Zur normalen Fassung

Wird sich die Hamas mäßigen?

Sie wird es nicht wollen!

von Ilka Schröder

Deutlicher geht's nicht: Die Hamas gewann bei den Wahlen zum Parlament der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) mit ihrem Programm zur Zerstörung Israels mehr als die Hälfte der Sitze. Ihre aktuellen Statements lassen keinen Zweifel daran, daß die Hamas mit genau diesem Programm jetzt Politik betreiben wird. Sie werde auch weiterhin alles dafür tun, das "zionistische Gebilde" endgültig auszulöschen und es durch einen unabhängigen Palästinenserstaat zu ersetzen.

Europa und Amerika haben reagiert, aber bisher halfen die Aufforderungen zur Mäßigung nichts. Die Verträge mit Israel will die Hamas nicht anerkennen, den jüdischen Staat schon gar nicht, und die Waffen niederlegen will sie noch viel weniger. Offen diskutiert sie darüber, die Scharia einzuführen und alles, was Spaß macht, zu verbieten: die Drogen, das Glücksspiel und alles Nackte. Würden all die Drohungen wahr gemacht und die westlichen Finanzhilfen an die PA gesperrt, so gäbe es immer noch den Iran. Dieser hat bereits zugesagt, in die Bresche zu springen. Die Gelder, mit denen Brüssel die Hamas zu Zugeständnissen bewegen möchte, flössen also aus anderen Quellen, und zwar ohne die westlichen Bedingungen.

Nun kann es durchaus passieren, daß die Hamas Gefallen daran finden wird, ihren Forderungen auch regierend Nachdruck zu verleihen - und nicht wie bisher bloß mittels Terrorattentaten. Vielleicht paßt dies sogar so gut zu ihrer Strategie, daß sie um der Gründung eines Staates willen auch bereit wäre, sich im Tonfall etwas zu mäßigen. Was daraus folgt, ist aber wiederum offen. Daß es dann wirklich eine Zwei-Staaten-Lösung geben wird, in der vor allem Palästina, aber auch die anderen arabischen Staaten bereit sein werden, die Konkurrenz mit Israel nicht-militärisch auszutragen, ist nur ein Szenario. Das andere sieht so aus: Die Hamas nutzt ihre Regierungsposition zur Vermehrung der Machtmittel für ein explizit antisemitisches Programm und kann ganz legal aufrüsten, um den Krieg gegen "die Juden" ein für alle mal zu gewinnen.

Israel jedenfalls kann nicht mit einem Quasi-Staat verhandeln, der volle Souveränität erlangen will, um diejenige Israels in Frage zu stellen. Deswegen steht bereits fest, daß Israel mit dem bevorstehenden Antritt der Hamas-Regierung palästinensische Steuer- und Zolleinnahmen nicht mehr gemäß den Osloer Vereinbarungen an die PA weiterleiten wird.

Und dabei hat Israel Glück, daß die USA ihm in diesem Punkt folgen und der Hamas ein Abrücken von ihrer bisherigen Position abverlangen. Brüssel hingegen hält sich eine Tür offen: Bevor man die Gelder an die PA kürze, wolle man die Regierungserklärung der Hamas abwarten. Schließlich will die EU weiterhin die entscheidende Vermittlerin im Nahen Osten werden. Zu diesem Zweck hat sie die PA jahrelang im "Intifada" genannten Krieg gegen Israel unterstützt. Und deswegen würde sie auch zu gerne direkt mit der Hamas verhandeln - wie bereits bisher auf der Ebene unterhalb der Botschafter. Dabei wurde bisher der EU die Verhandlungspartnerin Hamas nicht einmal durch das Ergebnis einer Wahl aufgezwungen.

Aber die EU hat das Problem, daß die Hamas eine Terrororganisation ist und von ihr selbst auch so eingestuft wird. Um sie trotzdem als offizielle Ansprechpartnerin behandeln zu können, werden Bedingungen gestellt. Und die ließen sich schlicht darüber erfüllen, daß die Hamas sich eine allzu deutliche Regierungserklärung verkneift. Auch die Hamas scheint auf einen solchen Deal eingehen zu wollen: Sie trainiert bereits, mit beschwichtigenden Statements in deutschen und englischen Medien den Westen zu beruhigen. Zugleich läßt sie in arabischen Medien keinerlei Zweifel an ihrem dauerhaften und tatkräftigen Engagement gegen Israel aufkommen.

Daß eine Regierungsübernahme noch keine Mäßigung in Vernichtungsphantasien und -praxen mit sich bringt, führt derzeit der iranische Staatspräsident Ahmadinejad vor. Die bloße Teilnahme der Hamas an den palästinensischen Wahlen also schon als Bekenntnis zu einer Auseinandersetzung mit Israel in geordneten Regierungsbahnen zu nehmen, wäre ein bißchen viel der interessierten Fehlwahrnehmung. Gerne wird auch betont, daß es sich bei der jüngsten palästinensischen Wahl nur um eine Protestwahl gegen die korrupte Fatah gehandelt habe. Die Palästinenser hätten deren "Selbstbedienungsladen" satt und wollten eine neue Regierung, keinesfalls handele es sich bei den Wählern um einen antisemitischen Mob.

Zunächst ist anzumerken, daß nicht die Wähler regieren, sondern die Regierung. Und das ist in diesem Fall die islamistische Hamas mit einer Charta zur Zerstörung Israels. Selbst wenn aber die Hamas nicht in erster Linie hierfür gewählt worden wäre, steht eines fest: Die allermeisten Wähler haben gegen Antisemitismus mindestens nichts einzuwenden. Flankierend läuft die antisemitische Propaganda weiter im staatlichen palästinensischen Fernsehen, die Schulbücher lehren weiter Lügen über "die Juden" und es finden sich weiterhin entschlossene Selbstmordattentäter. Organisationen, die sich auf palästinensischer Seite gegen diese Zustände wehren und Antisemitismus deutlich kritisieren, gibt es nicht.

Es fehlen jegliche Anzeichen dafür, daß irgend jemand nicht einverstanden wäre mit dem Judenhaß von Hamas, Fatah und den meisten anderen Parteien. Hingegen liegt die Schlußfolgerung nahe, daß ein eigenständiger arabischer Antisemitismus Wurzeln geschlagen hat in der palästinensischen Gesellschaft und zum festen Bestandteil des palästinensischen Nationalismus geworden ist. Es ist unwahrscheinlich, daß das Bild vom Juden als übermächtigem Feind mit der Gründung eines Nationalstaates plötzlich verschwinden würde. Dies ist noch unwahrscheinlicher geworden, seitdem die Hamas die Wahlen gewonnen hat.

Ilka Schröder lehrt derzeit an der Washingtoner Georgetown University.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der Zeitschrift informationszentrum 3. welt (iz3w), Nr. 292.

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sopos 4/2006