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Zeitansage
Wer demonstriert, ist Terrorist. Schon wer nur demonstrieren will, Auch wer bloß linke Zweifel hegt, Egal, wie ihr auch brüllt und schäumt, Martin Petersen
Kühlt die Gletscher!Die drohende Klimakatastrophe ist in aller Munde. Bild warnte bereits vor dem Weltuntergang: »Wir haben noch 13 Jahre, um die Erde zu retten.« Natürlich sind, das meint auch Bild, nicht die üblichen Verdächtigen an der prekären Lage schuld, sondern wir alle, weil wir uns nicht richtig verhalten. Zum Beispiel konsumieren wir zuviel. Würden wir weniger verbrauchen, würde auch die Erde länger halten. Konsequent zu Ende gedacht schadet es also gar nicht, daß in unserem Land und weltweit viele ärmer geworden sind und wenige reicher. Die Reichen verzehren ja täglich auch nicht mehr als ein Kotelett. Wenn nun immer weniger Menschen ihr tägliches Fleisch auf dem Teller haben, nützt das der Umwelt, weil nicht mehr so viel Regenwald für die Rinderzucht abgeholzt wird und nicht mehr soviel Methangas aus Schweineställen in die Atmosphäre gelangt. Außerdem ist es gesünder. Die meisten Deutschen haben immer noch Übergewicht. Dagegen muß dringend etwas getan werden. Verzahnen wir also die Kampagnen. Bild ist darauf noch nicht gekommen, aber wenn die FDP eine Umweltpolitik braucht, um den Trend nicht zu verpassen, sollte sie sich diese Zusammenhänge mal durch den Kopf gehen lassen. Überhaupt sind kreative und innovative Lösungen gefragt, damit die Welt gerettet werden kann. Wie wäre es beispielsweise, wenn wir das Abschmelzen der Pole und den Rückgang der Alpengletscher dadurch verhindern würden, daß wir in großem Stil Kühlschlangen in das nicht mehr ewige Eis einbrächten? Das Argument, das würde zu viel Energie kosten und die fossilen Ressourcen noch schneller zu Ende gehen lassen, sticht nicht. Denn gerade hier könnte Sonnenenergie angewandt werden. Wie jüngst durch die Presse ging, ist der Zugspitzgletscher mit einer Folie abgedeckt worden, um ihn bis zum nächsten Winter gegen die Sonneneinstrahlung zu schützen. In der Schweiz hat man das schon erfolgreich erprobt. Statt reflektierender Folien müßten nur Sonnenkollektoren eingesetzt werden. Der finanzielle Aufwand dafür wäre auch nicht größer als der für die Erhöhung der Deiche gegen die sonst kommende Sintflut. Diese Idee sollte sich die SPD zueigen machen. Denn die künstliche Kühlung des Welteises und damit der Übergang zur Klimatisierung der Erde und zu einer vernünftigen Klimabewirtschaftung würde den beteiligten Firmen eine optimale Rendite sichern und der Volkswirtschaft ein gesundes Wachstum. Das entspräche genau dem, was im Entwurf zum neuen Programm der SPD steht: »Die ökologische Rettung der Erde (...) wird zu einem Antriebsmotor für ökonomische Wertschöpfung.« Statt eines demokratischen Sozialismus von vorvorgestern ist immergrüner Kapitalismus angesagt, das wissen nicht nur die Grünen, das will auch Angela Merkel. Und da Deutschland, wie die Wirtschaftswoche Anfang des Jahres titelte, schon jetzt dank seiner ökobewußten Unternehmer »die grüne Weltmacht« ist, könnten wir – in ganz großer Koalition – bei der Rettung der Erde weitere Pioniertaten vollbringen. Reiner Diederich
Rüttgers in der Sheriff-RolleMan kennt das aus dem Western: Ein Sheriff muß Härte zeigen, wenn er wiedergewählt werden will. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers und seine CDU stehen zur Zeit in der Gunst des Volkes nicht schlecht da, aber wer weiß, was sich bis zu den nächsten Wahlen noch alles tut; womöglich tritt dann auch in NRW eine Konkurrenz am rechten Rand auf. Also empfiehlt sich frühzeitiger Stimmenfang. Und so nahmen sich Rüttgers und die Seinen jetzt beim Landesparteitag in Siegburg des Problems Jugendkriminalität an. Sie forderten: »Hart durchgreifen«, straffällige Jugendliche und delinquente, aber noch nicht strafmündige Kinder in »Erziehungscamps« und geschlossenen Heimen einsperren und abschließen, Schulhöfe und ähnliche Plätze flächendeckend per Video überwachen, das Erwachsenenstrafrecht schon auf Heranwachsende anwenden. In Wirklichkeit ist die Jugendkriminalität gar nicht gestiegen, und über derartige Vorschläge können Fachleute nur staunen; aber an so manchem Stammtisch wird Beifall aufkommen: Endlich mal einer, der zupackt. Und auf unwillige Reaktionen von Jugendlichen müssen die Politstrategen keine Rücksicht nehmen. So zahlreich sind die jungen Leute ja nicht mehr, und viele von ihnen haben ohnehin keine Lust dazu, an Wahlen teilzunehmen. Da ist es politisch lukrativer, denjenigen Altwählern Ruhe und Ordnung zu versprechen, die Angst vor angeblicher jugendlicher Verwahrlosung haben und die sich scheuen, ihren Blick auf die zunehmende Armut von Kindern und Jugendlichen zu richten und auf die zunehmende Perspektivlosigkeit in einer Gesellschaft, der es an Reichtum nicht fehlt. Diese Kluft wird größer, und da bietet der Streifen »Rüttgers räumt auf« Ablenkung von einer bedrängenden Wirklichkeit. Marja Winken
UnbezahltMitte der neunziger Jahre arbeitete ich halbtags zur Aushilfe in einer Bäckerei. Ich mußte die Backwaren, die ausgeliefert werden sollten, abzählen und verpacken. Zu meiner Einstellung hatte dem Meister ein halber Tag Probearbeit gereicht. Als meine Freundin 2002 ihre Weiterbildung zur CallCenter-Telefonistin beendet hatte, wurde ihr im ersten Bewerbungsgespräch mitgeteilt: »Damit Sie’s gleich wissen, drei Tage Probearbeit am Anfang, und die werden nicht bezahlt!« Der sechzehnjährige Neffe der Freundin mußte vor kurzem eine ganze Woche Probearbeit absolvieren, um an einen Lehrvertrag zu kommen. So hat sich in wenigen Jahren die »Probearbeit« bedeutend verlängert – unbezahlte Arbeitszeit zugunsten der Arbeitgeber. Stefan Hug
Schlechte PrivatisierungsbilanzDas »täglich besinnungs- und beweislos« dahergebetete Credo des Neoliberalismus lautet: »Unternehmen können besser wirtschaften als der Staat.« Werner Rügemer beweist, daß das falsch ist. Er zeigt, wie Privatunternehmen Bilanzen manipulieren und fälschen – unterstützt von »renommierten« Wirtschafts-prüfern –, wie sie mithilfe von Briefkastenfirmen eine globale Untergrundökonomie aufbauen, wie sie Staat und BürgerInnen über die wirklichen Geldflüsse und Absichten täuschen. Wenn zwecks Gewinnmaximierung systematisch privatisiert wird, dann gehört es zu den vorausehbaren Kollateralschäden, daß überführte Manager vor Gerichten kein Unrechtsbewußtsein zeigen, daß Prozesse mit rechtsstaatlich unhaltbaren Deals enden, daß Abgeordnete und Beamte auf den Gehaltslisten von Konzernen oder Beatungsfirmen geführt werden, daß sich Unternehmen die Gesetze wie Maßanzüge auf den Leib schneidern lassen, daß damit die Marktregulative und die demokratische Willensbildung unterlaufen werden. Das alles würde nicht funktionieren, wenn nicht der Staat ebenfalls schlecht wirtschaftete. Den Gegensatz gute Privatwirtschaft ./. schlechter Staat läßt Rügemer ebenso wenig gelten wie den Gegensatz guter Staat ./. schlechte Wirtschaft. Aus seiner Bilanz ergibt sich, daß keine der Rechtsformen, in der privates Kapital und bürgerlicher Staat wirtschaften, Machtmißbrauch verhindert. Keine unterbindet schlechtes, keine kriminelles Wirtschaften. Keine garantiert Gemeinwohl und Menschenrechte, keine die Schonung der Natur. Daß gutes Wirtschaften möglich ist, auch in privater, vor allem in genossenschaftlicher Form, wird nachgewiesen. Aber auch, daß Behörden in Übereinstimmung mit Banken und Privatunternehmen kooperative Lösungen be- und verhindern. Dieses Buch ist voller Überraschungen für die, die dazu neigen, das, was sie täglich von den Massenmedien und kapitalfrommen Apologeten der Privatisierungspolitik erzählt bekommen, zu glauben. So ist es nur konsequent, daß Rügemer die Privatisierung des Fernsehens als die wichtigste »Wende« be- wertet. Das lesenswerte Buch endet mit der Bemerkung: »Gerade diejenigen, die sich auf Marx berufen und die Grundlage der Gesellschaft in der Ökonomie behaupten, scheinen von der Ökonomie am wenigsten zu verstehen. Der Zusammenbruch des bisherigen Sozialismus, aber auch des Reformkapitalismus, sollte endlich zu Konsequenzen führen.« Da seine brillanten Analysen nicht ausreichen, die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen, will Rügemer zur »ökonomischen Selbstqualifizierung« der Linken und der Globalisierungskritiker nun auch organisatorisch beitragen: Jüngst hat er den Vorsitz der Bürger- und Menschenrechtsorganisation Business Crime Control e.V übernommen. Hans See
Werner Rügemer: »Privatisierung in Deutschland – Eine Bilanz«, Verlag Westfälisches Dampfboot, 204 Seiten, 24.90 €; unser Autor Hans See ist Gründer des Vereins Business Crime Control
Der Libanon-KriegDer bislang letzte Krieg, den Israel gegen seine Nachbarstaaten führte, dauerte vom 12. Juli bis zum 14. August 2006. Er kostete 1.500 libanesischen und 40 israelischen Zivilisten das Leben und verwüstete die zivile Infrastruktur des Libanon. Die waffentechnisch weit überlegene israelische Armee mußte schließlich ihre Niederlage eingestehen und sich zurückziehen. Die Autoren – ein in Frankreich lebender libanesischer Politologe und ein israelischer Friedensaktivist französischer Herkunft – haben in einem schmalen Band die Hintergründe des Krieges analysiert und seine Konsequenzen für die Zukunft dieser Region herausgearbeitet. Sie sehen die Ursache für die innere Zerrissenheit des Libanon in der kolonialen Vergangenheit des Landes: Frankreich zerstückelte sein Mandatsgebiet in Territorien einzelner Religionsgruppen. Die Staatsgründung des Libanon vollzog sich dann auf Grundlage eines im Jahre 1943 zwischen Vertretern der Konfessionen ausgehandelten »Nationalpaktes«. Dieser sicherte den Christen eine parlamentarische Mehrheit gegenüber den islamischen Religionsgemeinschaften. Der undemokratische Machtproporz sowie die sich herausbildende soziale Trennlinie entlang der Konfessionsgrenze lassen immer wieder Bürgerkriege aufflammen und verschaffen auswärtigen Mächten Anlässe oder Vorwände für Interventionen. Vom Niedergang der libanesischen Linken, die bis dahin in der überwiegend schiitischen Armutsbevölkerung ihre stärkste Stütze hatte, profitierte die 1985 gegründete Hisbollah. Mittels finanzieller Unterstützung aus dem Iran baute sie ein Netzwerk islamischer Wohlfahrtsorganisationen auf und wurde so zur Massenpartei. Die Autoren schätzen das als zwiespältig ein: Einerseits sind diese Wohlfahrtsverbände einziger Überlebensgarant für die infolge neoliberaler Umgestaltung der Wirtschaft hoffnungslos verarmte Unterschicht. Andererseits wird die soziale Sprengkraft der Armutsbevölkerung von der Hisbollah instrumentalisiert und auf den äußeren Feind gelenkt. Die Autoren weisen nach, daß die israelische Militärführung im Rahmen des »Krieges gegen den Terror« langfristig geplant hatte, in den Libanon einzufallen und die mit dem Iran verbündete Hisbollah zu zerschlagen. Die Gefangennahme zweier israelischer Soldaten durch Hisbollah-Kämpfer bot ihr den Anlaß für diesen Feldzug. Eine detaillierte militärhistorische Analyse des Krieges findet sich in dem Buch leider nicht. Die Autoren dokumentieren, daß der entschlossene Widerstand der Hisbollah-Einheiten für die israelische Armeeführung unerwartet kam. Die Militärs waren es im jahrelangen Kolonialkrieg gegen die Palästinensergebiete zwar gewohnt, straflos unbewaffnete Zivilisten zu massakrieren und schlecht bewaffnete Milizen niederzukämpfen, im Bodenkrieg gegen motivierte und gut ausgebildete Truppen versagte die israelische Armee jedoch gänzlich. Die Strategie, mittels gezielter Terrorangriffe aus der Luft die libanesische Zivilbevölkerung gegen die Hisbollah aufzubringen und diese so von ihrem Hinterland abzuschneiden, ging ebenfalls nicht auf: Bevölkerungsgruppen aller Konfessionen wandten sich gegen den Aggressor und solidarisierten sich mit den Verteidigern. Aufgrund von Verlautbarungen der israelischen Presse befürchten die Autoren, daß die Militärs sich bereits auf eine Revanche vorbereiten. Der Ausbruch des nächsten Krieges in Nahost sei somit nur eine Frage der Zeit. Gerd Bedszent
Gilbert Achcar / Michael Warschawski: »Der 33-Tage-Krieg. Israels Krieg gegen die Hisbollah im Libanon und seine Folgen«, Edition Nautilus, 93 Seiten, 10.90 €
Flankenschutz für AggressorenIn Ossietzky 7/07 hat Ulrich Sander auf die ungebrochene und unverhohlene Traditionslinie zwischen dem Bundeswehr-Sonderkommando Spezialkräfte (KSK) und der faschistischen Division »Brandenburg« hingewiesen. Die KSK wütet gegenwärtig in Afghanistan. Weder die Öffentlichkeit noch der Bundestag, nicht einmal dessen Verteidigungsausschuß, erfahren von den dortigen Taten oder Untaten des Sonderkommandos. Es wird kein Zufall sein, daß diese Traditionslinie gerade jetzt propagandistischen Flankenschutz erhält. Der kürzlich erschienene »Großband« Nr. 1215 des Landser huldigt »Siegfried Grabert: Der soldatische Lebensweg des ersten Ritterkreuzträgers der ›Brandenburger‹ – Gefallen bei Rostow im Juli 1942«. Der Landser ist seit Jahrzehnten die Standardlektüre für jeden, der von einem neuen Großdeutschland und der dazugehörenden Armee träumt. Er erscheint weiterhin in hohen Auflagen und ist Dienstag für Dienstag frisch an jedem Bahnhofskiosk zu erwerben. Herausgegeben wird er im Pabel-Moewig-Verlag, der zur Heinrich-Bauer-Verlagsgruppe gehört. Dieser Konzern kann sich bester Verbindungen in alle etablierten Kreise von Politik und Gesellschaft rühmen; der Treuhandanstalt verdankt er die Volksstimme, das Monopolblatt für Magdeburg und Umgebung (früher SED-Bezirkszeitung). Der Landser-»Großband« feiert Graberts Einsätze in ganz Europa – angefangen damit, daß er und seine Leute »schon einige Tage vor Beginn des Krieges« mit Hilfe »der besten Schmuggler des Reviers« im August 1939 illegal nach Polen geschleust wurden, um dort – in Zivil und mit gestohlenen Uniformen – Eisenbahnknotenpunkte und Brücken in deutsche Gewalt zu bringen. Wer – wie wahrscheinlich viele Soldaten des KSK und anderer Truppenteile der Bundeswehr – das blutrünstige 65-Seiten-Heft liest, bekommt eine Ahnung, wie viel solchen Vorbildern die Regeln des Kriegsrechts bedeuteten: nichts. Manfred Sohn
IdoleDie lahmende Zeitungsente FAZ enttäuschte ihre Altfundis, indem sie Oettingers Filbinger nicht in gewünschter Altherrenart verteidigte. Um Schaden von der sowieso bröckelnden Auflage abzuwenden, verkündete man eilends: »Das Bild von Görings Fliegerass Mölders ist heller, als die Bilderstürmer glauben wollen.« Hauptüberschrift: »Die Gesamtpersönlichkeit«. Allerdings zeigt das Foto den schmucken Luftikus so, daß sein Hakenkreuz im Brillanten-Ritterkreuz nur halbpersönlich angedeutet wird. Leider fliegen heute in Afghanistan nur unsere Immelmänner statt der Mölders, für die das Blatt tapfer Luftfreiheit fordert. Es sind eben nicht nur die gealterten HJ-Führer, die ihren Helden lieben wie ihre Fahne, die ihnen voranflatterte und sie bis heute hinterher. Idole, im Herzen eingebrannt, währen ewiglich. Stichprobe: »Der Jagdflieger Mölders hatte sich durch sein großes fliegerisches Geschick, das ihm 115 Luftsiege eintrug, einen Namen gemacht.« Wenn die RAF schoß, war es Mord. Wenn Görings Luftwaffe schoß, verteidigte sie weder ihr Nazireich noch die Vernichtungslager, sondern machte sich einen Namen wie die FAZ ein helleres Bild von Görings lustmordenden Luftmördern. Gerhard Zwerenz
Grenzen der WahrheitsfindungVom Deserteur Gerhard Zwerenz und einigen wenigen abgesehen, sind viele zwischen 1925 und 1928 geborene Literaten kaum in der Lage, über die Kriegszeit offen zu berichten. Sie heucheln oder weigern sich, auf unliebsame Enthüllungen zu antworten, oder reagieren übellaunig auf die Reaktionen, die sie mit späten Bekenntnissen ausgelöst haben. Ob Grass, Walser, Jens oder Habermas, keiner zeigt sich bei diesem Thema geistig souverän. Auch der 1925 in Posen geborene Pädagoge Hartmut von Hentig klammert in den jüngst veröffentlichten Memoiren die Verbrechen der Wehrmacht und der SS weitgehend aus, die er als Fahnenjunker, Unteroffizier und Leutnant nicht übersehen konnte. Lektüre habe ihm »das Ausweichen vor der Banalität des Lebens« ermöglicht, schreibt er. »Die Zerstörungen erfuhren wir (und sollten es auch!), die Erschießungen nicht.« In seinem durchaus kritisch erzählten Bildungsprozeß erscheinen Krieg, Flucht, Vertreibung und Gefangenschaft nicht als Bruch, und er stellt sich auch nicht als Helden dar. Widerständigkeit und Resistenz gehörten damals noch nicht zu den Kategorien seines Denkens und Handelns, wie er freimütig einräumt. Und weil das für so viele seiner Freunde zutraf, die Weizsäckers, Dönhoffs oder Lehndorffs, hätte man gern Aufklärung darüber, was diese ehrenwerten preußischen Kollaborateure, die sich trotz ihrer Abneigung gegen die Nazis dem Regime zur Verfügung stellten, um »das Schlimmste zu verhüten«, veranlaßte, bis zum bitteren Schluß Mitglieder der vielbeschworenen Verantwortungsgemeinschaft zu bleiben und sich an deren Reinwaschung nach 1945 zu beteiligen. Das Verhalten vieler Intellektueller erklärt sich gewiß aus der Gefühlslage der gebildeten Schichten in Westdeutschland, denen sie angehören und in denen sie ihre Leser haben. Ein anderer Faktor sind die konservativen Medien: Mit Brennglasschärfe verfolgen sie Fehltritte derjenigen, die – wie Grass oder Jens – nach 1945 den Weg zum radikaldemokratischen Rigorismus gefunden hatten, während die eigentlichen (Schreibtisch-)Täter des NS-Systems in der Regel unbestraft davonkamen, auch weil sie unauffällig und systemtreu dem neuen Staat dienten. Wenn einer verspätet einen solchen Blick in die Vergangenheit wagte wie 1985 der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker in seiner berühmten Rede zum 8. Mai, dann erschütterte er damit den Konsens des Beschweigens und löste eine Historikerdebatte aus. Daß aber der Altbundespräsident seinen im Nürnberger Prozeß gegen Angehörige des Auswärtigen Amts (Wilhelmstraßenprozeß 1948/49) als Kriegsverbrecher verurteilten Vater, den er damals vor dem US-amerikanischen Militärtribunal verteidigte, heute noch für einen Gegner des NS-Systems, gar für einen Widerstandskämpfer hält und der Forschung Einsichten in Papiere und Briefwechsel des Spitzendiplomaten Ernst Freiherr von Weizsäcker (Gesandter in Bern von 1933–1937, Staatssekretär des Auswärtigen Amtes von 1937–1943, als solcher Teilnehmer an der Wannsee-Konferenz, ab 1943 Botschafter beim Vatikan) nach wie vor verwehrt, dokumentiert die Grenzen der Wahrheitsfindung über die NS-Zeit aus der Sicht der Täter und Mitläufer. »Wer aber vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart«, hatte Weizsäcker am 40. Jahrestag des Kriegsendes im Bonner Bundestag verkündet. Jörg Wollenberg
Hartmut von Hentig: »Mein Leben – bedacht und bejaht. Kindheit und Jugend«, Hanser Verlag, 413 Seiten, 24.90 €
Dwars und WeissDen Literaturwissenschaftler Jens-Fietje Dwars scheinen unpopuläre Themen und Schriftsteller zu reizen. Mit kräftigem Temperament und viel Wissen schrieb er 1998 in seiner Johannes-R.-Becher-Biographie »Abgrund des Widerspruchs« gegen den mainstream an, stritt mit allen gängigen Meinungen und verteidigte den Dichter als einen in den Widersprüchen seiner Zeit oft klug Agierenden. Bevor er sich auf die intensive Beschäftigung mit dem einstigen DDR-Kulturminister einließ, hatte Dwars keinerlei Sympathien für ihn gehegt. Mit Peter Weiss ist das anders: Im Vorwort beschreibt Dwars seine frühere Verehrung des Autors der »Ästhetik des Widerstands«, die er einstmals absatzweise mit der Hand abgeschrieben hatte – als Vermächtnis eines ganz Großen, der jetzt dem Vergessen anheimgestellt wäre, gäbe es nicht die treuen Unbeirrbaren. An Stelle der Bewunderung steht nun Recherche. Was in der Becher-Biographie manchmal ausuferte, ist hier durch Disziplin und Reife gezügelt, und dennoch ist Dwars wieder ein Biograph, der kenntlich sein will. Ein Schriftsteller mit eigener, auch kritischer Sicht, der sich auch politische Vergleiche zur Gegenwart gestattet. Peter Weiss war lange Zeit ausschließlich mit sich selbst beschäftigt, dem von Jugend an heimatlosen Bürger, der er nicht sein wollte. Bis zum 40. Lebensjahr erfuhr er eine Ablehnung nach der anderen. Er scheiterte als Maler und war nicht erfolgreicher als Filmemacher. Daneben schrieb er immerzu, und keiner wollte einen Text von ihm haben. Plötzlich geschieht der Durchbruch mit dem zuvor abgelehnten Mikroroman »Der Schatten des Körpers des Kutschers« und den autobiographischen Erzählungen über seine Jugend. Fast gleichzeitig erobert der Dramatiker Weiss mit dem »Marat/de Sade« die Bühnen der Welt, und gleich darauf verwirrt der Autor mit ungewöhnlichen Bekenntnissen. Der in Schweden lebende Deutsche positioniert sich öffentlich als Sozialist in der geteilten Welt und bekommt mit beiden Teilen dieser Welt Querelen. Seine Stücke werden politischer und gefallen hüben und drüben mal mehr, mal weniger. Dwars gelingt auch ein sachlicher Blick auf die »Bibel« seiner Jugend. Die »Ästhetik des Widerstands« bleibt ein Epochenwerk, weil Weiss darin die Widersprüche und Illusionen, die Qualen und Leiden der antifaschistischen Kämpfer des 20. Jahrhunderts so komplex wie kein anderer darstellt und dennoch nicht resigniert. Weiss vertraut der Kultur des einzelnen, die er Ästhetik des Widerstands nennt. Wie könnte da sein Biograph angesichts einer vorübergehenden Vergessenheit dieses Großen resignieren? Christel Berger
Jens-Fietje Dwars: »Und dennoch Hoffnung. Peter Weiss. Eine Biographie«, Aufbau Verlag, 302 Seiten, 24.95 €
Walter Kaufmanns LektüreLesen Sie bitte den Anhang nicht vor dem Roman: Das Gerangel um eine Glanzleistung der DDR-Literatur, die Belehrungen, denen sich der Autor ausgesetzt sah, die Schmähungen, die er erdulden mußte, bis er entmutigt aufgab – das alles wird Ihnen die nötige Ruhe für die Lektüre rauben. Es gibt kurze Bücher, die lang, und lange Bücher, die kurz sind. »Rummelplatz« ist ein kurzes Buch von mehr als siebenhundert Seiten. Es läßt einen nicht los: Die Frühzeit der DDR bis hin zum 17. Juni 53 spiegelt sich in den Lebensläufen unverwechselbarer Männer und Frauen wieder. Da ist Ruth Fischer, die schöne, eigenwillige Tochter des Altkommunisten Hermann Fischer. Und der nun wieder ist ein Mann von besonderer Güte und Kraft, ein Steiger im Bergbau der Wismut-AG, auf den Verlaß ist, auf den die Männer hören – und dessen Ende ... Nein, das sei nicht vorweggenommen. Peter Loose, ein ganzer Kerl, unbeugsam und zupackend, ein echter Kumpel in jeder Hinsicht, und der junge, hochbegabte Christian Kleinschmidt, Professorensohn aus Sachsen, der sich wegen eines erhofften Studienplatzes der Knochenarbeit unter Tage stellt, sie alle reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist, denken in ureigenster Art, ihrer Vergangenheit, Erziehung und Erfahrung gemäß. Da mischt sich Werner Bräunig nicht ein, zwingt keinen in Schablonen. Bewundernswert, wie er diesen fähigen Dr. Jungandres aus dem Schwabenland, Technischen Direktor der nunmehr volkseigenen Papierfabrik, seine Vergangenheit durchdenken läßt und wie dadurch verständlich wird, warum gerade er im Gegensatz zu anderen leitenden Mitarbeitern den Verlockungen des Westens widersteht und auf seinem Posten bleibt. Immer überzeugt Werner Bräunig aus dem tiefsten Inneren seiner Figuren heraus, meisterlich ist das, spannend auch, weil es zum Mitdenken anregt; man erkennt sich in dieser oder jener Figur wieder und fühlt sich nie belehrt oder gar politisch agitiert. Natürlich fragt man sich, wie ein so wahrhaftiges, lebenspralles Buch vom schweren Anfang des sozialistischen Deutschland, überdies eines, in dem drei Liebesbeziehungen aufs Feinfühligste gestaltet sind, erst Jahre nach der Wende vorgelegt werden konnte. Und schüttelt ungläubig den Kopf. »Rummelplatz« hätte rundum befreiend und nicht »zersetzend« gewirkt, wäre es in den sechziger Jahren dem DDR-Leser zugänglich gewesen. Von Hand zu Hand wäre es gereicht worden, Gesprächs- und Lesestoff für Jahre geblieben. Vermutlich ergibt sich das sogar heute noch. Ganz sicher aber wird »Rummelplatz« die Zeiten überdauern und Werner Bräunig als einen der besten Schriftsteller der DDR bekannt machen. Walter Kaufmann
Werner Bräunig: »Rummelplatz«, Aufbau Verlag, 766 Seiten, 24.95 €
Nachtragzu Jochanan Trilse-Finkelsteins Hinweis auf Paul Claudel (Ossietzky 9/07): Das deutsche Publikum mit Paul Claudel vertraut gemacht, auch als dessen Übersetzerin, hat in den 1930er bis 1950er Jahren vor allem Klara Marie Faßbinder (1890–1974), das »Friedensklärchen«, wie sie von ihren Freunden mit Hochschätzung, von ihren Gegnern abwertend genannt wurde. Die katholische Pädagogin und Schriftstellerin warb als Aktivistin des »Friedensbundes Deutscher Katholiken« vor 1933 vor allem für eine deutsch-französische Verständigung, wurde von den Nazis dann aus dem öffentlichen Dienst verdrängt und setzte sich nach 1945 für den Dialog mit den Kommunisten ein, war an der Gründung der westdeutschen Frauenfriedensbewegung und später der Deutschen Friedens-Union beteiligt; wegen ihres politischen Engagements wurde sie 1953 vom Dienst als Professorin an der Pädagogischen Hochschule Bonn suspendiert. 1966 verweigerte Bundespräsident Heinrich Lübke ihr die Aushändigung des französischen Ordens Les palmes académiques, den sie für ihre Claudel-Übersetzungen bekommen sollte; 1969 sorgte Gustav W. Heinemann als Bundespräsident dafür, daß sie diese Auszeichnung endlich erhielt. Arno Klönne
Kreuzberger NotizenDieser Artikel ist aus urheberrechtlichen Gründen nicht verfügbar.
Unterhaltsame SpöttereienNach »Denkzettel« (1992), »Gedächtnis auf Rädern« (1997), »Vater unser – gleich nach der Werbung« (2001), »Ausgebucht. Mit dem Bühnenbild im Koffer« (2004) und mehreren anderen Büchern von Dieter Hildebrandt liegt jetzt, pünktlich zu seinem 80. Geburtstag am 23. Mai, »Nie wieder achtzig!« vor. Mit dem Altern beschäftigte er sich früher bereits, nun ist es sein Hauptthema, »schon deswegen, weil ich gemerkt habe, daß das Altern Zukunft hat«. Mit gutem Gespür ermittelt er die Komik des Alltags: »Leser meiner früheren Bücher wissen, daß ich leichtsinnigerweise meine Unarten und Gebrechen offengelegt habe. Zuerst war es das Bekenntnis, daß mein ganzes Haus voller Zettel ist, und im darauffolgenden, daß ich Brillen brauche, um die Zettel lesen zu können, und weil ich überall Zettel habe, auch überall Brillen brauche, und warum ich das alles brauche, schrieb ich ein paar Jahre danach, weil ich alles vergesse, was ich aufgeschrieben habe, so daß ich also Zettel brauche, auf denen ich ablesen kann, wo ich die Zettel hingelegt habe, auf denen zu lesen ist, wo die Zettel sind, auf denen steht, was ich mir merken soll, was aber nur geht, wenn ich die drei Lesebrillen, deren Liegeplatz auf einem Zettel notiert ist, wieder finde, was alles aber hervorragend und theoretisch perfekt auf einem Plan in meinem Arbeitszimmer notiert ist, aber nicht in meinem Gedächtnis, das offenbar, wie Atomkraftwerke, ein höchst sensibles Alarmsystem eingebaut hat und das bei der kleinsten Irritation sofort den Haupthebel umlegt, und alles im Gedächtnis ist finster.« Hildebrandt demonstriert die Kunst, geistreich Spott auszugießen. Einen satirischen Angriff führt er auf den Bundeswanzenminister Schäuble, der über »seinen Durchlauscht, den Bürger« alles wissen möchte, damit er »eines Tages auch die passende Straftat für ihn finden« kann. Einer der besten Stoff-Lieferanten war ein Ex-Kanzler, weshalb er diesem allein ein Kapitel »Wg. Kohl« gewidmet hat. Hildebrandt lamentiert darüber, daß die Bundestagsabgeordneten heute die Kunst der Rhetorik nicht mehr beherrschen, und erinnert an wuchtige Redebeiträge eines Herbert Wehner oder Fritz Erler. Aber sitzt er hier nicht einer altersbedingten Verklärung auf? So etwas wie eine Konzeption findet man in diesem Sammelsurium nicht. Originell sind die Passagen, in denen Hildebrandt Wortspielereien betreibt oder Sprichwörter erklärt, beispielsweise die neue Bedeutung von »Bei Ihnen piept’s wohl« im Handy-Zeitalter. Dem hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch legt er die passenden Worte in den Mund: »Ich weiß noch nicht, was ich alles wissen werde. Aber wenn ich weiß, was ich alles noch nicht gewußt haben darf, weiß ich auch, was ich wissen muß, wenn ich gefragt werde, was ich alles gewußt habe, als noch keiner wissen wollte, was ich alles gar nicht wissen konnte. Kurz: Ich weiß von nichts. Das weiß doch jeder.« Dieter Hanitzsch hat Hildebrandts Buch mit kongenialen Karikaturen bereichert. Erhard Jöst
Dieter Hildebrandt: »Nie wieder achtzig!«, Karl Blessing Verlag, 238 Seiten, 19.95 Euro
Press-KohlAchim erfreut sich und mich mit feinen Text-Perlen, die er geschickt aus den Presse-Austern pflückt. Manchmal findet er aphoristisch glänzende Stilblüten: »Da es keine Krankheit ist, ein Kind zu bekommen, entfällt die gesetzliche Zuzahlungspflicht ...« Entnommen der Zeitung Neues Deutschland. Eine andere Gelegenheit empfahl das Blatt so: »Den Opfern des Stalinismus bleibend gedenken. Debatte aus der Reihe ›Brot, Pop und Politik‹.« Achim fragt: Sollte die Linkspartei außer Brot, Pop und Politik nicht auch ein wenig Sprachpflege ins Programm nehmen? * Wie unsere Freunde Christel und Dietrich aus Bad Radkersburg »in der St. Eiermark« meldeten, gibt es in Österreich nicht nur Brathendln, Fiakerln, Zitherspieler, Gigerlköniginnen, ein Hotel Sacherl, die Almdudler-Brause, Kaiserwalzer, Walzerkaiser und allerlei Hof-Räte, sondern neben Gamsböcken auch andere Alpentiere, die sogenannten Cevapcici. Penny-Markt empfiehlt: »Cevapcici gewürzt. Geboren und gefüttert in Österreich. Geschlachtet in Österreich. Hergestellt in Österreich. Österreichische Qualität!« Die österreichische Qualität der Cevapcici wird wahrscheinlich durch die Reihenfolge der Aufzucht bewirkt. Die Cevapcici werden zuerst gewürzt und später geboren, gefüttert, geschlachtet und erst dann hergestellt. Wohingegen man die berühmten Tafelspitze in Hundezwingern aufzieht und schließlich (vor dem Verzehr) kocht, würzt und serviert. * Zum Nachtisch noch ein Bekenntnis aus der Dankrede des Berliner Ehrenbürgers und Lebensphilosophen Wolf Biermann (im Tagesspiegel zitiert): »Nur hier konnte ich werden, der ich in Hamburg gar nicht hatte werden wollen: der Biermann.« Felix Mantel
Erschienen in Ossietzky 10/2007 |
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