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MenschenrechtskriegspropagandaJoachim Guilliard »Europa hat es versäumt, effektive Schritte zu unternehmen«, um die Regierung »dazu zu bewegen, die Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, begangen von ihren eigenen Truppen und ihr nahestehenden Milizen« zu stoppen, klagte der ehemalige EU-Kommissar Chris Patten am vierten Jahrestag des Irakkrieges in der Süddeutschen Zeitung. »Während dieser Zeit wurden mehr als zwei Millionen Menschen aus ihrer Heimat vertrieben und mehr als 200.000 Zivilisten getötet.« Der Brite, der nun Vorsitzender des transatlantischen Think Tanks »International Crisis Group« (ICG) ist, wetterte: »Worte sind nicht genug« und forderte harte Sanktionen gegen die Verantwortlichen. Wenig später stieß Ex-Außenminister Joseph Fischer in seiner Funktion als Vorstandsmitglied der ICG in der Frankfurter Rundschau in das selbe Horn. Natürlich richten sich die Sanktionsforderungen nicht gegen die Regierungen Bush und Blair, und die Rede ist auch nicht von den Opfern im Irak. Pattens und Fischers energische Worte gelten vielmehr der sudanesischen Krisenregion Darfur. Doch die Zahlen gleichen sich. Im selben Zeitraum, von dem die beiden Herren sprechen, wurden auch im Irak über zwei Millionen Menschen in die Flucht getrieben. Die Zahl der Todesopfer war sogar über drei mal so hoch: Ungefähr 650.000 Iraker und Irakerinnen waren, wie eine wissenschaftliche Studie ergab, bis Juni 2006 Opfer von Krieg und Besatzung geworden. Die Zahl hat sich Jahr für Jahr fast verdoppelt, und so steht zu befürchten, daß die Millionengrenze bald überschritten sein wird. Während die einseitigen Schuldzuweisungen gegen den Sudan auch nach Ansicht einer Untersuchungskommission der UNO nicht haltbar sind, gibt es keinen Zweifel, wer in erster Linie für die Toten im Irak verantwortlich ist. Dennoch dient die Krise in Darfur als Anlaß für eine breite Kampagne gegen den Sudan, dieweil man ähnlich engagierte Reaktionen gegen den massenhaften Mord in Irak vergeblich sucht. Die Zahl der Opfer im Darfur war nach der selben Methode geschätzt worden wie im Irak, zum Teil sogar von den selben Wissenschaftlern. Während die so ermittelte Zahl von 200.000 Toten sich in Resolutionen des Sicherheitsrates wiederfindet und Grundlage einer breiten, auch von liberalen Blättern wie der SZ und der FR mitgetragenen Kampagne gegen den Sudan ist, wurde die im letzten Oktober von der renommierten medizinischen Fachzeitschrift The Lancet veröffentlichte Irak-Studie von westlichen Politikern und Medien als spekulativ verworfen und in den Medien größtenteils ignoriert. Hunderte Hilfs-, Menschenrechts- und andere Nichtregierungsorganisationen haben sich in weltweiten Koalitionen wie »Die Welt für Darfur« (www.globefordarfur.org) oder Save Darfur Coalition (www.savedarfur.org) zusammengeschlossen, um in gemeinsamen Kampagnen eine stärkere westliche Intervention einzufordern. Die Liste der Beteiligten ist beeindruckend, sie reicht vom American Jewish Committee über Amnesty International, das Genocide Intervention Network, Human Rights Watch und die Gesellschaft für bedrohte Völker bis zur World Evangelical Alliance. Es ist die mit Abstand breiteste und aktivste humanitäre Bewegung der letzten Jahre. In Berlin organisierte das Jüdischen Museum unterstützt von der Evangelischen Kirche (EKD), dem Zentralrat der Juden in Deutschland, der Heinrich-Böll- und der Konrad-Adenauer-Stiftung zeitgleich mit dem Jahrestag des Irakkrieges eine Aktions-Woche zu Darfur, an der sich viel politische Prominenz beteiligte, darunter der vormalige UN-Generalsekretär Kofi Annan als Schirmherr und Ex-Außenminister Fischer. In ihrer einseitigen Frontstellung erinnern die Kampagnen stark an die gegen Jugoslawien. Ein Konflikt mit vielen internen und externen Akteuren wird reduziert auf ein einfaches Freund-Feind-Schema, bei dem die Opfer unschuldige »Afrikaner« und die Täter regierungsnahe »Araber« sind. Wie damals erhalten die Kampagnen in den Medien breiten Raum und Unterstützung namhafter Persönlichkeiten, die angesichts der derzeit »größten humanitären Katastrophe« ein sofortiges Eingreifen zur moralischen Pflicht erklären. So die Schauspielerin Mia Farrow, Goodwill-Botschafterin des UN-Kinderhilfswerks (UNICEF), die im Magazin Die Zeit es für »unannehmbar« erklärte, »daß wir angesichts des ersten Völkermords in diesem Jahrhundert immer noch nicht handeln«. An Superlativen wird nicht gespart. An sich sollte man erwarten, daß sich all die humanitär engagierten Gruppen in New York, Washington, London oder Berlin hauptsächlich für das verantwortlich fühlen, was die eigene und die verbündeten Regierungen in anderen Ländern anrichten. Keine hat sich jedoch jemals ähnlich intensiv mit der Frage der Verantwortung für die katastrophale Situation im Irak und die Menschenrechtsverletzungen der Besatzer bemüht oder gar den Irakkrieg als »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« angeprangert. Die Diskrepanz zwischen der großen moralischen Inbrunst, mit der die Situation in Dafur angeprangert wird, und der breiten Ignoranz gegenüber dem Leiden der irakischen Bevölkerung deutet darauf hin, daß Mitgefühl und Menschenrechte allein kaum die treibende Kraft hinter dem Darfur-Engagement sein können. Wenn in Darfur von Völkermord, im Irak dagegen von Bürgerkrieg und einem Kreislauf von Gewalt und Gegengewalt geredet wird, so liegt das hauptsächlich daran, welchen Akteuren man sich politisch verbunden fühlt und welchen nicht. Das Bild von den gewalttätigen »Arabern« gegen eine unschuldige »afrikanische« Bevölkerung in Darfur paßt zudem perfekt in das gängige Muster des »Krieges gegen den Terror«. Feind ist ein rohstoffreicher Staat, der sich westlichen Interessen nicht unterordnen will. Allgemein richten sich die Forderungen nach einem energischeren Eingreifen selbstverständlich an die europäischen Staaten und die USA. Ob Kofi Annan oder Human Rights Watch – keinem der wackeren Streiter für die Menschenrechte fiel offenbar auf, wie grotesk es ist, ausgerechnet die Staaten zum Eingreifen im Sudan aufzufordern, die direkt oder indirekt für die Gräuel im Irak verantwortlich sind. Wir sollten sie mit den Forderungen des spanischen Richters Baltasar Garzón konfrontieren, der anläßlich des vierten Jahrestages des Irakkrieges in der spanischen Tageszeitung El Pais verlangte, endlich US-Präsident George W. Bush und seinen Helfern wegen Kriegsverbrechen im Irak den Prozeß zu machen. »650.000 Tote sind ein ausreichendes Argument, um sofort und ohne Zögern mit Ermittlungen zu beginnen«, fügte der Richter, der einst durch die hartnäckige Verfolgung des chilenischen Diktators Pinochet international bekannt wurde, hinzu. »Anstatt des Krieges zu gedenken«, fuhr Garzón fort, »sollten wir entsetzt sein, anklagen und gegen das gegenwärtige Massaker demonstrieren, das als Konsequenz aus diesem Krieg entstand.« Die maßgeblichen Gruppen, wie die ICG, firmieren zwar als Nichtregierungsorganisationen, bei näheren Hinsehen ist es mit ihrer Unabhängigkeit aber nicht weit her. So wie Patton und Fischer sind auch viele weitere führende Köpfe der ICG ehemalige Regierungsmitglieder westlicher Staaten. So hatten die Initiatoren der ICG-Kampagne »Enough« (»Genug«), Gayle E. Smith und John Prendergast, wie auch der internationale Chefkoordinator der Save Darfur Coalition, Lawrence Rossin, unter US-Präsident Bill Clinton führende Positionen im State Department inne und waren Mitglieder des Nationalen Sicherheitsrates. Daß vor allem hochrangige Mitarbeiter Clintons hier eine führende Rolle spielen, ist kein Zufall. Die Clinton-Administration hatte bereits in den 90er Jahren auf einen Regimewechsel in Khartum hingearbeitet und dazu bedenkenlos die Rebellenorganisationen wie auch benachbarte Militärregime unterstützt – übrigens in engem Zusammenwirken mit evangelikalen und jüdischen Gruppen, die mit den nichtislamischen Rebellen sympathisieren.
Erschienen in Ossietzky 10/2007 |
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