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In einer anderen meinte der Regisseur Andreas Kriegenburg allerdings: »In einer unpolitischen Gesellschaft kann es kein politisches Theater geben.« Der Auftakt bestätigte diese These, obwohl die Stückwahl genau zu der am Fall Christian Klar neu entfesselten Medienhysterie um die RAF paßte. Elfriede Jelineks »Ulrike Maria Stuart«, am Hamburger Thalia-Theater uraufgeführt (Ossietzky 22/06), hatte beim Feuilleton der Springer-, Holtzbrinck-, WAZ-, DuMont- und sonstigen Konzernpresse höchstes Entzücken ausgelöst. Die zu Schillers Königinnendrama in Beziehung gesetzte Reduzierung der RAF-Geschichte auf das Meinhof/Ensslin/Baader-Dreieck diente Nicolas Stemann zu einer Klamauk-Revue für ein von dieser Presse intellektuell geprägtes Publikum, das darob begeistert war. Eine Kritikerin attestierte dem Regisseur, »neue Deutungsräume zu öffnen: für die 68er Rebellion als Geschlechterkampf um Macht und Männer«. Ein absurdes Beispiel für die modische pseudopsychologisierende ahistorische Sicht auf den »Deutschen Herbst«. Es ist der mit der herrschenden Meinung konforme Blick der Nachgeborenen. Stemann selbst wurde 1968 geboren. Nach Wiener Inszenierungen von »Das Werk« – eingeladen zum Theatertreffen 2004 – und »Babel« gilt er als Jelinek-Spezialist. Auch für ihr jüngstes Stück habe ihm die Autorin konzediert, er dürfe machen, was er wolle, ließ er verbreiten. So nutzte er von dem vor einem Jahr geschriebenen, nicht zur Veröffentlichung freigegebenen Originaltext von mehr als 100 etwa 30 Seiten. Daß eine andere Interpretation möglich wäre, läßt eine Interviewaussage der Nobelpreisträgerin, die einmal KPÖ-Mitglied war, vielleicht ahnen: »Ich verarbeite im Grunde (auch) mein eigenes vergangenes politisches Engagement, das so tot ist wie die Terroristen. In dem Stück weine ich ihm sozusagen nach, ich weine allen nach, die Ziele außerhalb ihrer selbst geltend gemacht haben.« »Die schmutzigen Hände« von Jean-Paul Sartre standen Ende der vierziger Jahre in Berlin am Beginn des Kalten Theater-Krieges. Die mit Ernst Schröder, Walter Franck, Tilly Lauenstein und Gundel Thormann unter der Regie von O. E. Hasse hochbesetzte Inszenierung im Westberliner Renaissance-Theater sollte so etwas wie die »antisowjetische« Antwort auf die »antiamerikanische« Inszenierung von Konstantin Simonows »Die russische Frage« im Ostberliner Deutschen Theater sein. Nicht zufällig war es damals das kommerziell erfolgreichste Stück Sartres in Westeuropa. Das ihm aufgeklebte Etikett »antikommunistisch« tat freilich dem linken existenzialistischen Dramatiker Unrecht und erweist sich auch in der neuen Inszenierung des Thalia-Theaters von Andreas Kriegenburg als obsolet. 1942 in einem fiktiven Balkanstaat vor dem Einmarsch der Roten Armee stehen sich der pragmatische KP-Vorsitzende Hoederer und der junge Intellektuelle Hugo gegenüber, der ihn im Auftrag eines dogmatischen Gegenspielers wegen kompromißlerischen Paktierens mit bürgerlichen Parteien ermorden soll. Dieser Hugo, überzeugend verkörpert von Hans Löw, steht im Mittelpunkt der Aufführung: ein schwächliches Bürgersöhnchen, das sich durch eine Tat aus der ihm anhängenden nichtproletarischen Vergangenheit lösen möchte. Die Protagonisten der RAF sind da nicht weit. Nach seiner Rückkehr aus dem Gefängnis wird Hugo selbst durch seinen Auftraggeber liquidiert; die Parteilinie hat sich geändert, und Hoederer ist inzwischen zum Helden stilisiert. Die Auseinandersetzung zwischen ihm, der sich zu schmutzigen Händen in der Politik bekennt, und dem Idealisten Hugo, der ihn dann aber nicht aus Überzeugung, sondern aus Eifersucht erschießt, zeigt, daß Kriegenburg den auch sonst buchstabengetreu umgesetzten Sartreschen Text ernst nimmt und ihm dadurch auch für heute Allgemeingültigkeit verleiht. Das kollidiert freilich oft mit Slapstick-Effekten, ohne die heutiges Theater für die Spaßgesellschaft anscheinend nicht mehr auskommt. Zur medialen Vermarktung gehört die Ausrufung personeller Entdeckungen. Davon profitierte beim Theatertreffen der als Shooting Star gehandelte 27jährige Tilman Kühler, der nach seinem Studium an der Berliner Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch seit Beginn der Spielzeit 2005/06 als Hausregisseur am Deutschen Nationaltheater Weimar bereits sieben Inszenierungen geschaffen hat. Nach Berlin wurde Ferdinand Bruckners »Krankheit der Jugend« eingeladen. Was der Autor 1926 an ein paar Wiener Medizinstudenten und ihrem Beziehungsclinch diagnostizierte, soll hier mit Hilfe von Rockmusik der Hamburger Band Tocotronic auf die heutige Jugend übertragen werden. Mir erschien es genauso synthetisch wie das Bühnenbild von Karoly Risz: die Anatomie als ein trockener Swimmingpool, in dem sich die Studenten wie Haifische tummeln. Sie küssen und sie schlagen sich und fürchten den »Abstieg in die Bürgerlichkeit«. Achtzig Jahre nachdem Bruckners Figuren dies befürchteten, werden sie beim Theatertreffen durch zwei Beschwörungen einer Bürgerhölle bestätigt: komödiantisch boulevardesk in Jürgen Goschs Züricher Uraufführung des jüngsten Stücks einer Spezialistin dieses Genres, »Der Gott des Gemetzels« von Yasmina Reza, grell grotesk in Dimiter Gotscheffs »Der Tartuffe« vom Hamburger Thalia-Theater. Im ersten Fall geraten zwei Ehepaare bei der beabsichtigten Schlichtung eines handfesten Streits ihrer Sprößlinge selbst aneinander, wobei allmählich die Tünche ziviler Wohlanständigkeit abblättert. In Gotscheffs Interpretation der klassischen Heuchlerkomödie bleibt vom Original nicht viel übrig. Die Familienmitglieder des gefoppten Orgon stehen als Karikaturen für die Dekadenz einer bourgeoisen Wohlstandsgesellschaft. Anfangs ertrinkt sie fast in einem von Karin Brack entfesselten bühnenwirksamen Feuerwerk von Luftschlangen und Konfetti. Tartuffe kommt dann als Einwanderer aus ärmeren Gegenden. Er »will ein Stück vom Kuchen der Welt« und hat leichtes Spiel bei der Übertölpelung der Ogon-Familie mit evangelikalem Erweckungsbrimborium, das nicht nur von barocken Klängen, sondern auch von der Melodie des Horst-Wessel-Liedes begleitet wird – Verführung hat viele Gesichter. Dimiter Gotscheff wurde 1983 noch in seinem heimatlichen Bulgarien als Regisseur von Heiner Müller entdeckt, der auch in dieser Inszenierung das letzte Wort haben sollte. Sein »Exkurs über den Schlaf der Metropolen« war jedoch akustisch kaum verständlich, und Verständnisschwierigkeiten hatte das Publikum überhaupt mit Gotscheffs »Tartuffe«-Interpretation aus dem Geiste Müllers. Seit Jahren habe ich die Hoffnung und das Bemühen aufgegeben, die Auswahl der zehn »bemerkenswertesten« Inszenierungen des deutschsprachigen Schauspiels durch eine siebenköpfige Kritikerjury immer nachzuvollziehen. Dreimal dasselbe Theater (Thalia), je zweimal dieselben Regisseure (Bosse und Kriegenburg) – repräsentativ für die gesamte deutschsprachige Schauspielszene konnte das nicht sein. Am Ende spaltete Kriegenburgs Inszenierung der »Drei Schwestern« von den Münchner Kammerspielen das Publikum in Buh- und Bravorufer. Tschechows Figuren werden durch aufgesetzte Kopfmasken aus Pappmaché immer wieder mal zu Zombies verfremdet, produzieren sich auch als russische Blaskapelle und trällern »We all live in a yellow submarine«. Als das die Beatles sangen, verstand sich Theater, allen voran Peter Steins Berliner Schaubühne, noch als – auch politische – Avantgarde. Jetzt öffnet Stein, der sich einst mit »Drei Schwestern« von der Schaubühne verabschiedet hatte, genau am Schußtag des Theatertreffens (wohl in bewußtem Kontrast) sein Theatermuseum mit einem zehnstündigen texttreuen »Wallenstein«.
Erschienen in Ossietzky 11/2007 |
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