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Vor allem in den USA und Großbritannien flüchteten Anleger damals vor allem in den Immobilienmarkt. Gold oder Grundstücke sind seit dem Beginn kapitalistischer Zyklen traditionell die Rettungshäfen der Reichen, wenn draußen wieder ein Orkan der Rezession tobt. Sie vermitteln nahezu sinnlich die Vorstellung von Stabilität und Unerschütterlichkeit, während sie im Aufschwung einer klassischen Spekulationsphase als betulich und renditeschwach gelten. Das ist nichts Neues. Die Welt hat es schon mindestens zweimal erlebt. Als Mitte des 19. Jahrhunderts die Eisenbahnen nicht nur Abenteurer, sondern massenhaft Spekulanten anzogen, dümpelten die Immobilienrenditen weitgehend unbeachtet vor sich hin – so wie in jüngerer Vergangenheit bis zum Oktober 2000. Als aber die Eisenbahn-Gründerfirmen dutzendweise in Konkurs gingen, verlegten sich die Spekulanten auf Immobilien und Gold. Etwas Ähnliches wiederholte sich in den 1920er Jahren, als die Spekulationen auf Traumgewinne aus Automobil-, Elektro- und Chemieaktien platzten. Zweierlei lehrt die Wirtschaftsgeschichte des Kapitalismus. Erstens besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen einer Spekulationsblase auf neue Technologie und einer auf Immobilien oder Gold. Im ersten Fall werden tatsächlich neue Werte geschaffen, und es entsteht in der Regel ein neuer Produktivitätsschub. Denn so wie jetzt Dutzende Firmen der Informationstechnik-Branche aus den 1990er Jahren pleite und vergessen sind, so waren vor gut hundert Jahren Dutzende Eisenbahn-Firmen pleite und schnell vergessen; aber so wie die Schienen liegen blieben und lange weiter genutzt wurden, so sind inzwischen PCs und Software in der Welt und werden weiter genutzt. Das ständige Steigen des Wertes von Immobilien aufgrund des Hereinströmens von anlagesuchendem Geld schafft dagegen keinerlei zusätzlichen Wert, keinen Produktivitätsschub. Deshalb – das ist die zweite Lehre – stehen Immobilienspekulationsblasen historisch meist am Schluß langer Zyklen, bevor überschüssiges Kapital immer durch ein radikales, wirksames Mittel vernichtet wird: den Krieg. Mit diesem historischen Wissen im Hintergrund – für den, der es hat – ist das zischende Geräusch, das gegenwärtig aus dem amerikanischen und britischen Immobilienmarkt zu vernehmen ist, um so besorgniserregender. Seit dem Jahre 2000 stiegen die Preise für (vorhandene, nicht erst neu geplante) Einfamilienhäuser in den USA zunächst Jahr für Jahr um drei bis zehn, seit 2004 um bis zu 16 Prozent. Dahinter verbirgt sich keine reale Wertsteigerung – die Häuser sind weder größer geworden, noch arbeiten durch die Wertsteigerung die in ihnen lebenden Menschen produktiver. Der ständige Wertanstieg hat aber bei den Hausbesitzern die Illusion steigenden Wohlstandes geweckt. Wenn der nominale Wert einer Immobilie steigt, geben die Banken dem Besitzer gern auch entsprechend größere Kredite, weil sie dann auch entsprechend mehr Zinsen kassieren können. Dieser ökonomische Mechanismus ist der Hauptgrund für die in den letzten Jahren gestiegene Nachfrage nach hochwertigen Konsumgütern in den USA und damit die dort herrschende gemäßigte Hochkonjunktur – von der Nicht-Hausbesitzer selbstverständlich nicht profitiert haben. Jüngste Nachrichten deuten darauf hin, daß diese Immobilienspekulationsblase bald zusammensacken kann. Ihr geht schon erkennbar die Luft aus: Zum ersten Mal seit ihrem Beginn sinkt der Wert der Häuser zwar noch nicht nominal, aber – unter Einrechnung der Inflation – real. Die Zahl auf dem Markt angebotener, aber unverkaufter Häuser hat den höchsten Stand seit 1993 erreicht. Damit ist aber nicht nur für Millionen bisher recht konsumfreudiger amerikanischer Mittelklasse-Bürger Ende Gelände. Sie werden ihre bisher auf Illusionen gebaute Nachfrage zurückfahren. Viel schlimmer: Die Milliarden in steigenden Immobilienwerten angelegten Pensionsgelder der betrieblichen und überbetrieblichen Fonds verzinsen sich jetzt nicht mehr entsprechend den Versprechungen smarter Versicherungsvertreter und Vermögensberater. Die jetzt in das Rentendasein eintretenden Millionen Amerikaner werden vom Platzen dieser Blase auf eine ökonomische Rutsche nach unten gestoßen werden. Und wir werden Zeugen, vielleicht auch Opfer neuer politischer Irrationalitäten werden. Wenn Orkane vermeintlich sichere Häfen erreicht haben, beginnen die großen Dramen.
Erschienen in Ossietzky 19/2006 |
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