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September 2001 »uneingeschränkte Solidarität« mit den USA versprach, war dies eine Entscheidung der politischen Elite, die darauf bedacht war, den transatlantischen Beziehungen stets Priorität einzuräumen – ungeachtet völker- und verfassungsrechtlicher Beschränkungen oder friedenspolitischer Erfordernisse. Das galt als außenpolitische Staatsräson. Die Bündnissolidarität Deutschlands führt uns nun bald in das achte Jahr der Beteiligung am Krieg in und gegen Afghanistan. Der Widerstand in großen Teilen der afghanischen Bevölkerung gegen die von ihnen als Besatzungstruppen wahrgenommenen NATO-Streitkräfte ist in den letzten Jahren gewachsen. Weder ist ein Sieg der militärisch übermächtigen NATO zu erwarten, da sie nicht das ganze Land zu kontrollieren und zu stabilisieren vermag und nur über einen geringen sozialen Rückhalt in der afghanischen Bevölkerung verfügt, noch sind die afghanischen Aufstandskräfte in der Lage, die NATO zu besiegen, da sie an Kampfkraft (Qualität der Bewaffnung und Zahl der Kämpfer) hoffnungslos unterlegen sind und deshalb entscheidende Feldschlachten nicht führen können. Stattdessen setzen sie erfolgreich auf Partisanenkampftechnik: Hinterhalte, Sprengfallen, Überfälle und neuerdings auch Selbstmordattentate. Bei solcher typisch asymmetrischen Kriegsführung müssen die Widerstandskämpfer paradoxerweise nicht unbedingt militärisch siegen, um den Krieg dennoch langfristig zu gewinnen. Sie brauchen – und das tun sie mit zunehmendem Erfolg – lediglich zu verhindern, daß der übermächtige Gegner, die NATO, überall Sicherheit und Stabilität herbeiführt. Die Widerstandskämpfer sind so erfolgreich, daß die NATO aufgrund ihrer offensiven Operationsführung selbst zu einem erheblichen Unsicherheitsfaktor in Afghanistan geworden ist: Die letzten zweieinhalb Jahre waren für beide Seiten die opferreichsten seit Kriegsbeginn. Nach UN-Angaben wurden allein im laufenden Jahr schon 1445 Zivilisten getötet, um 40 Prozent mehr als im Jahre 2007, davon 800 durch Aufständische, 577 durch NATO, OEF und afghanische Sicherheitskräfte, 68 Menschen wurden – dem UN-Bericht zufolge – im Kreuzfeuer oder durch andere Zwischenfälle getötet, bei denen die Verantwortlichkeiten nicht eindeutig geklärt seien. Mittelfristig scheint sich ein Patt zwischen afghanischen Aufständischen auf der einen und NATO sowie afghanischen Sicherheitskräften auf der anderen Seite herauszubilden. Schließlich dürfte die Seite siegen, die über den »längeren Atem« verfügt. Ob das die NATO sein wird, ist fraglich: Ihre Mitgliedstaaten haben schon Mühe, ihrer Bevölkerung überzeugend zu erklären, daß der »Friedenseinsatz« Erfolge zeitige und doch noch sehr lange dauern werde. Der bereits mehrfach angekündigte Strategiewechsel der NATO ist kein grundlegender, sondern bleibt der militärischen Logik verhaftet. Immer lauter werden die Rufe nach Truppenverstärkung, um das sich herausbildende Patt zu verhindern oder sein Ende zu erzwingen. Besonders die angelsächsischen NATO-Staaten äußern sich unzufrieden mit dem deutschen »Engagement«, und deren Forderungen nach personeller Aufstockung und nach Ausdehnung des Einsatzgebietes der Bundeswehr im Süden und Osten Afghanistans werden durch deutsche Stimmen flankiert: Die nach wie vor transatlantisch orientierten politischen Eliten Deutschlands sowie ihre medialen Sprachrohre und sogar hochrangige deutsche Militärs und Ex-Militärs warnen davor, die Bündnissolidarität mit der NATO, sprich den USA, aufgrund mangelnden »Engagements« zu gefährden. Das kulminiert in der dramatischen Aussage, das Schicksal des Nordatlantikpakts entscheide sich in Afghanistan. Die Bundesregierung, eingeklemmt zwischen transatlantischer Loyalität (Staatsräson) und überwiegender Ablehnung der Kriegsbeteiligung in der deutschen Öffentlichkeit, will das neue ISAF-Mandat nun um 1000 Soldaten aufstocken und damit die Obergrenze auf 4500 Soldaten erhöhen. Hinzu kommt seit Wochen das Drängen der NATO, AWACS-Aufklärungsflugzeuge einzusetzen, deren Besatzung zu einem Drittel aus Deutschen besteht. Den Mandatszeitraum will die Bundesregierung nicht wie in der Vergangenheit auf zwölf, sondern auf 14 Monate festlegen. Offizielle Begründung ist, daß ein zwölfmonatiges Mandat auslaufen könnte, bevor der 2009 zu wählende Bundestag die Verantwortung übernähme, so daß der alte mit einem weiteren Beschluß den neuen binden würde – ein fadenscheiniges Argument, da der neue Bundestag jederzeit frei ist, einen Beschluß des vorangegangenen zu widerrufen. Eigentliche Absicht ist, die deutsche Beteiligung am Krieg in Afghanistan nicht zum Gegenstand des Bundestagswahlkampfes werden zu lassen. Ein zweites Goslar will das politische Establishment von CDU bis staatstragenden Grünen verhindern: Im Jahre 2002 legte sich der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder in einer Wahlkampfrede auf dem Goslarer Marktplatz auf ein »Nein« zur Teilnahme an dem bevorstehenden Angriffskrieg der USA gegen den Irak fest. Das politische Establishment empörte sich darüber zutiefst: Man dürfe die Außenpolitik doch nicht zum Wahlkampfthema machen. Und diese Tradition eines undemokratischen Politikverständnisses vergangener Zeiten wirkt weiter: Außenpolitik und damit die Frage von Krieg oder Frieden sei nicht Sache des Volkes, sondern der Herrschenden im Staat und den staatstragenden Parteien. Die Ziele und Mittel der Außenpolitik und die sogenannten nationalen Interessen, die es zu verteidigen gelte, sollen wie bisher nicht demokratisch diskursiv ausgehandelt, sondern von politischen Eliten festgelegt werden, ungeachtet der Meinungen des eigentlichen Souveräns; das Volk hat dann wie gewohnt lediglich als Steuerzahler und Kanonenfutter zu dienen. Das militärische Abenteuer Deutschlands in Afghanistan hat den Steuerzahler bisher schon Milliardenbeträge gekostet. Wie viele Menschen die deutsche Bündnissolidarität das Leben gekostet hat, darüber schweigt sich die Bundesregierung vehement aus.
Erschienen in Ossietzky 21/2008 |
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