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Die Bewertung beginnt mit der Feststellung der Zahl der Todesfälle an der Mauer. Der Berliner Polizeipräsident nennt 80 Tote, die »Arbeitsgemeinschaft 13. 8.« 235, die »Zentrale Ermittlungsstelle für Regierungs- und Vereinigungskriminalität« 122, die Staatsanwaltschaft 86, und die Autoren kommen auf 136; in dieser Zahl sind acht im Dienst getötete DDR-Grenzsoldaten enthalten. Alle Genannten gehen ersichtlich davon aus, daß die Mauer Unrecht war und nicht hätte sein dürfen. Das ist entgegen der in der Öffentlichkeit herrschenden Auffassung nach höchstrichterlichem Spruch nicht der Fall. Der Bundesgerichtshof hat in einer Entscheidung vom 6. November 2002 (5 StR 281/01) erklärt, daß nicht der Abbau der Mauer, sondern lediglich eine »Humanisierung des Grenzregimes« gefordert war. Wörtlich heißt es in der Entscheidung: »Zur Erreichung des Ziels einer solchen Humanisierung des Grenzregimes der DDR wäre nicht etwa die Öffnung der Grenzen der DDR zum westlichen Teil Deutschlands oder der Abbau der mechanischen Sperrwerke an dieser Grenze erforderlich gewesen. Vielmehr hat die Praxis der DDR bei besonderen Anlässen, wie Staatsbesuchen und Parteitagen, als Erschießungen an der Grenze – scil. Nachrichten hiervon – vermieden werden sollten, gezeigt, daß etwa eine Postenverdichtung es ermöglichte, Flüchtlinge handgreiflich zu stellen, statt sie aus größerer Entfernung zu erschießen.« Also, die Mauer an sich war kein Unrecht. Das sehen aber die Verfasser des biographischen Handbuchs anders; das Urteil des BGH kennen sie nicht, jedenfalls erwähnen sie es nicht . Sie machen der DDR den Tod spielender Kinder am westlichen Ufer eines Grenzkanals, wo sie ins Wasser gefallen und ertrunken waren, ebenso zum Vorwurf wie den Tod von 18 Bundesbürgern, die sich als »Fluchthelfer« betätigt hatten, oder den tödlichen Absturz eines Ballonfahrers beim Versuch, die Grenzanlagen zu überwinden. Auf diese, aber auch auf andere Weise wird die Zahl der Maueropfer und damit die Schuld der DDR erhöht. Die Motive für die Flucht aus der DDR sind bedeutungsvoll für die geschichtliche Beurteilung der DDR. Das biographische Handbuch verspricht: »Über die biographische Annäherung eröffnen sich Erkenntnisse über Motive und Lebensumstände der Flüchtenden und ebenso Einblicke in die Lebensgeschichten der durch andere Umstände an der Grenze zu Tode Gekommenen.« Leider hält das Handbuch dieses Versprechen nicht. Die Biographien der Mauertoten enthalten nur selten einigermaßen konkrete Aufschlüsse über die Motive der Opfer. Verallgemeinerungen der Motive fehlen ganz, es sei denn die Passage »Bilder verzweifelter Menschen, die sich an Bettlaken an Hausfenstern abzuseilen versuchten, um in die Freiheit zu springen« gälte als Hinweis auf konkrete Motive. Es bleibt dem Leser überlassen, festzustellen, wie viele Flüchtlinge aus Freiheitsliebe gehandelt haben und wie viele aus anderen Motiven. Das ist jedoch den »biographischen Annäherungen« nicht immer und nicht mit der erwünschten Exaktheit zu entnehmen. Für mich ergab sich folgendes Bild: Bei den sechs Kindern zwischen 5 und 13 Jahren, die beim Spielen verunglückten, dürfte Freiheitsliebe als Motiv auszuschließen sein. Bei den 24 Flüchtlingen, die unter Alkoholeinfluß standen, als sie starben, bleibt das Motiv ihres Handelns zweifelhaft. Die 20 Westdeutschen, die ums Leben kamen, sagen wohl nichts über die Motivation von DDR-Flüchtlingen aus. In den Biographien fand ich folgende Angaben über die Fluchtmotive: Sechs hatten den Wunsch nach einem besseren Leben. Ein Flüchtling wollte seine Verlobte aufsuchen, drei wollten sich der Verurteilung oder der Verbüßung einer rechtskräftigen Strafe entziehen, einer litt an Krebs in fortgeschrittenem Stadium. Nur der Ballonfahrer handelte nach den Angaben seiner Witwe aus Freiheitsliebe. Bei insgesamt zwölf Flüchtlingen waren derartige Angaben über das Motiv in den 136 »biographischen Annäherungen« zu finden. Nicht eben viel. Insgesamt kann festgestellt werden: Die Aussage im Vorwort, daß die Getöteten »in die Freiheit springen« wollten, wird durch die Biographien nicht belegt. Viele Fragen stellen sich ein. So im Fall Gueffroy (S. 129 ff). Von dem jungen Mann heißt es: »Im September 1985 beginnt er eine Lehre als Kellner im Flughafen-Restaurant Schönefeld bei Berlin und arbeitet danach in verschiedenen Gaststätten.« Das Flughafenrestaurant mit seinen internationalen Gästen (und entsprechenden Trinkgeldern) dürfte nicht jeden Bewerber eingestellt haben. Das gleiche gilt von den »verschiedenen Gaststätten« , in denen er später arbeitete. Zuletzt war er in einem der renommiertesten Berliner Interhotels tätig. Wie konnte er dort eingestellt werden? Weiß die Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes mehr? Ich nehme es an. Sie wurde offenbar nicht befragt. Von einem Zentrum für Zeithistorische Forschung hätte ich mehr erwartet. So insbesondere eine Antwort auf die Frage: Warum verließen so viele Menschen die DDR? Warum taten es einige unter Lebensgefahr? Das biographische Handbuch hilft hier nicht entscheidend weiter. Es unterstellt einfach, die Flüchtenden hätten aus Freiheitsliebe gehandelt. Es zieht keine Schlußfolgerungen aus der Tatsache, daß die Zahl der Todesfälle sich in den Jahren von 1961 bis 1989, wie die nachstehend Tabelle ergibt, stark verringerte: Mauertote 1961–1989
Die Zahl der Todesfälle nahm also ab. Eine Ursache dafür dürfte wohl sein, daß die DDR-Oberen sich entsprechend dem Ratschlag des BGH bemühten, sie zu vermeiden. Unerwähnt bleibt auch, daß die Bewegung von Ost nach West nach dem 3. Oktober 1990 anhielt. Wikipedia teilt mit: »Die Einwohnerzahl der neuen Länder ist seit 1990 um etwa zwei Millionen zurückgegangen, da etwa drei Millionen die ehemalige DDR verlassen haben und etwa eine Million vorwiegend aus der alten Bundesrepublik zugewandert sind.« Die drei Millionen, die nach der Maueröffnung gingen, hatten wohl in der Regel das gleiche Motiv wie ihre Landsleute davor. Das Handbuch hat sein Ziel verfehlt. »Die Todesopfer an der Mauer 1961–1989, Ein biographisches Handbuch«, Ch. Links Verlag, 524 Seiten, 24,90 €
Erschienen in Ossietzky 9/2011 |
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