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Unter Berufung auf angeblich geplante Überfälle der Kommunisten wies Diels alle preußischen Polizeidienststellen an: »Geeignete Gegenmaßnahmen sind sofort zu treffen, kommunistische Funktionäre erforderlichenfalls in Schutzhaft nehmen.« An alle Polizeidienststellen außerhalb Preußens hieß es: »Empfehle geeignete Gegenmaßnahmen bereits jetzt und eventuell Schutzhaft für kommunistische Funktionäre.« Damit war die erste große Verhaftungswelle der Nazis, die später mit dem Reichstagsbrand begründet wurde, bereits in die Wege geleitet. Die dem Reichstagsgebäude am nächsten gelegene Polizeiwache, die »Brandenburger Tor-Wache«, war am Brandtag schon ab 13 Uhr überraschend und nur für 24 Stunden dem Kommando des Schutzpolizei-Leutnants Emil Lateit unterstellt worden, der eigentlich in der Schutzpolizei-Inspektion [Unter den] Linden arbeitete. Lateit war zwar vor dem Brand noch niemals im Reichstagsgebäude gewesen, brachte jedoch persönliche Erfahrungen bei Großbränden mit. Am Nachmittag wurden der Wache noch ein »Schnellkraftwagen« sowie zusätzliche Polizisten zur Verfügung gestellt. Um Punkt 21 Uhr – wenige Minuten vor Entdeckung des Brandes – stellte Lateit die Polizeiwache ohne erkennbaren Anlaß unter »erhöhte Abrufbereitschaft«. Auf dieser Wache wurde eine halbe Stunde später der verhaftete van der Lubbe zum erstenmal von der Politischen Polizei verhört, die ihn dort erwartete. Ein Protokoll davon existiert nicht. Das Wachbuch der »Brandenburger Tor-Wache« mußte Lateit noch in der Brandnacht bei der Politischen Polizei abliefern. Es ist seither verschollen. Die Brandstiftung wurde zuerst um 21.08 Uhr bemerkt, die erste Feuerwehr erschien um 21.18 Uhr, die Verpuffung im Plenarsaal mit Zerstörung der Kuppel geschah um 21.28 Uhr. Es besteht begründeter Verdacht, daß ein SA-Kommando den Vollzug der Brandlegung vor der öffentlichen Entdeckung des Brandes telefonisch an die Nazi-Führer meldete. Der oberste SA-Führer von Berlin-Brandenburg, Wolf Heinrich Graf von Helldorf, sagte am 20. Oktober 1933 vor dem Reichsgericht aus, er sei etwa gegen 20.30 Uhr beim Abendessen telefonisch »vom Geschäftszimmer der SA-Gruppe« benachrichtigt worden. Wie Senatspräsident Dr. Bünger darauf bemerkte, brannte zu diesem Zeitpunkt der Reichstag noch gar nicht. Helldorf korrigierte sich auf eine Zeit zwischen 20.30 und 21 Uhr, schließlich auf »ungefähr gegen 9«. Aber auch zu dieser Zeit brannte der Reichstag noch nicht. Bünger ging der Frage nicht weiter nach. Der Reichstagspräsident und Preußische Innenminister Hermann Göring erhielt laut seiner Aussage vor Gericht im Preußischen Innenministerium (Unter den Linden 72-74) die telefonische Brandmeldung »um 9 herum«. Mehreren Presseberichten zufolge erschien er um 21.18 Uhr als erster der Nazi-Prominenz am Brandort. Im Völkischen Beobachter hieß es am nächsten Morgen: »Reichsminister Pg. Goering [...], der gleichzeitig mit der Feuerwehr am Reichstag eintraf, begab sich in das brennende Gebäude, alle Begleitung ablehnend.« Aber erst um 21.22 bis 21.23 Uhr wurde van der Lubbe verhaftet. Was geschah in der Zwischenzeit? Deckte Göring den Rückzug der Brandstifter? Das Reichsgericht fälschte in der schriftlichen Urteilsbegründung die Angabe über Görings frühe Ankunft: Er sei erst kurz vor 21.42 Uhr am Brandort erschienen. Auch Reichskanzler Adolf Hitler und NSDAP-Reichspropagandaleiter Joseph Goebbels erschienen – zusammen mit SA-Oberführer Karl Ernst – zu früh am Brandort. Angeblich hatte sie der Auslandspressechef der NSDAP, Dr. Ernst Hanfstaengl, telefonisch informiert, der am Brandabend im Reichstagspräsidentenpalais gewesen sein will, was allerdings laut Zeugenaussagen der Bediensteten nicht zutraf. Hitler und Goebbels wollen von Goebbels‘ Wohnung am Reichskanzlerplatz (heute Theodor-Heuss-Platz) etwa »eine halbe Stunde später« das Reichstagsgebäude erreicht haben. Nach seinem Tagebucheintrag will Goebbels jedoch vor dem Einsturz der Kuppel in den Plenarsaal geschaut haben, also vor 21.28 Uhr. Demnach muß der Anruf bereits vor der ersten Brandmeldung erfolgt sein. Vor dem Reichsgericht antwortete Goebbels auf die Frage, wann der Telefonanruf von Hanfstaengl eingegangen sei: »Ich weiß nicht genau, um welche Minutenzeit es gewesen ist« und ergänzte dann auf Vorhalt von Helldorfs Aussage: »Ich nehme durchaus an, daß er genau um diese Zeit wie ich beim Abendessen gesessen hat.« Seit dem Brandabend verbreitete Göring Informationen, die wohl nur als »Täterwissen« bezeichnet werden können: Die Brandstiftung sei mindestens eine Stunde vorher sorgfältig vorbereitet worden, sechs bis acht Täter seien beteiligt gewesen, van der Lubbes Mittäter seien durch den unterirdischen Gang zwischen dem Reichstagsgebäude und dem Reichstagspräsidentenpalais, Görings Residenz, entkommen. Göring war der erste, der den unterirdischen Gang erwähnte; später wurde diese Angabe der Auslandspresse in die Schuhe geschoben. Der SA-Mann Adolf Rall berichtete im Oktober 1933 von den Vorbereitungen zur Brandstiftung und wollte vor dem Reichsgericht aussagen: Er und seine Kumpane seien im Umgang mit einem selbstentzündlichen phosphorhaltigen Brandmittel geschult worden, das die SA schon länger benutzte und das von SA-Sturmführer Hans Georg Gewehr entwickelt worden war. Mitglieder des SA-Sturms 17 hätten die explosive Flüssigkeit durch den unterirdischen Gang ins Reichstagsgebäude geschafft. Rall wurde am 2. November 1933 von einem SA-Kommando brutal ermordet. Göring persönlich ordnete die Niederschlagung des Ermittlungsverfahrens an. Der mutmaßliche Führer des Brandstifterkommandos, SA-Oberführer Karl Ernst, wurde am 30. Juli 1934 erschossen. Anfang August 1934 entfernten Staatspolizei-Beamte das Protokollheft mit den Aussagen Ralls aus den Akten der Reichstagsbrandkommission. Es ist verschollen. Der mutmaßliche »technische Leiter« der Reichstagsbrandstiftung, Hans Georg Gewehr, hatte bereits 1931 für die SA ein selbstentzündliches Brandmittel entwickelt, das genau so zusammengesetzt war (Phosphor in Schwefelkohlenstoff) wie das Brandmittel, dessen Rückstände Dr. Wilhelm Schatz, chemischer Gutachter im Reichstagsbrandprozeß, im ausgebrannten Plenarsaal nachweisen konnte. Alle Brandsachverständigen im Prozeß waren darüber einig, daß nur mehrere Täter den Brand im Plenarsaal gelegt haben konnten. Der Bundesgerichtshof urteilte am 11. Januar 1966: »Sollten SA-Angehörige beteiligt gewesen sein, so ist [ ... Gewehr], der damals in Berlin SA-Sturmführer war, als Mittäter nicht mit Sicherheit auszuschließen.« Doch was für eine seltsame Kumpanei fand in den 60er Jahren statt? Der jahrelang unter falschem Namen lebende Kriegsverbrecher und spätere Bauunternehmer Gewehr wurde von dem niedersächsischen Verfassungsschutzbeamten Fritz Tobias sowie von Spiegel-Chef Rudolf Augstein öffentlich gegen alle Vorwürfe in Schutz genommen. Sämtliche Protokolle der Befragungen Gewehrs sind heute verschwunden, sogar aus dem Münchener Institut für Zeitgeschichte.
Erschienen in Ossietzky 21/2008 |
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