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Empört, weil er bei seiner zweiten Vorführung vor dem sogenannten Jugoslawientribunal, als die Anklageschrift verlesen wurde, rüde und kategorisch erklärt hat, ohne die Anwesenheit seiner Wahlverteidiger, werde er weder zuhören noch etwas sagen. Ob dieser unverschämten Haltung ließ ihn der Richter aus dem Gerichtssaal entfernen. Zu den Enttäuschten und Empörten dürfte auch der ehemalige Präsident des Europaparlamentes, Hans-Gert Pöttering (CDU), gehören, der seit 2009 der Konrad-Adenauer- Stiftung vorsteht. Hatte er doch unmittelbar nach der Verhaftung Mladics dessen Überstellung an das Tribunal in einem Interview des Berliner Inforadios mit »Erleichterung« begrüßt und als »Bekenntnis Serbiens« charakterisiert, »mit seiner eigenen Vergangenheit ins Reine zu kommen und die eigene Vergangenheit aufzuarbeiten«. Voller Mitgefühl stellte er fest, daß die Bewältigung der eigenen Vergangenheit »für jedes Volk eine schwierige Aufgabe ist«, denn, so klärte er auf, »denken Sie nur daran, wie schwierig es war, nach den furchtbaren Jahren des verbrecherischen Nationalsozialismus von 33 bis 45 die deutsche Vergangenheit aufzuarbeiten, was uns ja – ich glaube, darauf können wir einigermaßen stolz sein – im Großen und Ganzen gelungen ist. Und in anderer Weise hat diese Aufgabe auch Serbien vor sich.« Wie Recht er doch hat, der hochgebildete führende CDU-Politiker. Die schrecklichen, aber keinesfalls bewiesenen Verbrechen des Ex-Generals serbischer Nationalität legt er dem ganzen serbischen Volk zur Last. Den von außen geschürten grausamen Bürgerkrieg in Bosnien-Herzegowina vergleicht er mit dem von Hitlerdeutschland geführten Eroberungs- und Vernichtungskrieg, der 60 Millionen Opfer forderte, mit der Unterjochung großer Teile Europas, mit der fabrikmäßigen Ermordung von sechs Millionen Juden. Und so wie Deutschland sich dieser schrecklichen Vergangenheit stellen mußte, so müssen eben auch die Serben »die eigene Vergangenheit aufarbeiten«! Glücklicherweise können sie sich an den Deutschen, genauer an der Bundesrepublik Deutschland, ein Beispiel nehmen. Klugerweise räumt Pöttering ein, daß die deutsche Aufarbeitung »im Großen und Ganzen« gelungen ist, im Kleinen und Einzelnen also vielleicht nicht. Solchen Naziverbrechern wie Globke, Heusinger, Speidel, Oberländer und vielen anderen, die in der Bundesrepublik Deutschland weiter Karriere machten, sowie deren hochgestellten Dienstherren und auch vielen ihrer Amtsnachfolger fiel es schwer, die Nazi-Barbarei »aufzuarbeiten« und mit sich »ins Reine« zu kommen. Und wie schwer war es erst, die deutsche Außen- und Kriegspolitik gegenüber Serbien »aufzuarbeiten«. Gerade die Serben waren bekanntlich ein widerborstiges Volk. 1914 weigerten sie sich nach dem Attentat auf den österreichisch-ungarischen Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand und dessen Gemahlin in Sarajewo, ein unannehmbares Ultimatum anzunehmen, und 1941 stürzten sie die eigene Regierung, weil diese dem Dreierpakt zwischen Deutschland, Italien und Japan beigetreten war. Beide Male gab es gar keinen anderen Ausweg, als sie zu bestrafen. Kaiser Wilhelm II. ordnete an: »Mit den Serben muß aufgeräumt werden«, »die Kerls müssen geduckt werden«, und Adolf Hitler befahl, »Jugoslawien ... als Staatsgebilde zu zerschlagen«, denn es ging gegen »die gleiche serbische Verbrecherclique, die gleichen Kreaturen, die ... durch das Attentat von Sarajewo die Welt in ein namensloses Unglück gestürzt haben«. Beiden Erklärungen folgte der deutsche Überfall, der zweite kostete elf Prozent der Bevölkerung Jugoslawiens das Leben. Mit über 1.700.000 Gefallenen, Erschossenen und Erschlagenen, den größten Anteil daran hatten die Serben, gehörte Jugoslawien neben der Sowjetunion und Polen zu den Ländern, die im Zweiten Weltkrieg die meisten Toten zu beklagen hatten. Die deutsche Bundesrepublik hat das »im Großen und Ganzen« aufgearbeitet, ohne sich je für die Einzelheiten zu interessieren, wie allein schon ein kleines Beispiel zeigt, das ein längeres Originalzitat verdient: In Pancevo, nahe Belgrad, wurden 600 serbische Juden und Roma umgebracht. Der zuständige Oberleutnant der Wehrmacht, Hans-Dieter Walther, rapportierte die Untat mit folgenden Worten: »1.11.1941. Bericht über die Erschießung von Juden und Zigeunern ... Der Platz, an dem die Erschießung vollzogen wurde, ist sehr günstig. Er liegt nördlich von Pancevo, unmittelbar an der Straße Pancevo – Jabuka, an der sich eine Böschung befindet, die so hoch ist, daß ein Mann nur mit Mühe hinaufkann ... Ein Entkommen der Gefangenen ist daher mit wenig Mannschaften zu verhindern. Ebenfalls günstig ist der Sandboden dort, der das Graben der Gruben erleichtert und somit auch die Arbeitszeit verkürzt ... Das Ausheben der Gruben nimmt den größten Teil der Zeit in Anspruch, während das Erschießen selbst sehr schnell geht (100 Mann 40 Minuten) ... Das Erschießen der Juden ist einfacher als das der Zigeuner. Man muß zugeben, daß die Juden sehr gefaßt in den Tod gehen – sie stehen sehr ruhig, während die Zigeuner heulen, schreien und sich dauernd bewegen, wenn sie schon auf dem Erschießungsplatz stehen. Einige sprangen sogar vor der Salve in die Grube und versuchten, sich totzustellen ...« Der Bericht wurde in den 1950er Jahren mehrfach veröffentlicht, doch der Oberleutnant wurde 1959 als Berufssoldat von der Bundeswehr wieder eingestellt und zum Bataillonskommandeur ernannt. Als solcher konnte er bei der Ausbildung seiner »Bürger in Uniform« weiter aus seinen in Serbien gesammelten Erfahrungen schöpfen und mit sich »ins Reine kommen«. Wozu sich darüber aufregen? Über diese und unzählige andere Ungeheuerlichkeiten ist eh Gras gewachsen. Auch über das Massaker von Kragujevac. Dort trieb die Wehrmacht rund 10.000 männliche Personen aus der Stadt und einigen umliegenden Dörfern zusammen und erschoß 7.000 von ihnen, gruppenweise, mit schweren Maschinengewehren aus Nahdistanz. Das Alter der Ermordeten lag zwischen 14 und 80 Jahren. Zu ihnen gehörten 10 Priester, 20 Lehrer und 300 Schüler. Die Zahl der Bundesbürger, die schon einmal von dieser dokumentierten Greueltat gehört haben, ist äußerst gering. Dafür können sie nahezu täglich vom Massaker von Srebrenica, dem »größten Kriegsverbrechen nach dem II. Weltkrieg«, dessen Ausmaß, Ablauf und Hintergründe nach wie vor umstritten sind, hören und lesen. Das ist auch der Zweck der inflationären Übung: Das »größte Kriegsverbrechen nach dem II. Weltkrieg« hilft, die monströsen Verbrechen im II. Weltkrieg vergessen zu machen. Und außerdem, welch Geschenk des Himmels, hatte das wiedervereinigte und wieder zu Stärke gekommene Deutschland Ende des vergangenen Jahrhunderts doch das Glück, die in den vorangegangenen zwei Kriegen gegen die Serben verübten Untaten »aufzuarbeiten«, indem es 1999 mit seinen Tornado-Flugzeugen an der Spitze der NATO-Luftarmada erneut über Serbien herfiel und so entscheidend half, in Kosovo eine »humanitäre Katastrophe« zu verhindern. Daß dabei ausgerechnet auch die Chemiefabriken in Pancevo und das große Automobilwerk in Kragujevac zerstört wurden, zeigt nur ein übriges Mal, wie ernst es der Bundesrepublik mit der »Geschichtsaufarbeitung« ist. Der frühere Bundesverteidigungsminister Rupert Scholz hatte schon 1991 mit der streng wissenschaftlichen völkerrechtlichen Argumentation vorgearbeitet, Jugoslawien sei eine »noch zu bewältigende Folge des Ersten Weltkriegs«, eine »sehr künstliche Konstruktion«. Pöttering kann nur zugestimmt werden: Wir können »einigermaßen stolz sein«, was wir inzwischen alles geleistet haben, um Vergangenheit zu bewältigen. Auch die Serben werden eines Tages stolz sein können, obwohl sie es tatsächlich schwer haben, mit sich ins Reine zu kommen. Die Deutschen, vor allem die vom Schlage Pötterings, stehen bereit, ihnen zu helfen. Und ist es nicht eine wunderbare Fügung, daß nach drei Überfällen auf Serbien im vergangenen Jahrhundert das geläuterte Deutschland im Prozeß gegen Mladic mit dem 63-jährigen früheren Berliner Justizstaatssekretär Christoph Flügge den Vorsitzenden Richter stellt? Es wäre doch gelacht, wenn dieser nicht für Gerechtigkeit sorgen würde!
Erschienen in Ossietzky 15/2011 |
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