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Alle in diesem Land zum Krieg in Libyen befragten Völkerrechtler haben sich zu seiner völkerrechtlichen Berechtigung bekannt, ob Kai Ambos, Claus Kreß, Christian Tomuschat oder Andreas Zimmermann – mit einer Ausnahme: Reinhard Merkel, eher Rechtsphilosoph denn Völkerrechtler. Auch der wissenschaftliche Nachwuchs ist in der Zeitschrift Vereinte Nationen, dem Organ der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen, bereits auf der Höhe der imperialistischen Agenda. Das liegt weder an der UN-Charta noch an dem auf ihr basierenden Völkerrecht; sie verbieten einen derart offen geführten Interventionskrieg. Es liegt einzig an der Organisation dieser Wissenschaft, deren erfolgreichste Vertreter von der engen Anbindung an die Regierung leben. Mit zahlreichen Gutachtenaufträgen und mit der Entsendung auf internationale Konferenzen, in internationale Kommissionen und Institutionen verschafft sie ihnen Weltläufigkeit und in den Medien das Prädikat »renommiert«. Man frage also immer zuerst, von wem ein »Gelehrter« finanziert wird. Wer sich hingegen zu weit von den Töpfen des Auswärtigen Amtes entfernt, bleibt auf seinem Lehrstuhl sitzen. BehutsamNATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen hat eine Zwischenbilanz des Militäreinsatzes in Libyen bekanntgegeben: Die Operationen seien »fehlerlos« und »erfolgreich« verlaufen, »sehr behutsam« habe man die Waffen verwendet. Der von den NATO-Staaten in den Sattel gesetzte »Libysche Übergangsrat« bezifferte die Todesopfer dieses Krieges auf bisher 30.000, die Verletzten auf 50.000, dabei handele es sich um Schätzzahlen, mit weiteren Opfern sei zu rechnen. Da die Militärschläge bekanntlich dem »Schutz der Zivilbevölkerung« dienten, merkte Rasmussen an, über Zivilisten unter den Toten und Verletzten habe man keine »bestätigten Informationen«. Der NATO-Generalsekretär wird diese Aussage ruhigen Gemütes getroffen haben, denn wer weiß schon, ob ein libyscher Zivilist nicht doch irgendwo eine Waffe versteckt hält, also gar nicht als Zivilist zählen darf? Wie sollten angreifende Bomber, Kampfhubschrauber und Drohnen dies überprüfen? Und welche Instanzen wären von der NATO legitimiert, zu bestätigen, daß getötete Zivilisten wirklich immer ganz zivil existiert haben und daß sie zivil geblieben wären, wenn man sie am Leben gelassen hätte? Wie behutsam die NATO vorgegangen ist, läßt sich doch schon daran erkennen, daß ihre Soldaten die Einsätze sämtlich überlebt haben. So präzise ist heutzutage militärisches Handeln. Marja Winken Im Falle des Libyen-Krieges hat die Bundesregierung ihre Stimmenthaltung nicht mit rechtlichen Bedenken begründet. Es waren kluge innen- und außenpolitische Gründe, die sie bewogen, an diesem Krieg zumindest nicht offen teilzunehmen. Diese Haltung wird ihr aber seitdem durch eine kriegslüsterne Presse gründlich ausgetrieben, die seit Monaten die Mär vom Schutz der Zivilbevölkerung und deren Befreiung von einem wüsten Diktator verbreiten – als hätten nicht gerade diejenigen, die Gaddafi jetzt beseitigen wollen, ihn jahrelang politisch, ökonomisch und geheimdienstlich benutzt. Wäre es wirklich allein um den Schutz der demonstrierenden Zivilbevölkerung vor den militärischen Angriffen Gaddafis und die Einrichtung einer Flugverbotszone gegangen, wie es die Resolution 1973 des UN-Sicherheitsrats vom 17. März 2011 formuliert hat, wäre sie aus juristischer Sicht kaum zu kritisieren gewesen. Denn seit der bekannten Resolution 688, mit der der Sicherheitsrat eine Schutzzone im Norden Iraks für die Kurden einrichtete, hat diese Form der »humanitären Intervention« bei menschenrechtlich unhaltbaren Zuständen in einem Land Eingang in die Resolutionspraxis des Sicherheitsrats gefunden. Entscheidend für den Verzicht Chinas und Rußlands auf ein Veto war offenkundig eine Resolution der Liga der arabischen Staaten, die am 12. März die Gewalt gegen das libysche Volk verurteilt und eine Flugverbotszone ausdrücklich gefordert hatte. Daß das Ganze aber auf einer Lüge beruhte, hätte man angesichts der Begleitpresse in London und Paris schon im März ahnen können. Man wollte von Anfang an keine politische Lösung, wie sie die Afrikanische Union angestrebt hatte. Man wollte Gaddafi beseitigen und benutzte dazu Horrorszenarien von einem Blutbad und Massakern, mit denen er seine eigene Bevölkerung abschlachten würde – alle im Laufe der Zeit eindeutig widerlegt. Zur Gewißheit wurde die völlig andere Zielsetzung der NATO-Führung bereits Ende März, als der französische NATO-General Jean Paul Palomeros das Mandat für erfüllt erklärte, da die Flugverbotszone errichtet und der Schutz der Zivilbevölkerung gewährleistet sei. Schon da hätten die Völkerrechtler die offene Diskrepanz zwischen der Realität des Krieges und dem Mandat des UN-Sicherheitsrats erkennen können und einen Stopp der militärischen Maßnahmen fordern müssen. Doch niemand hat die offensichtlich übertriebenen Vorwürfe gegen Gaddafi, für die es keine Beweise gab, in Frage gestellt noch die wahren Ziele der NATO berücksichtigt. Man blieb der falschen Menschenrechts- und Schutzrhetorik treu: Wenn der Schutz der Zivilbevölkerung nicht anders als durch die Bekämpfung des libyschen Militärs und seines Oberbefehlshabers Gaddafi zu erreichen sei, so müsse der Kampf andauern. Als Oberbefehlshaber sei er ein legitimes Angriffsziel im Sinne des humanitären Völkerrechts und dürfe deshalb auch im Rahmen der Resolution 1973 gezielt angegriffen werden (würden sie das auch von Sarkozy, Brown und Obama sagen?). Wenn damit gleichzeitig die Seite der Aufständischen faktisch unterstützt werde, sei das nicht zu vermeiden und erlaubt, wenn es unabdingbar sei, um den Zweck zu erreichen. Damit legitimierte man auch die Waffenlieferungen an die Rebellen, obwohl sie eindeutig gegen das vom UN-Sicherheitsrat selbst in seiner Resolution 1970 vom 28.2.2011 verfügte Waffenembargo verstoßen. Die Völkerrechtler befanden, der überragende Zweck des Zivilschutzes rechtfertige eine solche Ausnahme, Waffenlieferungen dürften jedoch nicht dem Zweck dienen, eine Konfliktpartei bei der Umsetzung ihrer politischen Ziele zu unterstützen. Derartige Blauäugigkeit läßt die Frage aufkommen, welche Zeitungen diese Juristen lesen. Schließlich biete das in Resolution 1973 formulierte Verbot, Besatzungstruppen nach Libyen zu entsenden, keine Schwierigkeiten, Bodentruppen für »kurzzeitige und sporadische Bodenoperationen« einzusetzen – schon wegen der sprachlichen Differenz. Man bezieht sich auf den Schutz humanitärer Hilfslieferungen, die Rettung von abgestürzten Piloten, die Beratung der Rebellen und die Markierung von Zielen, ohne wahrzunehmen, daß der Kriegseinsatz der NATO schon seit langem Dimensionen angenommen hat, in denen die Rebellen faktisch die Rolle von Bodentruppen übernommen haben, die jetzt besser geführt, besser ausgerüstet und schlagkräftiger gemacht werden. Zusätzliche Legitimation erhält das Unterfangen, wenn man den Gegner, der sich nicht freiwillig der Auslieferung stellt, symbolisch dem Internationalen Strafgerichtshof überstellt, der ihn prompt mit Haftbefehl suchen läßt. Was der Gerichtshof nach den Vorgaben seiner Gründer nie werden sollte, dazu ist er von seinen stärksten Befürwortern allmählich gemacht worden: ein Instrument der Siegerjustiz. Mit geringem Aufwand haben es diese Juristen vermocht, aus einem eindeutig begrenzten Mandat zum Eingriff in die Souveränität eines Staates ein umfassendes Mandat für einen Interventionskrieg bis zum Sturz einer Regierung herauszulesen. Dies gelingt allerdings nur, wenn man sich bedingungslos der Schutz- und Menschenrechtsrhetorik der NATO anschließt und sich der nun auch von konservativen Stimmen akzeptierten Erkenntnis verweigert, daß dieser Krieg primär dem ungehinderten Zugang zu den Öl- und Gasquellen und der Sicherung eines weiteren strategischen Standortes in Afrika gilt. Wo selbst CDU-Politiker vom neuen Energie-Imperialismus der großen Industriestaaten sprechen, rechtfertigen diese blinden Rechtswissenschaftler mit der Unschuldsmine entrückter Exegeten aus dem Elfenbeinturm einen Krieg, der alle Elemente einer Kolonialexpedition hat. An seinem Ende wird zwar die Befreiung von einem diktatorischen Regime stehen. Ob aber seine Ersetzung durch ein Protektorat der Siegermächte mit einem Vasallenregime, welches die Interessen dieser Mächte noch entgegenkommender bedienen wird als das vergangene, dem libyschen Volk die Selbstbestimmung bringen wird, ist zweifelhaft. So sehr das Argument einleuchten mag, daß derjenige, der einen Verbrecher jahrelang gestützt, gefördert und benutzt hat, ihn auch selbst wieder beseitigen darf oder gar muß – siehe die Beispiele Noriega und Saddam Hussein –, nach völkerrechtlichen Regeln ist es ganz und gar unzulässig. Das Modell Libyen könnte Schule machen. Es kostet kaum eigene menschliche Verluste, und man benötigt nur eine Resolution, die die Tür zur Souveränität eines Staates einen Spalt öffnet – die weitere Öffnung besorgen die eigenen Juristen. Dies sollte den Russen und Chinesen im UN-Sicherheitsrat eine Lehre sein, doch auch auf sie kann sich kein kleines Land verlassen. Es wird viel davon gesprochen, das Völkerrecht weiterzuentwickeln und den neuen Anforderungen anzupassen. Diese Juristen machen das selber, frei nach Goethes bekanntem Satz: »Im Auslegen seid frisch und munter, legt ihr nicht aus, so legt was unter.« Leider gibt es keinen Eid, der sie auf die UN-Charta ohne Wenn und Aber verpflichten könnte.
Erschienen in Ossietzky 19/2011 |
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