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Dazu hat US-Präsident Obama die beiden Kontrahenten Netanyahu und Abbas nun nach Washington mehr vor- als eingeladen – und wieder sind Hoffnung und Optimismus Pflicht der Politiker. Doch neben dieser gigantischen Aufgabe steht ein weiteres gefährliches Problem auf der Tagesordnung: die immer noch ungelöste Frage, wie man dem Iran auf die eine oder andere Weise endlich ein Regime à la Bagdad und Kabul verpassen kann. Die Befriedung Palästinas und der Umbau des Iran – so unvereinbar die beiden Aufgaben sind, so eng sind sie miteinander verbunden. Denn während Netanyahu und Obama den Palästinensern endlich einen eigenen, souveränen, sicheren Staat mit einem klar definierten Territorium verschaffen sollen, der auch die Grenzen und die Sicherheit Israels garantiert, arbeiten sie gleichzeitig an der Destabilisierung und Auflösung eines Nachbarstaates, des Iran, der in ihr Herrschaftskonzept nicht hineinpassen will. Beide Aufgaben haben ihre eigenen Widersprüche, die sie kaum lösbar erscheinen lassen. Zusammengenommen bilden sie ein gefährliches Gemisch, welches jederzeit in einen Krieg explodieren kann. Die offenen Drohungen mit einem militärischen Schlag gegen Iran und die unverblümten Aufforderungen, endlich zuzuschlagen, sind in jüngster Zeit sogar häufiger geworden als die Warnungen, die schon seit 2003 zu hören sind. Nachdem sich die Öffentlichkeit an diesen Zustand des kalten Krieges gewöhnt zu haben schien, ist die Kriegspropaganda nun aber nicht nur häufiger, sondern auch schärfer geworden. Daran beteiligen sich nicht nur Neokonservative wie Daniel Pipes, der Obama im Februar aufrief, Iran zu bombardieren, oder der alte Haudegen John Bolton, der Israel aufforderte, noch vor der russischen Lieferung atomarer Brennstäbe den Reaktor in Buschehr zu zerstören, sondern auch Abgeordnete des Repräsentantenhauses, die in einem Resolutionsentwurf (Nr. 1553) Israel das Recht zu einem präventiven Militärschlag gegen die iranische Atomindustrie einräumen. Am 26. Juli dieses Jahres widmete der Weekly Standard seine Titelgeschichte der Aufforderung an Israel, das Zaudern Obamas dadurch zu beenden, daß es selber den Iran angreift: Die Iraner seien Papiertiger und ein Krieg gegen sie »ein militärischer Spaziergang«. In der Washington Post vom 9. Juli hatten bereits der frühere Senator Chuck Robb und der ehemalige stellvertretende NATO-Oberbefehlshaber General Charles Wald die USA aufgefordert, mit Kriegsvorbereitungen zu beginnen. Denn Sanktionen könnten nur greifen, wenn sie mit der offenen Vorbereitung einer als letzter Ausweg dargestellten Militäraktion gekoppelt würden. Zwei Tage danach redete der ehemalige malaysische Premierminister Mahathir Mohamad Klartext: Die USA hätten den UN-Sicherheitsrat genötigt, Sanktionen gegen den Iran zu verhängen, um diesen Staat zu schwächen und den Boden für einen militärischen Angriff vorzubereiten. »Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Kriegsverbrecher in Israel und den USA einen weiteren Angriffskrieg vom Zaun brechen – sobald der Iran durch die Sanktionen genügend geschwächt ist.« US-Verteidigungsminister Robert Gates drückte sich etwas weniger direkt, aber nicht minder entschlossen aus, als er am 20. Juni in Fox News meinte: »Wir können die Vorstellung, daß der Iran über Atomwaffen verfügen könnte, einfach nicht akzeptieren.« Was kann das anderes heißen, als daß man notfalls auch zu den Waffen greifen würde, selbst wenn Gates bei nächster Gelegenheit sagt: »In der Tat glaube ich, daß ein Krieg im Mittleren Osten auf verschiedenen Ebenen desaströs sein würde.« Mit der Berufung von General Petraeus zum Oberkommandierenden in Afghanistan hat Obama nicht nur seinen gefährlichsten Konkurrenten für die Präsidentschaftswahl auf einen vielleicht bereits angesägten Hochsitz platziert, sondern auch jemand gewählt, der schon immer für einen harten Kurs gegen den Iran eingetreten ist. Und wenn der Vorsitzende der Joint Chiefs of Staff, Admiral Mike Mullen, im Dezember 2009 in einer Leitlinie für seinen Stab forderte, militärische Optionen müßten vorbereitet sein, wenn der Präsident ein militärisches Vorgehen für notwendig halte, ist davon auszugehen, daß die Vorbereitungen laufen, wenngleich Mullen selber ernste Vorbehalte gegen den Angriff hat. Eine weitere Personalie, die Platzierung von Leon Panetta an die Spitze der CIA Anfang 2009, weist in die gleiche Richtung. Noch im Dezember 2007 am Ende der Bush-Ära hatten die Geheimdienste in einer gemeinsamen Einschätzung, der sogenannten National Intelligence Estimate (NIE), verkündet, daß der Iran bereits 2003 die Entwicklung eines Atomprogramms eingestellt habe. In einem kürzlich publizierten Interview berichtete Panetta nun von einer Revision dieser Einschätzung durch eine neue NIE und beschuldigte den Iran, an der Herstellung waffenfähigen Urans und der Entwicklung von Atomwaffen zu arbeiten. US-Diplomaten bei den Vereinten Nationen bedienen sich bereits dieser Wendung, um die anderen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats darauf einzustimmen. Gleiches hat der Wechsel im Amt des Direktors der Internationalen Atomenergiebehörde in Wien von El Baradei zu Yukia Amano bewirkt. Der Japaner hat umgehend die bislang vorsichtigen und abwägenden Einschätzungen El Baradeis über das Atomprogramm Irans ohne neue empirische Erkenntnisse uminterpretiert und von einer »möglichen Existenz vergangener oder aktueller Aktivitäten, die die Entwicklung nuklearer Nutzlast für Raketen beinhalten« gesprochen. Das Atomprogramm liefert den immer noch überzeugendsten Vorwand für diese nicht nur verbalen Kriegsvorbereitungen gegen den Iran so wie 2003 die Massenvernichtungswaffen für den Krieg gegen den Irak. Die Bedrohung durch eine Atomrüstung des Iran ist auch der basso ostinato der israelischen Politik. Schon Ehud Olmert nutzte sie für die Forderung nach einem militärischen Präventivschlag gegen die Atomindustrie des Iran. Netanyahu verstärkt dieses Drängen und wird dabei von israelischem Militär unterstützt. Präsident Bush jun. lehnte noch 2008 Olmerts Forderung nach bunkerbrechenden Waffen, Überflugrechten über den Irak und Flugzeugen zum Auftanken von Bombern in der Luft ab. Auch Präsident Obama hat betont, daß die USA Israel kein grünes Licht zu einem militärischen Schlag gegeben haben. Aber wer vertraut schon der politischen Rationalität zweier »in der Wolle gefärbter Geschöpfe militärischer Operationen«, wie die liberale israelische Zeitung Haaretz Netanyahu und seinen Verteidigungsminister Barak nach dem Gaza-Krieg und dem Überfall auf die Free-Gaza-Flottille nannte. Die Furcht, daß die israelische Regierung eine noch zögernde US-amerikanische Regierung in einen Krieg hineinziehen könnte, ist nicht unbegründet. Dessen Folgen wären zwar für die Region desaströs, aber für die USA nur ein weiterer Kriegsschauplatz zur endgültigen Neuordnung des Nahen Ostens. Dies ist für Jeffrey Goldberg in der Septemberausgabe des Magazins The Atlantic die wahrscheinlichste Alternative eines Krieges, den er nach monatelangen Gesprächen in Washington und Jerusalem für unvermeidbar hält. Die Drohkulisse wird durch Berichte unterstützt, nach denen die Feudalherrscher Saudi-Arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate die USA zu einem militärischen Schlag gegen Iran drängen. Zitiert wird der Botschafter der Emirate in Washington, Yousef al-Otaiba, der im Juli in Aspen/Colorado während einer Podiumsdiskussion die USA zu einem Militärangriff auf den Iran aufrief, trotz der erheblichen Gefahren für sein eigenes Land. Selbst wenn er die Äußerung später zurückzog, gab er damit doch offensichtlich nur die immer stärker werdende Stimmung der sunnitischen Golfstaaten wieder, die ebenfalls den Iran als ernsthafte Bedrohung ansehen. Sein Land würde auf jeden Fall einen Militärschlag gegen den Iran unterstützen, gab er Goldberg zu verstehen. »Wenn kein anderer Staat es auf sich nimmt, den Iran zu bombardieren, dann wird Israel es tun müssen«, zitiert Spiegel Online einen saudischen Geistlichen. Seit Monaten berichtet die internationale Presse über geheime Kontakte des Mossad mit den Saudis wegen Überflugrechten und Nachschubbasen. Sarkozys Frankreich wird sich nach allgemeiner Einschätzung nicht gegen einen etwaigen Angriff stellen, sondern ihn sogar unterstützen. Der französische Staatspräsident äußerte sich nicht nur zynisch, sondern auch um die Folgen wohlbedacht, als er sagte: »Das Einzige, was schlimmer ist, als den Iran zu bombardieren, ist ein Iran mit der Bombe.« Im Iran werden diese sich häufenden Äußerungen als »Säbelrasseln« ohne unmittelbare Gefahr abgetan. Man vertraut weniger auf die Rationalität der Gegner, einen derart unsinnigen Krieg zu vermeiden, als auf ihre Angst vor den Reaktionen des iranischen Militärs, das entsprechend aufgerüstet wird. Dauerkonfrontationen wie diese gebären immer Stimmen des Katastrophismus, die schon 2004 den unmittelbar bevorstehenden Überfall voraussagten, genauso wie sie Kriegstreiber beflügeln, die immer einen Weg in die Medien finden. Es gibt eben kein bestimmbares Maß, wann das Faß der Kriegspropaganda in den realen Krieg überlaufen wird. Aber durch die Diplomatie fortgesetzter und verschärfter Sanktionen und die offensichtliche Weigerung, immer noch mögliche politische Alternativen zu ergreifen, geraten die Staaten in Gefahr, auf einer abschüssigen Rampe in einen Krieg hinein zu rutschen. Die einzigen Mächte, die das Angriffsszenario durchkreuzen könnten, sind Rußland und die Volksrepublik China. Doch deuten die Zustimmung zu den jüngsten Sanktionen des UN-Sicherheitsrats sowie das Fehlen überzeugender eigener Alternativen, die aus der politischen Sackgasse führen könnten, auf nur schwache Opposition. Da auch prononcierte Warnungen vor einem Militärschlag fehlen, werden die USA über diplomatische Verstimmung hinaus kaum bedrohliche Folgen zu erwarten haben – und Israel hat bei seinen Kriegen noch nie Rücksicht auf die beiden Mächte nehmen müssen, wenn nur die USA nicht von der Fahne gehen. Vergessen wir nicht Israels zweite Front im Norden: Libanon und Syrien. Da liegt weiterer Sprengstoff. Die Situation wird dadurch noch instabiler. Die Hisbollah wird einem Überfall auf den Iran nicht untätig zusehen. Es stellt sich nur die Frage, welche Seite zuerst zuschlägt. Daniel C. Kutzner vom US-Council of Foreign Relations, einer der treuesten Parteigänger israelischer Politik, ist davon überzeugt, daß es in den nächsten zwölf bis 18 Monaten zu einem dritten Libanon-Krieg kommen wird. Es sei »wahrscheinlicher«, daß Israel ihn beginne, meint er. In der Tat häufen sich nach dem Gaza-Krieg die Meldungen über Erkenntnisse der israelischen Geheimdienste, daß sich die Hisbollah mit großen Mengen neuer Waffen eingedeckt habe, darunter 40.000 ballistischen Raketen mit einer Reichweite von zum Teil 200 Kilometern sowie Luftabwehrsysteme. Darüber hinaus soll sie die meisten ihrer Bunker, Kommandozentralen und Raketen-Vorräte aus dem Feld in die 160 schiitischen Dörfer und Ortschaften verlegt haben. Meldungen dieser Art waren auch schon dem Krieg von 2006 vorausgegangen. Und Norman Finkelstein folgert, daß das Ausstreuen derartiger »Erkenntnisse« nicht etwa dazu bestimmt sei, die Hisbollah zu warnen, sondern »zur Vorbereitung eines weiteren massiven Angriffs auf die Zivilbevölkerung und die zivile Infrastruktur des Libanon« diene. Am 31. Mai, dem Tag des Angriffs auf die Free-Gaza-Flottille, veröffentlichte Defense News in den USA einen Artikel über »Israels neue harte Linie gegenüber der Hisbollah«. Auf der Basis von Aussagen israelischer Militärs kommt sie zu dem Schluß, daß ein voraussichtlicher Überfall auf die nationale Infrastruktur des Libanon ziele. Dazu gehören eine totale Seeblockade sowie gezielte Schläge der Luftwaffe gegen Brücken und wichtige Straßen, »während Landstreitkräfte einen wilden Landraub weit über den Litani-Fluß hinaus« durchführen. Die Berliner Regierungsstiftung Wissenschaft und Politik analysiert kühl mehrere Konfliktszenarien, von denen zwei Israel als Angreifer mit einem Präventivschlag gegen die Hisbollah oder den Iran sehen, keines aber den Iran als Angreifer. Erstaunlich ist auch, daß die UN-Schutztruppe im Libanon mit mehr als 12.000 Soldaten weder die Aufrüstung der Hisbollah verhindern konnte noch als Friedenspuffer zwischen Hisbollah und Israel ernst genommen wird. Jede Betrachtung dieses Kriegsszenarios bleibt unvollständig, die nicht den offensichtlichsten und simpelsten Kriegsgrund erwähnt, der allerdings immer noch durch die drohende iranische Atomrüstung verdeckt wird: das Öl. Der Iran verfügt über die drittgrößten Ölreserven und nach Rußland die zweitgrößten Erdgasreserven der Welt, er ist nach Saudi-Arabien der zweitgrößte Ölproduzent. Von diesen Reserven sind die USA trotz neu erschlossener Ressourcen in Westafrika und Zentralasien nach wie vor abhängig. Ein für die Weltökonomie derart wichtiger Staat als Atommacht paßt nicht in die Vorstellung eines »Greater Middle East«, wie sie Zbigniew Brzezinski zu Zeiten von Bush jun. entwickelt hat – sie gilt noch heute. Was Pakistan und Indien ohne große internationale Aufmerksamkeit gewährt wurde, der Atommacht-Status, würde Iran nur unter einer eindeutig westlich orientierten und US-freundlichen Regierung gestattet. Brasilien, das ebenfalls begonnen hat, eine Uranaufbereitung für zivile Zwecke zu entwickeln, begegnet keinen vergleichbaren Bedenken, keinem Boykott, keiner Kriegsdrohung. Das Problem ist also nicht allein das Atomprogramm des Iran, sondern seine Verbindung mit den für die USA anscheinend unverzichtbaren Öl- und Gasreserven und einer auf uneingeschränkte Souveränität beharrenden und damit gegen die US-Dominanz in der Region ausgerichteten Regierung. Der Friedensnobelpreisträger Obama steht noch immer vor der Entscheidung, die Kriegsvorbereitungen zu stoppen und sich den Zugang zu den begehrten Ressourcen mit den zivilisierten Mitteln der Diplomatie und der Vertragspolitik zu sichern oder das Land schlicht als Gangster zu überfallen.
Erschienen in Ossietzky 19/2010 |
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