Dazu frisches Weißbrot

Lothar Kusche

In der Erinnerung haben Freunde meistens nur angenehme Eigenschaften. So kommt es mir vor, wenn ich an Marcel denke. Oder kannte ich ihn vielleicht nicht genau genug, um auch weniger Angenehmes an seinem Charakter zu bemerken?

»Er raucht in der Pfeife einen nicht besonders fein duftenden Knaster.« Das hat mir mal einer erzählt, vor langer Zeit, als handle es sich um den Charakterfehler eines Reporters. Ein anderer meinte: »Villain gehört zu den klassischen Journalisten unserer Tage.« Das fand (vor 50 Jahren schon) der kluge Arnold Zweig.

Marcel kannte das Leben und versuchte auch, es zu genießen, zum Beispiel indem er für uns, seine Weltbühne -Kollegen, kochte: 500 g Rinds- oder Schweinsfilet, 1 Zehe Knoblauch, Salz, Pfeffer, 50 g Margarine, 20 g Butter, 2 Tassen feine grüne Erbsen, feingehackt: Kresse, Kerbel, Petersilie. Bleistiftdick geschnittene, mit Knoblauch eingeriebene Filetscheiben bei kleiner Hitze langsam von beiden Seiten braten. Wenn sie Saft abgeben (gar sind), vom Feuer nehmen und den Rotwein hinzufügen. Dazu frisches Weißbrot ... Marcel verfuhr am Herd wie beim Schreiben: bedächtig (nicht hastig), überlegt (daher überlegen). Was ihn auch ärgern mochte – er war (auch deshalb liebte man ihn) sicher, ruhig und heiter (wie seine Stimme).

Erschienen in Ossietzky 19/2006