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Das gilt auch international, wie das Beispiel Serbien zeigt. Daß es den Lohnabhängigen dort sehr schlecht geht, erwähnen gelegentlich sogar hiesige Konzernblätter. Als das Land, früher Teil der inzwischen ausgelöschten Bundesrepublik Jugoslawien, 1999 von der NATO unter deutscher Beteiligung zerbombt war, wurde ein Jahr später mit dem Sturz des demokratisch gewählten Präsidenten Slobodan Milosevic das sozialistische Erbe beseitigt: Staatlicher und öffentlicher Besitz (vielfach in Trümmern, also besonders preisgünstig) wurde, ungeachtet der Rechte der Beschäftigten daran, privatisiert. Die Erlöse waren jämmerlich und deckten nicht einmal den laufenden Staatshaushalt, der mit der Beseitigung der Kriegsfolgen und mit Zahlungen an die zunehmenden Masse der Erwerbslosen überfordert war und blieb. Die Staatsschulden stiegen seit der »demokratischen Wende« im Oktober 2000 von neun auf 35 Milliarden US-Dollar. Allein diese Überschuldung verhindert – ganz im Interesse der Siegermächte – auf lange Sicht, daß es wieder ein unabhängiges Serbien geben kann. Die Produktion, mittlerweile zu großen Teilen in ausländischer Hand, ging und geht weiter zurück. Die Erwerbslosenzahl liegt bei 30 Prozent – nach Angaben der Deutschen Welle vom 14. Mai haben sogar »nur 50 bis 55 Prozent der aktiven Bevölkerung eine Beschäftigung«. Mehr als ein Drittel der rund 7,5 Millionen Menschen zählenden Bevölkerung (gut eine halbe Million sind Flüchtlinge aus anderen Teilen des früheren Jugoslawien) vegetiert unterhalb der Armutsgrenze. Aus dem Brief eines Kollegen der Druck- und Mediengewerkschaft vom 6. März 2009: »Die derzeitige internationale Finanzkrise hat unsere Wirtschaft, die nach dem Krieg und dem Sturz von Milosevic vom Ausland und von Neureichen für kleines Geld aufgekauft worden ist, weiter erschüttert. Eine Gruppe von etwa 50 Mafiosi verwaltet jetzt unser Leben, und die Krise ist ihnen willkommen, um sich vom ›Überschuß‹ an Beschäftigen zu befreien. Elend und Armut sind schon an den Türen.« Das sind Folgen eines Krieges, an dem sich die Bundesrepublik Deutschland nur mit Zustimmung der Gewerkschaften beteiligen konnte. Bereits einen Tag vor Beginn des 78tägigen Bombardements formulierte der damalige DGB-Vorsitzende Dieter Schulte, ohne das Mandat der Mitglieder einzuholen, aber in ihrem Namen, sein Ja zum Krieg. Die Proteste dagegen blieben marginal und damit ohne Konsequenzen, auch wenn der Widerspruch bis in die Führungsetagen reichte, beispielsweise zu Detlef Hensche, dem Vorsitzenden der IG Medien, und Horst Schmitthenner, Vorstandsmitglied der IG Metall. Zwei Wochen nach dem Ja des DGB-Vorsitzenden, am 6. April 1999, segnete der DGB-Bundesvorstand dessen Erklärung ab (und übernahm darin lauter falsche Behauptungen der Bundesregierung): »Bislang sind alle Versuche gescheitert, die serbische Staatsführung auf dem Verhandlungsweg zum Einlenken zu bewegen. Stattdessen hat sie schon während der Verhandlungen in Rambouillet das Morden und die Vertreibung ganzer Volksgruppen im Kosovo fortgesetzt. Der DGB verurteilt nach wie vor mit aller Schärfe die ethnischen Säuberungen und die Massenmorde im Kosovo. Vor diesem Hintergrund hat der DGB den vom Deutschen Bundestag gefaßten Beschluß respektiert, die NATO dabei zu unterstützen, durch den Einsatz von Streitkräften Verhandlungsergebnisse zu erzwingen.« Die mehrjährige Vorarbeit der Medien, die das antiserbische Feindbild der beiden Weltkriege erneut propagierten, zeigte Wirkung nicht nur unter den Gewerkschaftsmitgliedern, sondern bis weit hinein in linke Parteien und Gruppierungen. Lügen über Lügen dienten dazu, gegen Vernunft, Tatsachen und Belege den »Gründungsmythos der Berliner Republik« (Otto Köhler) zu schaffen und möglichst zu verewigen. Es wird noch viel Kleinarbeit erfordern, über das Unrecht, das mit diesem »Mythos« in Recht verkehrt werden soll, aufzuklären und den Menschen, die bis heute darunter leiden, zu einem wieder lebenswerten Leben zu verhelfen. Schon ab 1991, als die deutsche Regierung in der Europäischen Gemeinschaft, die sich nachdrücklich für den Erhalt der Bundesrepublik Jugoslawien ausgesprochen hatte, die Anerkennung der Teilrepubliken Slowenien und Kroatien als unabhängige Staaten durchgesetzt und damit die Zerschlagung der Föderation eingeleitet hatte, stellte die DGB-Führung ihre Kontakte zum serbischen Gewerkschaftsbund ein. Stattdessen unterstützte sie zunehmend die im gleichen Jahr gegründete Gewerkschaft Nezavistnost (Unabhängigkeit), die politisch gegen die Milosevic-Regierung ausgerichtet war und auf die westliche Staatengemeinschaft, insbesondere die EU, also auf die Aufgabe der traditionellen Blockfreiheit orientierte. Der DGB an der Seite der Bundesregierung – daran hat sich bis heute nichts geändert. Die gewerkschaftlichen Kontakte nach Serbien sind auch seit dem Krieg und dem Sturz der Milosevic-Regierung fast ausschließlich auf Nezavistnost beschränkt, ungeachtet der Tatsache, daß in ihr nach Angaben der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung aus dem Jahre 2007 nicht einmal 200.000 der etwa 2,5 Millionen Beschäftigten organisiert sind. Der Bund Selbstständiger Gewerkschaften Serbiens (SSSS), hervorgegangen aus dem früheren, organisatorisch dem DGB vergleichbaren serbischen Gewerkschaftsbund, hat nach eigenen Angaben noch rund 600.000 Mitglieder; im Jahre 2003 waren es noch 850.000. Daneben bestehen noch einige kleine Gewerkschaften. Als wir (Mitglieder der deutschen Gewerkschaft ver.di) uns vor zwei Jahren in Belgrad mit Kolleginnen und Kollegen der zum SSSS gehörenden Druck- und Mediengewerkschaft trafen, bat uns der Sprecher des Betriebsrats der führenden serbischen Tageszeitung Politika um Kontakt zu Betriebsräten des deutschen WAZ-Konzerns und der vielen WAZ-Betriebe in anderen Balkan-Ländern. Der ehemalige Berliner Kanzleramtsminister Bodo Hombach (SPD), der, in Korruptionsverdacht geraten, von seinem Kanzler Gerhard Schröder auf den Balkan entsandt worden war, hatte in den Nachfolgestaaten Jugoslawiens, aber auch in Rumänien und Bulgarien viele Zeitungs- und Druckbetriebe für den WAZ-Konzern in Essen erworben, dessen Geschäftsführer er jetzt ist; zu seinen Erwerbungen gehört auch die Politika. Der Vorstand der Gewerkschaft erklärte sich bereit, Gastgeber für eine Konferenz von Vertretern aller Betriebsräte aus dem WAZ-Konzern zu sein. Wir überbrachten die Vorschläge, aber unsere Gewerkschaft ver.di meidet weiterhin den gewünschten Kontakt. Hombachs Macht (Monopolmacht im Ruhrgebiet, im östlichen Niedersachsen, in Thüringen und in weiten Teilen Südosteuropas) bleibt von internationaler gewerkschaftlicher Solidarität unbehelligt. Um der Gefahr dauerhafter Isolierung auf internationaler Ebene zu begegnen, traf die Leitung des Serbischen Gewerkschaftsbundes unter Vorsitz von Milenko Smiljanic 2002 eine umstrittene und folgenschwere Entscheidung: Sie schloß sich auf internationaler Ebene den Christlichen Gewerkschaften an. Das erleichterte es dem DGB, seine Zurückhaltung zu begründen. So antwortete Klaus Zwickel im Sommer 2003 für die IG Metall auf das Ersuchen, sich für die Zusammenarbeit der albanischen und serbischen Beschäftigten zur Wiederinbetriebnahme der zerstörten Trepca-Werke (Bergbau und Weiterverarbeitung) einzusetzen: »Überall bemühen wir uns um pragmatische Lösungen, auch angesichts der Tatsache, dass der alte ›Serbische Gewerkschaftsbund‹ weder Mitglied beim EMB noch EGB, mittlerweile aber dem christlichen Weltverband der Arbeit beigetreten ist.« Im Übrigen verweise er auf die Zusammenarbeit der IG Metall »insbesondere mit den Kolleginnen und Kollegen der Gewerkschaften Nezavisnost in Serbien, aber auch mit der Metallgewerkschaft SPMK unter Leitung von Hassan Abazi in Kosovo.« Bis heute ruht der Betrieb in den Gruben und Hütten von Trepca, die vor dem Krieg 40.000 Beschäftigte zählten – die Forderung ihrer Wiederinbetriebnahme wird überlagert durch die politischen Auseinandersetzungen um den Status des Kosovo und die ungeklärten Eigentumsverhältnisse. Bis 1999 war Trepca gesellschaftliches Eigentum in Arbeiterselbstverwaltung. Eine Perspektive kann sich nur aus gemeinsamem Kampf serbischer und albanischer Beschäftigter für ihre Arbeitsplätze entwickeln – bei internationaler Unterstützung regierungsunabhängiger Gewerkschaften. Seit 2006 ist der Dachverband Christlicher Gewerkschaften Mitglied im Internationalen Gewerkschaftsbund (IGB). Seitdem ergeben sich zwar gelegentliche Kontakte zwischen dem DGB und dem Bund selbstständiger Gewerkschaften Serbiens, aber bis heute gibt es keine organisatorisch abgesicherte Zusammenarbeit. Der Grund für die nach wie vor eingeschränkte Solidarität ist die ausstehende Anerkennung Kosovos als eigenständiger Staat durch Serbien, den die Siegermächte des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges, vor allem die deutsche Bundesregierung, erzwingen wollen. Die Praxis des DGB steht im Widerspruch zu seinen selbst proklamierten Grundsätzen: »Gerechtigkeit, Solidarität und Toleranz: Das sind für den DGB und die Gewerkschaften die Grundsätze für eine friedliche und soziale Zukunft - in Europa und weltweit. Diese Grundsätze sind für uns im 21. Jahrhundert die Basis, um soziale Gegensätze und Konflikte auszugleichen.« Den Widerspruch aufheben können nur wir als Mitglieder der Gewerkschaften. Voraussetzung ist die offene Diskussion der satzungswidrigen Zustimmung zum Angriffskrieg gegen Jugoslawien. Wir fragen gezielt die Redakteurinnen und Redakteure der Gewerkschaftszeitungen: Getraut Ihr Euch jetzt, zehn Jahre nach dem Krieg, endlich die Wahrheit über diesen völkerrechts- und grundgesetzwidrigen Krieg und seine verheerenden Folgen zu veröffentlichen? Getraut Ihr Euch, in den Gewerkschaften eine Diskussion über die gemeinsame Verantwortung in Gang zu setzen? Das Ja des DGB zum Krieg 1999 war nach der Bewilligung der Kriegskredite 1914 das zweite Ja zum Krieg in der Geschichte deutscher Gewerkschaften. Ein drittes darf es nicht geben.
Erschienen in Ossietzky 11/2009 |
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