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Krise hier und Krise dort, Krise überall, nur nicht bei den Superreichen. Als ein Licht im Tunnel erscheint da noch der dritte Platz in der Fußballweltmeisterschaft, doch er ist wohl kein Licht am Ende des Tunnels. Die Krisen werden bekämpft, jede für sich. Die Steuern werden erhöht, die Lebensarbeitszeit wird verlängert, die Rechtsmittel werden reduziert, die Bürger sollen für ihre Renten selbst vorsorgen und so weiter. Die Politiker sagen, ihre Politik sei ohne Alternative. Ein Erfolg ist sicher: Die Logik bleibt auf der Strecke. Die Krisen werden nicht erst seit heute bekämpft. Die Geschichte der Krisenbekämpfung ist lang. Fachleute jedes Faches wissen, wie lang sie ist, aber fast niemand schreibt darüber. Juristen, um zunächst bei meinem Fach zu bleiben, wissen, wie lange und wie wirkungslos die Justizkrise bekämpft wird. Heute beklagen sie zum Beispiel die »Überlastung der Gerichte«, »das starke Ansteigen der Zahl der Zivilprozesse« (Karl G. Deubner) und »die ungeheure Gesetzesflut, die über die Bürger hereingebrochen ist« (Gerhard Lüke) . Aber schon 1928 sprach Eugen Schiffer, Reichsjustizminister von 1919 bis 1921, von »dem ungeheuren, unübersehbaren Wust von Recht und Rechtsnormen jeder Gattung von Gesetzen, Verordnungen, Verfügungen, Erlassen und Anweisungen im Reich und in den Ländern, den Provinzen und den Kreisen, den Gemeinden und anderen öffentlich-rechtlichen Korporationen. Sie füllen Hunderte und Tausende von Bänden der Gesetzessammlungen, Gesetzblätter, Ministerialblätter, Amtsblätter und unzähliger sonstiger amtlicher, halb- und nichtamtlicher Publikationsorgane, die zusammen eine Riesenbibliothek darstellen würden. Das Reichsgesetzblatt enthält bis zum 1. Januar 1926 rund 44.000 Seiten – davon entfallen auf die Jahrgänge 1914 bis 1925 allein 19.679 –, auf denen 11.140 gesetzgeberische Akte verkündet werden. Die Zahl der Polizeiverordnungen bloß in Preußen beträgt etwa eine Million.« Die heutige Justizkrise ist folglich ein alter Hut. Als Schiffer das schrieb, befand sich Deutschland ein Jahr vor der Weltwirtschaftkrise und etwa vier Jahre vor dem Machtantritt Hitlers. Gesetze wurden durch Führerbefehle ersetzt, ein anderer Teilkomplex der Weimarer Justizkrise, die »Überfüllung« der Anwaltschaft, wurde durch Ausschaltung der jüdischen und kommunistischen Anwälte bewältigt. Kanonen gab es nicht nur statt Butter. Die Justizkrise insgesamt wurde so für einige Jahrzehnte beseitigt, bis die Folgen des großen Krieges überwunden waren. Was wird die heutige Justizkrise beseitigen? Eine Demokratiekrise hat Deutschland ebenfalls schon einmal erlebt. Joseph Wirth, in Weimar von 1921 bis 1922 Reichskanzler und dann mehrfach Reichsminister, sprach 1928 von einer »schleichenden Krise des deutschen Parlamentarismus«, und 1929 stellte auch Gustav Stresemann fest: »Wir stehen in einer Krise des Parlamentarismus, die schon mehr als eine Vertrauenskrise ist«. Arthur Rosenberg, dessen Geschichte der Weimarer Republik als Standardwerk gilt, meinte: »In einem Land wie Deutschland, in dem fast drei Viertel aller Wähler zu den Arbeitnehmern gehören, ist eine bürgerliche Parlamentsmehrheit nur möglich, wenn die kapitalistischen Parteien volkstümlich auftreten und den armen Massen alle möglichen Versprechungen machen.« Eigentlich eine Banalität, nur selten ausgesprochen. Gegenwärtig scheinen Versprechungen nicht mehr möglich zu sein, die Fakten sind zu offensichtlich. Was nun? Die Gesundheit war schon 1956 ein Thema. Der Titel des Films »Weil Du arm bist, mußt Du früher sterben« ist nach 50 Jahren wieder aktuell und noch aktueller geworden. Und »Bildungskatastrophe« ist auch schon seit Beginn der 1970er Jahre ein fester Begriff. Seit damals gilt Bildungspolitik als »Musterbeispiel einer gescheiterten Reform« (Manfred Görtemaker). Arbeitslosigkeit wird in der BRD bekämpft, seit sie nach dem Krieg 1966 wieder auftrat. Vorübergehend wurden auch Erfolge erzielt. In Görtemakers »Geschichte der Bundesrepublik Deutschland« ist zu lesen: »Bereits kurz nach der Regierungsbildung 1965 machte plötzlich das Wort von der ›wirtschaftlichen Rezession‹ die Runde. Zwar gab es auch im September 1966, wenige Wochen vor seinem [des Bundeskanzlers Ludwig Erhard; F.W. ] Rücktritt, noch nicht mehr als 100.000 Arbeitslose bei 600.000 offenen Stellen und 1,4 Millionen ›Gastarbeitern‹... Aber ... (sie) wurden von der Bevölkerung, die sich an den scheinbar unaufhaltsamen Aufschwung des ›Wirtschaftswunders‹ gewöhnt hatte, schon als bedrohlich empfunden... All dies verdichtete sich im Herbst 1966 zum Bewußtsein einer ›Krise‹.« Zur Wiederbelebung der Konjunktur schlug Kanzler Erhard damals vor, »die tariflich vereinbarte Arbeitszeit um wöchentlich eine Stunde Mehrarbeit zu erhöhen«. Doch die Bundesregierung selbst, fährt der Historiker fort, »habe mit ihrem Versuch, der Krise durch Sparmaßnahmen zu begegnen, noch dazu beigetragen, die Rezession zu verschärfen, so daß bald auch die Steuereinnahmen zu schrumpfen begannen«. Damals lebte auch der Rechtsradikalismus wieder auf, eindeutig als Folge wirtschaftlicher Rezession. Zwar wurde diese – von Görtemaker noch in Anführungszeichen gesetzte – Krise überwunden, »doch schon zu Beginn der siebziger Jahre kehrte sich der Trend um, ohne daß die Steuerungsinstrumente griffen«; und zur Situation im Jahre 1973 schreibt der Historiker: »Die einst so hochgelobten wirtschaftspolitischen Instrumente erwiesen sich damit erneut als trügerisch. Die bis dahin schärfste Rezession in der Geschichte der Bundesrepublik bahnte sich an.« Damals betrug die Zahl der Arbeitslosen knapp 600.000. Ob die Instrumente jetzt bei vier bis fünf Millionen amtlich registrierten, in Wirklichkeit noch viel mehr Arbeitslosen greifen oder abermals versagen? Seit Jahren wälzen Politikwissenschaftler in den großen kapitalistischen Staaten die Frage, ob die westlichen Industriegesellschaften überhaupt noch »regierbar« seien. Was aber, wenn sie nicht mehr »regierbar« sind? Folgt dann eine Weimarer Lösung? Gegen Ende des 20. Jahrhunderts schrieb Konrad Adam in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung : »Wer die Linien, die sich hier andeuten, weiter auszieht, landet bei einem Bündnis zwischen den Managern und den Bürokraten, einem Bündnis, das so stark sein wird, daß kein Bürger dagegen ankommt. Mit den Römischen Verträgen ist dieser Bund verabredet worden, in Maastricht wurde er unterzeichnet, in Brüssel wird er praktiziert. Wenn das Bündnis erst steht, wird es mit der Demokratie in jenem emphatischen Sinne, der das Wort ausgezeichnet hat, nicht mehr viel auf sich haben. Auch dann wird noch gewählt, mit großem Aufwand und auf allen Ebenen, doch werden die Mandate nur noch zum Schein erteilt, denn die Herrschenden wissen, wie sie die Beherrschten unter Kontrolle halten. Es wird eine neue Gesellschaft entstehen, in der die alte Klage über die Ungleichheit der Menschen zwar nie verstummt, in der sie aber nichts mehr ausrichten kann, weil keiner da ist, der sie annimmt und verhandelt. . In seinen Weltgeschichtlichen Betrachtungen notierte Jacob Burckhardt seinerzeit: ›Das Ende vom Lied: Irgendwo wird die Ungleichheit wieder zu Ehren kommen. Was aber Staat und Staatsbegriff inzwischen durchmachen werden, wissen die Götter.‹...« Ich denke, dann kommt ein König oder ein Führer. Der CDU-Politiker Wolfgang Schäuble gab damals, ebenfalls in der FAZ , schon die Parole aus: »Weniger Demokratie wagen«. Jetzt ist er der für Verfassungsschutz zuständige Bundesminister. Ob der Verfassungsschutz ihn und Herrn Adam je ins Visier genommen hat? Es gibt doch den Artikel 3 des Grundgesetzes: »Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.« Als das Nazi-Regime militärisch besiegt war, schrieb Bert Brecht in der Kriegsfibel«: »Die Völker wurden seiner Herr, jedoch / Daß keiner uns zu früh da triumphiert – / Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch!«
Erschienen in Ossietzky 19/2006 |
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