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Die ursprünglich für Mitte Juni in Berlin vorgesehene Veranstaltung war durch Intervention der Birthler-Behörde und die daraufhin folgsam vorgenommene Kündigung des Berliner Harnack-Hauses durch die Max-Planck-Gesellschaft vereitelt worden. Als Fortsetzung der damaligen Blockade ist nunmehr der mediale Umgang mit der Tagung in Odense zu besichtigen. Beispielsweise erschien in der laut Eigenwerbung mit einem gehobenen Anspruch daherkommenden Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein umfänglicher Artikel, der sich durch denunziatorische Wortwahl, voreingenommene Beschreibungen und atemberaubende Lücken auszeichnete. Auch in anderen Blättern: Aufregung statt Berichterstattung. Den Lesern der FAZ wurde das Tagungsthema ebenso vorenthalten wie die internationale Zusammensetzung der Teilnehmer- und der Rednerliste. Völlig unterschlagen wurden die Beiträge der auf diesem Gebiet führenden Historiker und Experten aus den USA, Großbritannien, Niederlande und Schweden. Das waren aus den Vereinigten Staaten die Professoren Nigel West (Gegenspionage im Nachkriegseuropa) und Kristie Macrakis (Rosenholz-Dateien und die Bedeutung der wissenschaftlich-technischen Spionage); der langjährige Mitarbeiter und zuletzt Chefhistoriker des CIA, Benjamin B. Fisher (Der CIA und Ostdeutschland) sowie Robert G. Livingston, der als Diplomat und Sicherheitsberater, Präsident des German Marshall Fund of the United States, Gründungsdirektor des American Institute for Contemporary German Studies an der Johns Hopkins University und Mitarbeiter am German Historical Institute in Washington jahrzehntelange Erfahrung im deutsch-amerikanischen Verhältnis verkörpert. Beatrice de Graaf vom Zentrum für Terrorismus und Kontraterrorismus an der Universität Leiden stellte sich mit Ausführungen über Feindbilder von Sicherheits- und Aufklärungsdiensten als die niederländische Spezialistin für den Auslandsnachrichtendienst der DDR vor. Die Konfrontation der Geheimdienste in Deutschland vor 1961 beschrieb Paul Madrell, Universität Aberystwyth (Wales): Im Unterschied zur UdSSR habe innerhalb der DDR damals ein »echter Kampf der Geheimdienste« stattgefunden. Als Hauptgründe nannte er die offene innerdeutsche Grenze und den Antikommunismus der Deutschen. Michael F. Scholz von der schwedischen University of Gotland sprach über Desinformation und Propaganda. Der Beitrag von Helmut Müller-Enbergs, Mitarbeiter bei der Birthler-Behörde, zum Forschungsstand über die HV A wurde verlesen. Müller-Enbergs hatte einleitend den privaten Charakter seines Beitrags, die Beschränkung auf öffentlich zugängliche Unterlagen und das Abwägen zwischen dem Verdikt der Behörde und dem »Recht als Wissenschaftler, dem wissenschaftlichen Erkenntnisinteresse zu folgen«, betont. Inzwischen wurde bekannt, daß gegen ihn wegen der zuvor ausdrücklich untersagten Mitwirkung vorgegangen wird. Acht ehemals leitende Mitarbeiter der HV A berichteten über Aufgaben und Arbeitsweise einzelner Abteilungen. Die nach 1990 verurteilten und jahrelang inhaftierten Topspione Gabriele Gast und Rainer Rupp sprachen über ihre Motive und die Ergebnisse ihrer verdeckten Arbeit im Bundesnachrichtendienst (BND) beziehungsweise in der NATO-Zentrale. Weitere Referenten, darunter der BND-Experte Erich Schmidt-Eenboom, befaßten sich mit der sowjetischen und der bundesdeutschen Spionage. Viele politisch und historisch aufschlußreiche Informationen hätten ein breites Publikum verdient, fielen aber der Borniertheit bundesdeutscher Medien zum Opfer. Dazu gehören beispielsweise die Anfänge der Spionage in den Besatzungszonen; die Ausnutzung von Kontakten und Verbindungen aus der NS-Zeit durch die Organisation Gehlen für verdeckte Bestrebungen in SBZ und DDR; das kooperative und konkurrierende Verhältnis zum sowjetischen Geheimdienst KGB; die politisch-moralischen oder materiellen Beweggründe der Informanten und Quellen; Erfolge und Mißerfolge beim gegenseitigen »Umdrehen« von Agenten; das Eindringen der HV A in Bundesregierung, Ministerien, Parteien und Verbände; Militäraufklärung und Friedenssicherung; Wirtschaft, Wissenschaft und Technik als hauptsächliche Gebiete von Spionage und Abwehr. Während der Tagung und insbesondere zu ihrem Abschluß bekundeten nicht zuletzt Redner aus den USA und Großbritannien ihre Genugtuung über das Zustandekommen, den Verlauf und die erkennbaren Resultate. Ihnen und allen weiteren Teilnehmern sollten die ignoranten wie gehässigen Kommentare der hiesigen, wirklichen oder eingebildeten Sieger der Geschichte zugänglich gemacht werden, um sich die chronischen hysterischen Begleittöne zeitgeschichtlicher Debatten in der Bundesrepublik exemplarisch zu vergegenwärtigen. Als Zeitgenosse und Historiker konnte ich die Überzeugung bestätigt sehen, daß angesichts der vorherrschenden militant antikommunistisch-illiberalen Atmosphäre in diesem Land der Geschichtsdiskurs der Beiträge oder gar der Einmischung der liberalen Wissenschaft und Publizistik Westeuropas und der USA bedarf. Für seine nationale Geschichtsschreibung braucht Deutschland das Ausland.
Erschienen in Ossietzky 24/2007 |
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