaue Liste«. Hier geht es um den Rohwedder-Mord und den (Selbst?-)Mord am RAF-Mitglied Grams seinerzeit auf dem Bahnhof von Bad Kleinen. Wer jedoch brandaktuelle Einblicke in die derzeit vielbesprochenen Verstrickungen und die Handlungsweise des Verfassungsschutzes gewinnen will, der sollte mit Denglers fünftem Fall (»Das München-Komplott«) beginnen. Alle, alle sind sie da: das Oktoberfest-Attentat, die »Wehrsportgruppe Hoffmann«, die Bayerische Staatsregierung, das Nazi-Netzwerk, der »Einzeltäter« Gundolf Köhler, die Waffenlager in der Lüneburger Heide samt dem Forstangestellten Lemke, Gladio und die »leider zu früh verstorbenen Augenzeugen« des Terroraktes. Für die jüngst halb aufgedeckte Nazi-Mordserie und ihre Hintergründe fast wörtlich zu nehmende Fingerzeige. Für Leute mit Durchblick wie auch für Gutgläubige, die ihn noch gewinnen müssen: ein spannender und dabei höchst unterhaltsamer Pitaval der BRD. Es könnte alles so gewesen sein wie Schorlau schreibt. Ist es vielleicht sogar. Wolfgang Schorlaus Krimis sind als Taschenbücher zu Preisen zwischen 7,95 und 8,95 € bei Kiepenheuer & Witsch erschienen.
Erschienen in Ossietzky 25/2011 |
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