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Wenig später nannte ein Mitschüler im Unterricht Ihren Namen und wurde dafür sofort vom Lehrer zusammengestaucht. Ich bekam Schiß und schwieg, wie vom Lehrer beabsichtigt, obwohl auch ich Ihre Reportagen kannte und seine absurden Behauptungen für unwahr hielt. An unserer Schule galten eben Kommunisten als Nazis, der WDR als Rotfunk und Sie, Her Wallraff, als Lügner. Aber Ihre Bücher habe ich trotzdem gelesen, heimlich und daheim, so viel Subversion mußte sein. Nach Ihrem Bestseller »Ganz unten« von 1985 schrieben Sie fast nichts mehr. Ihr ehemaliger Mitstreiter, der konkret-Herausgeber Gremliza, griff Sie öffentlich an und verstand es, Zweifel an Ihrer Autorenschaft zu wecken. Glaubt man Gremliza, haben Sie seit damals, also fast zwanzig Jahre lang, nichts mehr zu Papier gebracht, weil er Ihnen damals so gründlich die Leviten gelesen hat. Erst zu Ihrem sechzigsten Geburtstag erfuhr ich vor knapp fünf Jahren aus einem Fernsehinterview Ihre Version der Geschichte: Sie hatten keine Bücher mehr schreiben können, weil Sie gesundheitlich schwer angeschlagen waren. Dennoch haben Sie sich immer wieder mal zu Wort gemeldet, mit Vorworten, Aufsätzen oder in Interviews. Auch für Ossietzky verfaßten Sie in den letzten Jahren zwei, wenn auch viel zu kurze, Artikel. »Kennen wir uns nicht?« fragt mich auf dem Titelbild des neu aufgelegten Zeit-Magazins ein glattrasierter, dunkelblonder Mann mit markanten Gesichtszügen und aufmerksamen Augen. Ich blättere um und sehe denselben Mann, diesmal ohne Maske – mit Brille, Schnauzbart und Stirnglatze. Aber sicher kennen wir uns! Darunter steht: »Wallraff macht wieder Ärger«. Ich steige in den Bus, der mich nach Hause bringen soll, und fange an zu lesen, so wie damals. Bei den Eröffnungssätzen höre ich fast ein metallenes Klicketi-Klack unter meinem Sitz: »Glitzernd ragt das Hochhaus in den Himmel über Köln, acht Meter höher als der Dom. Der Köln-Turm im MediaPark ist mein Ziel an diesem Morgen, die neue deutsche Arbeitswelt, in der nichts mehr qualmt und rußt wie einst in Fabriken und in Zechen, sondern die staubfrei hinter Stahl und Glas versteckt ist.« Ich begleite Sie bei Ihrem Abstieg in die Callcenter-Höllen, wo präkarisierte Menschen mit Lug und Trug Millionengewinne für skrupellose Chefs erwirtschaften müssen. Endlich erhalte ich eine Innenansicht der Branche, die mich so häufig am Telefon belästigt. Sie tragen alles in der Ich-Form vor, im lebendigen Präsens, mit einem Auge für verräterische Details: »Ein flotter Enddreißiger kommt uns entgegen, verbindlich lächelnd stellt er sich als ›Teamleiter‹ vor, zeigt auf unsere Arbeitsplätze und macht uns auf die Spiegel neben den Flachbildschirmen aufmerksam. Darunter lese ich: ›Schau in diesen Spiegel. Was du siehst, ist einmalig.‹ – ›Ab und an da reinschauen und lächeln‹, empfiehlt der Teamleiter, ›das hebt die Stimmung. Wir sind hier gut drauf.‹« Ich teile Ihre Hoffnung darauf, daß die bloßgestellten Unternehmen Klage gegen Sie erheben, damit Sie Ihre Beweise für die betrügerischen Geschäftspraktiken rechtskräftig vor einem Gericht ausbreiten können. Warum Sie heute wieder die Strapazen verdeckter Ermittlungen auf sich nehmen, erklären Sie in einem Internet-Interview so: »Die gesellschaftlichen Verhältnisse haben sich doch sehr verändert, und zwar nach rückwärts. Es sind soziale Rechte in Frage gestellt oder inzwischen abhanden gekommen – Billiglohnsysteme, wo Menschen nicht mal von ihrer Arbeit das Existenzminimum haben. Das heißt: Ich werde wieder gebraucht.« Inzwischen sind Sie gesund genug, um die Arbeitsverhältnisse des jungen Jahrtausends eineinhalb bis zwei Jahre lang in wechselnden Verkleidungen zu erkunden. Die Ergebnisse Ihrer Recherchen veröffentlichen Sie in der Magazin-Beilage der Zeit und schließlich in einem Buch mit dem Arbeitstitel »In der schönen neuen Arbeitswelt«. Werde ich ab jetzt also regelmäßig die Zeit kaufen? Wohl nicht, das Wochenblatt ist mir zu neoliberal. Aber lesen werde ich Ihre Reportagen trotzdem, sie mir aus dem Zeit-Exemplar unserer kleinen Stadtbücherei für ein paar Cent herausfotokopieren oder sie kostenlos auf www.zeit.de durchlesen. Und ich werde dabei das Klicketi-Klack des Zuges in den Ohren haben, der langsam, aber sicher wieder Fahrt aufnimmt und den Fahrplan der Geschichte vielleicht doch noch einhält.
Erschienen in Ossietzky 11/2007 |
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