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Da wegen notwendiger Personalverschlankung in einigen Berliner Orchestern auch Bläser und Schlagzeuger entlassen werden müssen, könnte aus der Not eine Tugend gemacht werden: Man könnte die erfahrenen und mit absolutem Gehör ausgestatteten Musiker zur Bahntrasse umsetzen. Auf diese Weise ließe sich nicht nur die Sicherheit, sondern gleichzeitig auch die musikalische Bildung der Streckenarbeiter erhöhen, wenn das Nahen der sowieso recht selten gewordenen Züge zum Beispiel mit Motiven aus Wagner-, Weber- und Lortzing-Opern angekündigt würde. Die Musiker kämen nicht aus der Übung und könnten im Bedarfsfall unmittelbar wieder vom Gleis in den Konzertsaal geholt werden. * Musikfreie Kitas durch GEMA-Verfü-gungen – Da die GEMA künftig auch die Vorschuleinrichtungen für das Absingen und Abspielen von Kinderliedern zur Kasse bitten und die Erzieherinnen verpflichten will, die verwendeten Titel von »Hänschen klein« bis »Wenn Mutti früh zur Arbeit geht« lückenlos aufzulisten, wollen die öffentlichen und privaten Kita-Träger ab sofort den Kindergesang einschränken. Analog zu den raucherfreien Bahnhöfen und Gaststätten soll Kindergesang in den Einrichtungen nur noch in streng abgegrenzten Raumbereichen und nur nach 21 Uhr gestattet werden. Vorschulkinder, die zum sogenannten spontanen Singen neigen, könnten aus Kostengründen prophylaktisch vom Besuch der Einrichtungen ausgeschlossen werden. * Sparen um jeden Preis – Wie die Märkische Oder-Zeitung ihren Lesern mitteilte, sollen laut Haushaltsentwurf für 2011 die Sparmaßnahmen in verschiedenen Bereichen konsequent fortgesetzt werden, zum Beispiel durch weitere Beschneidung zeitweiliger Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und durch Streichungen im Kulturbereich. Selbst die Ministerien bleiben von harten Einschnitten nicht verschont. So können für einen neuen Teppich im Landwirtschaftsministerium nur 300.000 Euro veranschlagt werden, obwohl der Belag durch die Feldstiefel der Landwirte stark in Mitleidenschaft gezogen werden dürfte. Das Arbeitsministerium plant für die Erneuerung der Lampen 700.000 Euro ein, für die der Bundesbürger des besseren Über- und Durchblicks wegen bestimmt Verständnis aufbringen wird. Anders sieht es mit dem Tafelsilber des Bundespräsidenten aus, das Christian Wulff gern ersetzen würde. Dafür scheint der unrühmliche Abgang seines Vorgängers doch nicht das überzeugende Argument zu sein. Oder hängt das damit zusammen, daß Ein-Euro-Kräfte für die Silberpflege eingespart werden müssen? Man soll auch beim Sparen nicht übertreiben! Sparen ja, aber nicht um jeden Preis! Wolfgang Helfritsch Typisch Bahn AGDer ICE hat eine neue Toilette. Mit Ganzkörperspiegel. Es fehlt ein Haken, an dem ich meine Jacke aufhängen könnte. Ich habe einen Sitzplatz reservieren lassen. Der Zug kommt ohne den reservierten Platz. Ich muß stundenlang stehen. Haltegriffe wie in der Straßenbahn fehlen. Die Bahn AG möchte von mir ein Bild für meine Bahnkarte. Nachdem ich es ihr geschickt habe, bekomme ich meine »Bahncard« ohne Bild. Dem Begleitbrief ist zu entnehmen, daß sie neuerdings ohne Bild ausgestellt wird. Man soll aber immer einen Ausweis mit Bild bei sich haben... Alltägliche Erfahrungen mit einem Unternehmen, das Managern aus der Autoindustrie überlassen wurde, damit sie es systematisch ruinieren. Wolfgang Haible Kein Zweifel am VerstorbenenAnfang Januar verstarb im Alter von 98 Jahren der einstige niedersächsische Verfassungsschutzbeamte und »Reichstagsbrandforscher« Fritz Tobias. Ossietzky-Leser kennen ihn als den Mann, der ab Ende der 1950er Jahre in Kooperation mit ehemaligen SS-Offizieren die tatsachenwidrige Legende vom Alleintäter Marinus van der Lubbe propagierte. Seine zentrale Quelle war der kriminalpolizeiliche Ermittler nach dem Reichstagsbrand 1933, Walter Zirpins, der als SS-Sturmbannführer und Helfer bei der »Endlösung der Judenfrage« im Ghetto Litzmannstadt aktenkundig wurde. Publizistisch durchzusetzen vermochte Tobias seine Thesen in einer von dem ehemaligen NS-Pressechef und SS-Obersturmbannführer Paul Karl Schmidt alias Paul Carell bearbeiteten Spiegel-Serie. Beglaubigt wurden seine Behauptungen durch den rechtsextremer Umtriebe unverdächtigen Historiker Hans Mommsen, dem der angebliche Zufallstäter van der Lubbe gut ins Konzept seiner Theorie der NS-Herrschaft als »funktionalistisches«, sich durch zufällige Ereignisse radikalisierendes System paßte, dessen Tendenz zum Vernichtungskrieg und Holocaust erst spät absehbar gewesen sei. Aktuell wütet Mommsen gegen die Studie »Das Amt und seine Vergangenheit«, so daß der mit ihm befreundete Saul Friedländer der Süddeutschen Zeitung zuletzt nur noch resigniert sagte: »Dieser extreme Funktionalismus führt zu der impliziten These, niemand in der Hierarchie des ›Dritten Reichs‹ habe gewußt, worauf es am Ende hinauslaufen würde […], das entspricht schon der Selbstverteidigung der Angehörigen des Außenministeriums.« Daß der Spiegel und andere Mainstream-Medien Tobias in ihren Nachrufen zum furchtlosen Wahrheitskämpfer adelten, war zu erwarten. Eine erfreuliche Ausnahme innerhalb dieses Medienreigens bildete – eine Woche lang – der sozialdemokratische Vorwärts. Auf vorwärts.de erschien am 11. Januar ein Artikel des mehrfach wegen seiner Aufklärungsarbeit gegen Rechtsextreme und Neofaschismus ausgezeichneten sozialdemokratischen Journalisten Anton Maegerle, betitelt mit: »Fritz Tobias‘ Kontakte zu Rechtsextremen. Zweifelhafter Reichstagsbrandforscher verstorben«. Maegerle brachte die Fakten zum Trio Tobias / Zirpins / Schmidt-Carell und verwies darauf, daß Tobias unter anderem auch einen Beitrag zur Festschrift für den Holocaustleugner David Irving verfaßt hatte. So viel Wahrheit über einen Verstorbenen durfte nicht sein. Nicht im Spiegel, nicht in der Welt und nicht im Vorwärts. Sogleich meldete sich Mommsen, um der Redaktion die Leviten zu lesen. Einen Tag später Tobias’ Sohn, der ankündigte, er werde zukünftig den Vorwärts ungelesen entsorgen. Am 19. Januar war Maegerles Artikel gelöscht. Endgültig. Und das hatte seine Richtigkeit. So antwortete Vorwärts-Chefredakteur Uwe Knüpfer auf meine Frage nach den Gründen der Löschaktion: »Maegerles Nachruf hätte nie erscheinen dürfen [...] Wir haben keinerlei Anhaltspunkte dafür [...], daß an Fritz Tobias irgendetwas ›zweifelhaft‹ war.« Wenn es so etwas wie posthume Freude gäbe – einige Ehemalige hätten Grund dazu. Wigbert Benz Die Nützlichkeit erfahrener NazisAls späte Entdeckung würdigten viele Zeitungen ein Forschungsergebnis der Historikerkommission zur Geschichte des Auswärtigen Amtes: daß deutsche Diplomaten, die beflissen der Politik Hitlers gedient hatten, im Auswärtigen Dienst der Bundesrepublik ungeschoren weiterwirken konnten. Andere Blätter (s. »Die FAZ führt einen Beweis« in Ossietzky 2/11), auf die Reputation deutscher Eliten bedacht, verwiesen auf die »DDR-Pamphlete«, die vor vielen Jahren eine solche Kontinuität bösartigerweise herausgestellt hätten – »Feindpropaganda« also, die man sich nicht zu Herzen nehmen muß. Wer in Publikationen des Jahres 1951 hineinschaut, in dem die junge Bundesrepublik sich einen Auswärtigen Dienst anschaffte, stößt auf Berichte und Stellungnahmen, die ein ganz anderes Bild ergeben. Im Mai 1951, die Bundesregierung suchte gerade das Personal für ihr Außenministerium zusammen, druckte die Zeitschrift Der Monat, jeglicher Sympathie für die DDR und ihre Informationspolitik unverdächtig, eine umfangreiche Leserzuschrift ab, in der es hieß: »Das Urteil im Wilhelmstraßenprozeß (Nürnberger Prozeß gegen Diplomaten des »Dritten Reiches«, darunter den NS-Staatssekretär Ernst von Weizsäcker; P.S.) mit seinem erschütternden Urkundenmaterial ist zu einem Maßstab dafür geworden, was von den Vertretern der nationalsozialistischen Außenpolitik unter Hitler und Ribbentrop zu halten ist, die mehr oder minder aktiv an schauerlichen Vorgängen beteiligt gewesen sind.« Die Bundesrepublik, forderte der Verfasser, müsse sich »von den Trägern, Gehilfen und langjährigen Mitwissern« der Verbrechen des NS-Staates im ehemaligen Auswärtigen Amt »öffentlich und nachdrücklich distanzieren«; auf diese Art »Fachleute« dürfe sie nicht zurückgreifen. Zuvor hatte der Monat, mit leicht distanzierender redaktioneller Vorbemerkung, schon einen Beitrag über »Verhinderte Hochverräter« von Peter de Mendelssohn gebracht, in dem besonders die Reinwäscherei des Amtes in der Nachkriegsmemoirenliteratur kritisiert wurde, so in von Weizsäckers »Erinnerungen«. Im Herbst 1951 legte dann mit einer Artikelserie von Michael Mansfeld die Frankfurter Rundschau (lang ist es her ...) offen, welche im NS-Staat bewährten Diplomaten die Bundesregierung einer »Wiederverwendung« zuführte. Das erregte Aufsehen, und in Bonn mußte ein Untersuchungsausschuß eingesetzt werden, um den Ärger zu kanalisieren. Bundeskanzler Konrad Adenauer schloß den ihm lästigen Vorgang mit dem Ausspruch ab, nun müsse man aber »mit der Naziriecherei Schluß machen«. Und so geschah es dann auch, nicht nur im Auswärtigen Dienst. Am Rande bemerkt: Die Zeitschrift Der Monat wurde, wie sich viel später herausstellte, von der CIA finanziert. Die wiederum beteiligte sich, dies freilich verdeckt, an der Wiederverwendung von Personal aus kriminellen Nazi-Organisationen. Da hätte sich, wenn es ihm bekannt geworden wäre, so mancher Autor des Monat denn doch gewundert: US-amerikanische geheime Dienste nutzten »Naziriecherei« auch zu dem Zweck, NS-Verbrecher für den »Kampf gegen den Kommunismus« zu rekrutieren – die waren darin erfahren. Peter Söhren Der FDP-IdeenstifterDen deutschen Parteien stehen mit Staatsknete ausgestattete Stiftungen zur Seite, die den Auftrag haben, Ideen zu liefern, politische Bildung zu betreiben und Stipendien an akademischen Nachwuchs zu verteilen. Diese Einrichtungen tragen die Namen historischer Persönlichkeiten – was ein Problem aufwirft: Wie verhält sich die Gedankenwelt der jeweiligen Partei heute zu der des Menschen, dessen Namen sie für ihre Stiftung nutzt? Leicht hat es da die CSU: Über Hanns Seidel weiß kaum noch jemand etwas, da fragt auch niemand nach. Konrad Adenauer – ob er die »Berliner Republik« als ideelle Nachfolgerin seiner rheinischen akzeptieren würde, ist doch etwas zweifelhaft. Heinrich Böll würde die Politik der Grünen heute wahrscheinlich heftig kritisieren. Friedrich Ebert – die gegenwärtige SPD hat ebenso wenig Revolutionäres im Sinn wie er damals, insoweit paßt das. Rosa Luxemburg wiederum, ermordet im Auftrag von Eberts rechter Hand Gustav Noske, hätte gewiß keine pure Freude an der Partei Die Linke. Bleibt Friedrich Naumann. Bewegt sich die FDP auf seinen Bahnen – und welche waren dies überhaupt? Von der liberalen Partei hört man dazu nur wenig, deshalb hier einige Hinweise: Friedrich Naumann (1860–1919) war protestantischer Pfarrer, Politiker, Mitglied des wilhelminischen Reichstags und politischer Publizist, Gründer des »Nationalsozialen Vereins« und zu Beginn der Weimarer Republik Vorsitzender der Deutschen Demokratischen Partei. Sein 1915 erschienenes Buch »Mitteleuropa« wurde zum Bestseller. Darin wurde in allen Details beschrieben, wie aus dem Weltkrieg, aus dem »Fließen des Blutes und dem Wogen der Völker« heraus, Großdeutschland zum Führungsstaat einer »mitteleuropäischen«, »erstklassigen Weltwirtschaftsmacht« werden könne, durch »Angliederung anderer Staaten und Nationen«. Als »Militärverband und Wirtschaftsverband« sollte das deutsch geführte »Mitteleuropa« im globalpolitischen »Wettlauf« operieren, in dem »ein unerbittliches Gesetz der Auslese« walte. Die Niederlande, Belgien und die Balkanländer sollten in jedem Fall diesem »Mitteleuropa« zugeschlagen werden, vielleicht auch Italien (über Frankreich wollte Naumann während des Krieges noch nicht sprechen); dieser »Verband« könne dann seine Macht in den Orient und nach Afrika ausdehnen. Innergesellschaftlich sei »soziale Reform« erforderlich, um »Verbundenheit, freiwillige Zucht eines großen Volks-, Kriegs- und Arbeitsheeres« zu erhalten – »Nationalsozialismus« nannte Naumann dieses von ihm entworfene Modell. Anfang der 1990er Jahre hat Martin Bennhold es kritisch beschrieben; die FDP blieb ungerührt von solchen Erkenntnissen über ihren Ideenstifter. Nun hat in der Frankfurter Rundschau Götz Aly die Freien Demokraten gefragt, ob ihnen denn diese Naumann-Geschichte egal sei. »Die Leiche im Keller der FDP« ist sein Kommentar überschrieben. »Leiche«? Der »Mitteleuropa«-Entwurf von 1915 ist höchst vital, soweit es um den Militär- und Wirtschaftsverband geht. Die »Sozialreform« wird nicht mehr gebraucht, »Zucht« stellt sich heutzutage auf andere Weise her. Und »Mittel-« muß es nicht mehr heißen, »Europa« genügt. P. S. Ein Baum im JaunfeldIm Sommer 1943, nachdem die Schlacht von Stalingrad geschlagen, die Besiegbarkeit des Faschismus bewiesen war, wurden »die Österreicher in der Feierlichen Moskauer Erklärung zum bewaffneten Widerstand gegen die reichsdeutsche Zwangsgemeinschaft aufgerufen – als Bedingung für die Selbständigkeit Österreichs nach dem Krieg«, wie der Ich-Erzähler in Peter Handkes neuem Buch »Immer noch Sturm« berichtet. Am Beispiel der Geschwister seiner Mutter erfahren wir von einer Partisanenbewegung, wie es sie nirgendwo anders im Nazi-Reich gegeben hat als im Süden Kärntens, hauptsächlich getragen von Angehörigen der dort seit Jahrhunderten ansässigen slawischen Bevölkerung. Die Nazis drangsalierten diese Minderheit, verboten ihr die eigene Sprache und zwangen die jungen Männer zum Kriegsdienst für »Fürer und Faterlant«. Der jüngste Onkel ist schon draufgegangen. Der Großvater flucht: »Daß die Deutschländer alle der Schaitan hole, vom Arnulf bis zum Ziegfried, von den Anneliesen bis zu den Zieglinden. Daß Deutschland, Deutschland nichts und nichts wird in der Welt. Von der Maas bis zur Memel nichts und nichts und noch einmal nichts, und dazwischen da und dort ein vertrockneter Mäusedreck, ein Bandwurm in einem Nachttopf, eine verrostete Türklingel in einem kaputten Zahnputzglas im schmutzigen Schnee. Nie wieder jemand Deitschen sehen mit seinem deitschen Schädel, mit seinem deitschen Gestell, mit seinem deitschen Knochenbau, mit seinem deitschen Scheitel im Haar, mit seiner deitschen Fahrradklammer um das deitsche Hosenbein, mit seiner deitschen Schuhgröße für seine deitschen Haxen. Nie wieder jemand Deitschen hören, mit seiner Luftzerhackersprache, mit seiner Eintongabelstimme, mit seinem Trommelfelldurchstoßbrüllen, mit seinem sonoren Kreidefreßwolfsäuseln. In der Luft zerrissen sollen die Deitschen werden.« Schimpfen, Fluchen, das hat Handke seit jeher besonders gut gekonnt – mit Übertreibungen, die zum Lachen reizen, auch in einem solchen Kontext. Die Slawen tragen entscheidend dazu bei, daß die Moskauer Bedingung für Österreichs Selbständigkeit erfüllt wird. Das bekommt ihnen schlecht. Ein zu den Partisanen gegangener Onkel hatte gehofft und verheißen: »Nach dem Krieg werden wir den Leuten im Land die Hand reichen, und wir werden zusammen zu dem großen freien Europa gehören. Keiner wird mehr ein Knecht sein hierzulande, kein Volk wird mehr ein anderes unterkriegen wollen. Zum ersten Mal in unserer Geschichte werden wir frei sein. Frei vor allem, unsere Sprache zu sprechen. Niemand mehr wird uns im Gasthaus, in der Eisenbahn, im Omnibus, in den Ämtern anherrschen, gefälligst deitsch zu reden oder ... Niemand mehr von denen wird, was uns betrifft, in unserem geliebten Land das Sagen haben.« Aber nach dem Krieg war, wie der Erzähler später resümiert, nur »zehn Tage lang der warme, warme Frieden und dann der kalte, kalte Krieg – der andauert (...), verfügt vom Westen her, aus dem hier im Jaunfeld auch sonst die kalten Winde wehen«. Am Ende gibt es keine Hoffnung und Verheißung mehr. Der Onkel, der bei den Partisanen war, überläßt sich dem Weltverdruß, dem Ekel vor der Wirklichkeit. Von der ganzen Familie lebt schließlich nur noch der Erzähler, der als »Bastard« galt, weil er einen deutschen Vater hat. Klartext zu reden, mache ihm die Zunge schwer, sagt der Erzähler einmal und wechselt vom historischen Bericht ins Poetische und Theatralische. Es bleibt der mit Worten spielende Artist, der von einem Apfelbaum im Sturm erzählt, ähnlich wie Handke vor zwei Jahren von den Kuckucken in Velica Hoca erzählte, dem aussterbenden serbischen Dorf im Kosovo. Eckart Spoo Peter Handke: »Immer noch Sturm«, Suhrkamp Verlag, 166 Seiten, 15.90 €; ein auf diesem Text beruhendes Theaterstück soll bei den diesjährigen Salzburger Festspielen uraufgeführt werden Kiel ehrt Ernst BuschHelligen, Docks und Kräne prägten fast ein Jahrhundert das Ostufer der Hörn des Kieler Hafens. Heute ist an der innerstädtischen Förde davon nichts mehr vorhanden. Wo einst auf der kruppschen Germania-Werft die todbringende maritime Streitmacht vom Stapel lief – erst für die kaiserlichen und später für die faschistischen Weltherrschaftspläne –, entsteht heute Kiels Kai-City. Der Platz am neuen Germaniahafen hatte seit Jahren in den städtischen Verwaltungsunterlagen den vorläufigen Namen »Wasserplatz«. Im Herbst des vergangenen Jahres beschloß jedoch der zuständige Stadtteil-Beirat, ihn nach dem Kieler Arbeitersohn, Schauspieler und Sänger Ernst Busch zu benennen. Zum Entsetzen der CDU und FDP folgte wenige Wochen später – ungeachtet des Warnschreis: ein Kommunist! – die Mehrheit von SPD, Grünen, Direkter Demokratie, Linken und Südschleswigschem Wählerverband in der Kieler Ratsversammlung diesem Antrag. Und so hat nun Kiel seit dem 22. Januar 2011, dem 111. Geburtstag des Barrikadentaubers, einen »Ernst-Busch-Platz«. Der ihm zu Ehren gewählte Standort in seiner Geburtsstadt dürfte Busch gefallen, arbeitete er doch, bevor er 1920 am Kieler Theater seine künstlerische Laufbahn begann, fünf Jahre als Lehrling und Werkzeugschlosser auf der Germania-Werft. Edmund Schulz Press-KohlDie Texte der »Korrektur«-Rubrik sind in der Berliner Zeitung manchmal recht feinsinnig formuliert: »Die Figur des Lederstrumpfes ist – anders als in der Dienstagsausgabe, Seite 30, in einem Nachruf behauptet – keine Erfindung von Karl May, sondern des Schriftstellers James Fenimore Cooper.« Karl May hat nämlich, wenn wir von seiner Erfindung des Winnetous sowie beispielsweise auch derjenigen des Shatterhandes absehen dürfen, nicht einmal sich selbst erfunden, wohl aber seine eigenen Pseudonyme, also Decknamen, welche forsch und eindrucksvoll lauten: Karl Hohenthal, E. v. Linden, M. Gisella, P. van Löwen, Ramon Diaz, Emmi Pollmer (volkstümlicher Typ) und Latréaumont. Den französischen Lyriker Graf Lautréamont hat Karl May nicht erfunden, sondern nur durch Buchstabentausch aus dessen Namen den sächsischer klingenden Latréaumont gezaubert. Dichterische Freiheit. Soviel zur nunmehr geklärten Erfindung des Lederstrumpfes. Felix Mantel
Erschienen in Ossietzky 3/2011 |
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