Warten bis es klingelt

Wolfgang Haible

Das Job-Center hat mir einen Brief geschrieben. Diese Briefe werden in jenem bläßlichen Umweltgrau verschickt, das man erfunden hat, um den Ökologiegedanken mit dem pietistischen Verzichtsethos zu verschmelzen.

Der leidende Ton, den der Leiter des Job-Centers anschlägt, wenn er mit mir telefoniert, verkehrt sofort die Rollen: Der bedauernswerte Mensch ist er, warum will ich auch mehr Geld von seiner Behörde und erspare ihm nicht die Arbeit eines Widerspruchsverfahrens.

Nun habe ich wieder einen jener Briefe bekommen, die nichts Gutes versprechen: einen Serienbrief, wie man an der Anrede leicht erkennt. Daß beim »geehrte(r)« Herr mein Geschlecht in eine Klammer gezwängt wird, ist eine erneute Demütigung, die, ich weiß das, sonst eher den Frauen widerfährt. Wäre ich ein Chauvi, würde ich sagen, daß das der graphisch passende Ausdruck für die Entwertung meiner männlich aktiven Existenz ist. Sie, liebe LeserInnen, können freilich diesen Gedanken auch als Folge jener intellektuellen Reduktion betrachten, die mit lang andauernder Arbeitslosigkeit zwangsläufig einhergeht.

Bei dem Brief handelt es sich um die anonyme – denn es steht kein Name einer Person darunter, sondern nur der einer Organisation: JobCenter – Ankündigung eines Anrufs, einschließlich Rechtsbelehrung.

Meine Daten sollen für das neue Beratungs- und Vermittlungsprogramm ergänzt und aktualisiert werden. Waren also in dem alten Lücken, die verhindert haben, daß ich erfolgreich beraten/vermittelt wurde? Oder hat sich in meinem Leben so viel ereignet, daß es potentielle Käufer meiner Arbeitskraft reizen könnte? Ich lese inzwischen Gert Schäfers »Gegen den Strom. Politische Wissenschaft als Kritik«, aber das sollten sie besser nicht wissen!

Da das Job-Center mich endlich los sein will, bittet es mich »dringend« um Beteiligung. Wenn es so dringend ist, könnte ich beinahe vermuten, daß ich noch vor Ende des Jahres vermittelt werden kann.

Die Vermittlerin meines Freundes Hans ist da ehrlicher, sie sagte zu ihm, mit mehr als 45 Jahren habe er auf dem Arbeitsmarkt keine Chance, und für die Ein-Euro-Jobs gebe es dreimal so viele »Bewerber« wie Stellen. Aber ist nicht unser Ex-Kanzler ein gutes Beispiel dafür, daß man auch als älterer Mensch noch alle Optionen offen hat, vor allem wenn man sich um sein Land so verdient gemacht hat! Ich habe nicht so viel wie er gemacht, das bedeutet aber, daß ich diesem Land beziehungsweise einem Großteil der Menschen darin auch nicht so viel geschadet und genommen habe wie er.

Damit das Gespräch nicht zu lange dauert, soll ich mich darauf vorbereiten. Das habe ich natürlich gemacht und bin heute um sieben Uhr aufgestanden, da ab acht Uhr mit dem Anruf zu rechnen ist. Keinesfalls will ich den Eindruck einer müden, schlecht rasierten, im Schlafanzug daherkommenden Stimme machen, das könnte sich nachteilig auf die Einschätzung des Telefonisten auswirken.

Immerhin: Die Annahme dieses Telefonats ist freiwillig, Nachteile würden mir nicht entstehen, wenn ich nicht mitmache. Entstehen mir Vorteile durch eine Handlung, die ich genauso gut unterlassen kann und darf? Mein Freund Hans sagt, diese Anrufe dienten der Kontrolle, ob man einer Schwarzarbeit nachgehe, sich in der Nähe der parlamentarischen Bannmeile aufhalte, die das Volk vor seinen Vertretern schützt, oder in einer Einkaufspassage herumlümmle und das vorweihnachtliche Rundumkonsumwohlgefühl der Einkaufenden störe. Zu Hause sei der Arbeitslose am besten aufgehoben!

Ich kann mir nun auch nicht vorstellen, daß es darauf ankäme, die Daten der Langzeitarbeitslosen zu aktualisieren. Ich vermute also, daß es darauf ankommt, meine Mitarbeit unter allen Umständen zu demonstrieren. Und da das Arbeitsamt beziehungsweise Job-Center mit sich selber beschäftigt ist, warum sollte nicht ein Call-Center die Arbeitslosen periodisch anrufen und sie ein bißchen Vordermann bringen?

Meine Bitte ist also: Rufen Sie mich nicht zwischen 8 und 18 Uhr an!

Erschienen in Ossietzky 25/2006