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Der Fund enthält ein Schreiben des damaligen Linzer Superintendenten Wilhelm Mensing-Braun, des leitenden Geistlichen der evangelischen Diözese Oberösterreichs. Als überzeugter »Großdeutscher« war er nach dem »Anschluß« 1940 in sein Amt gekommen und hielt auch nach dem Kriege weiterhin enge Beziehungen zu den westdeutschen Kirchen, die ihm zum Beispiel Vikare zur Ausbildung schickten. Nun, 1960, trug er an seine westdeutschen Brüder das Ansinnen heran, sich, bittschön, für den soeben verhafteten Organisator des Holocausts und millionenfachen Massenmörder, Adolf Eichmann, bei der deutschen Regierung einzusetzen. Der Superintendent, der in Linz die Geschwister Eichmanns seelsorgerlich betreute, wußte von Bruder Adolf viel Gutes zu berichten. Er habe, schreibt er, eine »grundanständige Gesinnung«, ein »gütiges Herz« und »große Hilfsbereitschaft«, und deshalb könne er sich »nicht vorstellen«, daß dieser grundanständige Mensch »je zu Grausamkeit oder verbrecherischen Handlungen fähig gewesen wäre«. Eine Bitte von Glaubensgeschwistern, wer mochte die schon ausschlagen? So ging das Schandschreiben auf dem Dienstweg den gebotenen Gang – zunächst an das Kirchliche Außenamt in Frankfurt, das damals von einem Studienfreund des Stellvertretenden Ratsvorsitzenden, Hanns Lilje, dem hannoverschen Theologen Adolf Wischmann, geleitet wurde. Vom Außenamt wurde es geflissentlich weitergeleitet an den Vertreter der Evangelischen Kirche bei der Bundesregierung, Hermann Kunst, der als Chef der neueingerichteten Militärseelsorge zugleich das Bischofskreuz trug und bei Kanzler Adenauer immer offene Türen fand. Sein Credo zum »Führer« hatte er 1935 als Standortpfarrer bei der Vereidigung junger Soldaten in Herford abgelegt: »Meine Kameraden, ... ihr seid bis an euer Lebensende keine Privatpersonen, sondern dem Führer des Volkes verschworene Gemeinschaft ...« Kunst gab das Schreiben an das Auswärtige Amt mit den schriftlichen Bemerkungen, es sei »mindestens interessant«, und dem Kirchlichen Außenamt teilte er zusätzlich mit, daß er »das Votum von Bruder Mensing-Braun doch für so bemerkenswert halte, daß er es nicht mit leichter Hand behandeln möchte«. Als Bruder Mensing-Braun, der Großdeutsche, sein bemerkenswertes Votum zu Bruder Eichmann, dem mit dem gütigen Herzen, aufschrieb, wußte er, daß es für die Repräsentanten der Kirchen in Deutschland nach 1945 ein Herzensanliegen war, die Nazi-Verbrecher vor den Siegermächten in Sicherheit zu bringen, mit »Persilscheinen und falschen Pässen«. Ernst Klee hat das 1991 in seinem gleichnamigen Buch eindrucksvoll belegt. Als ein Beispiel dafür, auch ein bemerkenswertes, sei der Landesbischof der württembergischen Landeskirche, Theophil Wurm, vorgestellt. Bekannt wurde er während seiner Amtszeit durch einen Brief an den Reichsjustizminister Gürtner nach der Reichspogromnacht und durch sein »Kirchliches Einigungswerk« 1941. In jenem Brief von 1938 beschrieb er seine christliche Grundeinstellung: »Ich bestreite mit keinem Wort dem Staat das Recht, das Judentum als ein gefährliches Element zu bekämpfen. Ich habe von Jugend auf das Urteil von Männern wie Heinrich von Treitschke und Adolf Stöcker über die zersetzende Wirkung des Judentums auf religiösem, sittlichem, literarischem, wirtschaftlichem und politischem Gebiet für zutreffend gehalten.« Und in seinem bis heute hochgelobten »Einigungswerk« brachte er die verschiedenen kirchlichen Gruppen zusammen, von der »Bekennenden Kirche« bis nahe an die (ns-hörigen) »Deutschen Christen«, worüber er, teilte er selbst mit, »ganz offen dem Herrn Reichsführer SS berichtet habe« und »an hohe staatliche Stellen Dokumente« einreichte und dazu rühmend hervorhob: »Ich habe (dabei) nichts Unangenehmes erfahren, wenn ich als deutscher Mann offen zu deutschen Männern gesprochen habe.« Schon bald nach dem Kriege, im August 1945, wurde Wurms »Einigungswerk« als »Grundstock« »bedeutsam für den Neubau der Evangelischen Kirche (EKD)« (Theologisches Standardlexikon Religion in Geschichte und Gegenwart, 1962), Wurm selbst ihr erster Ratsvorsitzender. Nun konnte er »als deutscher Mann« weiterhin mit anderen deutschen Männern aus SS und Nazipartei Kontakt halten und für sie sogar tätig werden. Große Erfolge hatte er dabei in seinem Kampf gegen die Entnazifizierung und gegen die Befürworter derselben. Noch Größeres gelang ihm gemeinsam mit anderen Repräsentanten der beiden Großkirchen: Adolf Eichmann, Josef Mengele, Walter Rauff, der die fahrbaren Gaskammern erfunden hatte, und viele, viele andere ins (fast) sichere Südamerika entkommen zu lassen. Nach seinem Ausscheiden aus dem Amt als Ratsvorsitzender 1949 konnte er seine für die Nazi-Verbrecher so segensreiche Tätigkeit dadurch fortsetzen, daß er 1951 Gründungsvorstand der »Stillen Hilfe« wurde, die sehr professionell flüchtige, inhaftierte und verurteilte NS-Täter unterstützte. Hier im Vorstand fand der Altlandesbischof viele neue Möglichkeiten, mit ehemaligen hochrangigen SS-Chargen vertrauensvoll zusammenzuarbeiten, zum Beispiel mit dem ehemaligen SS-Obersturmbannführer und persönlichen Referenten Ernst Kaltenbrunners, Heinrich Malz. Das alles ist vor dem gemeinen Kirchenvolk bis heute ebenso erfolgreich verheimlicht worden wie die Verstrickungen des Mehrheitsprotestantismus in die NS-Barbarei, und zwar auch schon vor 1933. Hier ist Aufklärung dringend geboten gemäß dem Bibelwort: »Die Wahrheit wird euch frei machen« (Johannesevangelium 8 Vers 32). Übrigens: Unmittelbar vor Beginn des Eichmann-Prozesses in Jerusalem, im Februar 1961, erklärte die Synode der EKD dazu: »In unserer Mitte leben solche, die vorsätzlich und aktiv, wenn auch nur als ›kleine Befehlsempfänger‹, an der Ermordung der sechs Millionen Juden mitgewirkt haben. Ihnen und uns allen bezeugen wir: Keine Schuld ist so groß, daß sie ausgenommen wäre von der Vergebung Gottes, die uns erworben und angeboten ist im Sühnetod und der Auferstehung unseres Herrn.«
Erschienen in Ossietzky 25/2011 |
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