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Schön der Reihe nachMichael Sommer, das verdient lobende Erwähnung, schildert die Tätigkeit des von ihm geführten DGB-Bundesvor-standes nicht dramatischer, als sie ist. Die Tageszeitung junge Welt hat ihn befragt, ob denn die deutschen Gewerkschaften nicht öffentlichen Protest gegen den Sozialabbau der Großen Koalition organisieren wollten. Sommer ist da ganz gelassen: Die neue Regierung habe Falsches, aber auch Richtiges im Sinn. Nicht akzeptabel seien die Regelungen zum Kündigungsschutz, die Heraufsetzung des Renteneintrittsalters und die Erhöhung der Mehrwertsteuer – »aber wir müssen erst einmal abwarten, ob und wie die Regierungskoalition diese Pläne tatsächlich umsetzt. Ich kenne noch keinen Gesetzentwurf zur Mehrwertsteuer-erhöhung. Wenn er kommt, werden wir uns damit befassen... Wir befinden uns in Gesprächen, wir wollen mit Argumenten überzeugen. Wie wir dann vorgehen, entscheiden wir gemeinsam im Bundesvorstand nach Lage der Dinge. Das machen wir immer schön eins nach dem anderen.« Also so: Erst mal der Regierung Zeit lassen, damit diese ihre Vorhaben unbelästigt vorbereiten und der Öffentlichkeit klar machen kann, der Sachzwang lasse keine andere Wahl. Gewerkschaftliche Bedenken zu Protokoll geben. Wenn dann die Gesetzesentwürfe im Parlament vorliegen, höfliche Einwände formulieren und in den Presseverteiler legen. Und sobald die Gesetze beschlossen sind, die Kritik daran als Thema für die Musterrede zur nächsten 1. Mai-Feier vormerken. Immer eins nach dem anderen und sich, wie es Gewerkschaftsvorständlern geziemt, nicht aus der Ruhe bringen lassen. Marja Winken
QualitätskulturWas das ist? Dreimal dürfen Sie raten: Erstens ein neues Gütesiegel im deutschen Kulturbetrieb, dessen Glanz auch auf die jeweiligen Sponsoren fallen soll, damit sie noch fleißiger für Zwecke spenden, die die öffentliche Hand nicht mehr finanzieren kann oder will? Zweitens eine besonders gelungene Bakterienzüchtung für medizinische Forschungszwecke? Drittens ein Begriff aus dem Kleingedruckten auf den Bechern hochpreisiger Yoghurts? Falsch geraten. Es handelt sich um den Titel eines Vortrags, gehalten auf einem deutschen Hochschultag zum Thema »Qualität, Evaluation, Rankings«. Das Wort gehört also zum Neusprech markt- und betriebswirtschaftlich orientierter Hochschulplanung, so wie »Controlling«, »Mentoring« und »Performance«, von denen auf der Tagung die Rede war. Folgerichtig hielt auch der Leiter der Abteilung »Qualitätsmanagement und Controlling« der veranstaltenden Fachhochschule einen vielbeachteten Vortrag über den »Einsatz der Balanced Scorecard im Rahmen des Qualitätsmanagements«. Was aber heißt nun um Himmels willen »Qualitätskultur«? Helfen Sie mir raten. Reiner Diederich
Hirn statt SchaumKürzlich lobte der postmoderne Spaßmacher Harald Schmidt vollmundig unseren postmodernen Mistmacher Hans Magnus Enzensberger wegen dessen Bewunderung für Papst Benedikts intellektuelle Brillanz und einfache Sprache. Der junge Enze hatte einst im Spiegel 27/1962 Ernst Blochs Buch »Erbschaft dieser Zeit« trefflich rezensiert, obwohl es nicht in einfacher Sprache geschrieben ist. 1935 im Zürcher Exil erstveröffentlicht, durfte dieses Buch in der DDR nie erscheinen. Warum nicht? Im eben publizierten »Bloch-Almanach 24/2005« nennt der Berliner Philosophie-Professor Gerd Irrlitz die Gründe dafür: »Bloch erkannte in der Niederlage der deutschen Demokratie und der sozialistischen Bewegung gegen den Faschismus das Scheitern der überkommenen marxistischen Emanzipationstheorie.« Und: »Bei Blochs Ablösung seines Sozialismuskonzepts vom vorwiegend proletarischen Bezugspunkt wirkte die Erfahrung des Massenerfolgs der faschistischen Bewegung mit. Er hat die Schemata der Komintern-Einschätzung des Faschismus nie geteilt ...« Enzensberger, der vor Jahrzehnten Bloch noch verstanden hatte, bis er Hitler den Ländern der Dritten Welt zuordnete, heiligt nun jenen Benedikt, der doch, als er noch Ratzinger hieß und Professor in Tübingen war, vor dem dort eben eingereisten Ernst Bloch flüchtend bis nach Rom rannte. Ein frühes Gedicht Enzensbergers hieß Schaum . So schäumt er im Alter dahin. Einst wußte er's besser: »Mit der großen Koalition äfft die Sozialdemokratie ihre eigene Geschichte, parodiert ihr Vorbild, das sie sich 1914, 1918, 1923 selber gesetzt hat« (Enzensberger 1967). Da hatte er noch Hirn statt Schaum im Kopf. Gert Gablenz
Zerbrochene Fahnenstange (4)Der seit dem 8. September 2005 beim Amtsgericht Berlin-Tiergarten laufende Prozeß gegen fünf Polizeibeamte wegen Mißhandlung eines Demonstranten endete am 24. Januar 2006 mit einem Freispruch. Der als Nebenkläger auftretende Palästinenser Khaled M. hatte bei dem Bush-Besuch in Berlin am 22. Mai 2002 mit der Flagge der palästinensischen Autonomiebehörde in der Hand friedlich am Straßenrand stehend für die Sache seines Volkes demonstrieren wollen und war daraufhin von deutschen Polizisten verprügelt worden. Der Prozeß begann also erst mehr als drei Jahre nach diesem Vorfall und dauerte dann noch einmal vier Monate. Die beschuldigten Beamten (s. Ossietzky 19, 20 und 22/05) blieben stumm wie die Fische. Ihre als Zeugen vernommenen Kollegen hatten bei dem Prügeleinsatz grundsätzlich gerade nicht hingesehen und konnten sich außerdem sowieso an nichts mehr erinnern. Besonders eindrucksvoll war die Aussage, einer der Beamten habe nichts sehen können, weil er gerade gestolpert und hingefallen sei. Eine andere Beamtin legte ernsthaft dar, auch sie habe den Einsatz nicht beobachten können, weil sie zu der Zeit damit beschäftigt gewesen sei, die zu Boden gefallene Fahnenstange aufzuheben. Dieser totale polizeiliche Wahrnehmungsverlust kontrastierte merkwürdig zu den Aussagen anderer Zeugen, die auch nach Jahren noch immer über die Brutalität des Polizeieinsatzes geschockt und beunruhigt waren. Unter dem Beifall der Verteidigung plädierte der zuständige Staatsanwalt nach Befragung von 26 Zeugen schließlich auf Freispruch. Es sei ein zu langer Zeitraum verstrichen; die sich widersprechenden Aussagen ergäben »kein klares Bild« von dem, was sich damals zugetragen habe. Die Wegnahme der palästinensischen Fahne durch die Polizei sei gerechtfertigt gewesen, da von dieser möglicherweise eine Gefährdung des US-Präsidenten hätte ausgehen können. Eine vollendete Körperverletzung könne den Beschuldigten nicht angelastet werden, da nicht beweisbar sei, wer von ihnen Khaled M. den Arm gebrochen habe. Dem widersprachen die Rechtsanwälte Wolfgang Kaleck und Eberhard Schultz, die den Nebenkläger vertraten: Von Khaled M. sei nie eine Gefahr ausgegangen – es habe sich um einen »rassistisch motivierten Angriff« und eine »gemeinschaftlich begangene körperliche Mißhandlung« gehandelt. Sie plädierten für eine »empfindliche Strafe«, überließen es aber dem Gericht, deren Höhe festzulegen. Doch das Gericht folgte dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Begründung: In der damaligen »höchsten Gefährdungsstufe« habe die Polizeiführung eine »offensive Einschreitstufe« angeordnet. Die Entscheidung zur Beschlagnahmung der palästinensischen Fahne sei daher gerechtfertigt gewesen. Souverän ignoriert wurde der Nachweis der Nebenklage, daß die beteiligten Beamten dabei grob gegen das Berliner Polizeigesetz verstoßen hätten. Belastende Zeugenaussagen stellte der Vorsitzende Richter generell als unglaubwürdig dar, entlastende Aussagen übernahm er als wahr. Abschließend befand er, die von einzelnen Zeugen beobachteten Schläge und Tritte rechtfertigten keine Verurteilung, da keiner der Zeugen einen der Beamten wiedererkannt habe. Außer den fünf Angeklagten seien noch mehr Polizisten vor Ort gewesen. Das Gericht thematisierte nicht, daß es mehrere bewaffnete und ausgebildete Polizeibeamte nicht fertiggebracht haben sollen, einen einzelnen, unbewaffneten, ihnen körperlich unterlegenen Mann ohne massive Gewaltanwendung festzusetzen. Die fünf Beamten dürfen ihren Dienst, von dem sie nie suspendiert waren, fortsetzen. Dank der unter Kollegen hochentwickelten Fähigkeit, sich gegenseitig die unschuldigste Tölpelhaftigkeit zu bescheinigen, errangen sie vor Gericht einen glatten Sieg. Darum, was auch immer geschehe: Wir dürfen nie das Vertrauen zu unserer Polizei verlieren. Und nimmermehr das Vertrauen zu unserer Justiz. Beide treten zuverlässig füreinander ein. Gerd Bedszent
Den Nazis freie Bahn»Eine rechtsextremistische Ideologie läßt sich auch nicht mit den Mitteln des Demonstrationsrechts legitimieren.« So hat es das nordrhein-westfälische Oberverwaltungsgericht in Münster einmal formuliert (Az OVG NRW 5 B B 585/01). Dieses Gericht verbot jüngst auch den für den 28. Januar in Dortmund geplanten Naziaufmarsch, zumal er sich ausdrücklich gegen den Paragraphen richten sollte, der die Volksverhetzung verbietet; zudem hatte sich ein notorischer antisemitischer Agitator als Versammlungsleiter gemeldet. Doch das Bundesverfassungsgericht fand nichts dabei und genehmigte den Aufmarsch. Nach dem Karlsruher Spruch vom 27. Januar (dem Auschwitz-Gedenktag) durfte dann am Tage darauf nicht nur in Dortmund, sondern auch in Lüneburg und Stuttgart für Volksverhetzung und ungehinderte Nazipropaganda demonstriert werden. Das Paradoxe wird normal: Antifaschisten wurden bestraft, weil sie am 9. November einen Kranz für die Opfer der Reichspogromnacht niederlegten und dabei unangemeldet durch öffentliches Gelände gingen. Zugleich durften Neonazis rufen: »Die schönsten Nächte sind die Nächte aus Kristall.« Sie durften auch gegen den Neubau einer Synagoge in Bochum aufmarschieren, erstmals seit 1945, wie sie stolz verkünden. Wer sich den Nazis in den Weg stellt, wird nach Paragraph 21 des Versammlungsgesetzes, der »Störungen« verbietet, bestraft. Die Behörden gehen auch nicht gegen die Veranstalter der neonazistischen Provokationen vor, die »freien nationalen Kameradschaften«, die allesamt verbotswürdige Nachfolgeorganisationen aufgelöster Nazí-Formationen darstellen. Diese »Kameradschaften« meldeten sich im vergangenen Jahr nach dem Mord an einem Punker in Dortmund mit einem Bekennerschreiben. Jetzt behaupten sie: »Dies ist unsere Stadt« und kündigen an, sie würden jeden »niederwerfen«, der sich ihnen in den Weg stellt. Über Behörden, die derartiges dulden, schrieb Kurt Tucholsky 1931: Ihr müßt sie lieb und nett behandeln, erschreckt sie nicht – sie sind so zart! Ihr müßt mit Palmen sie umwandeln, getreulich ihrer Eigenart! Wenn sie in ihren Sälen hetzen, sagt: » Ja und Amen – aber gern! Hier habt Ihr mich, schlagt mich in Fetzen!« Und prügeln sie, so lobt den Herrn. Denn Prügeln ist doch ihr Geschäft! Küßt die Faschisten, wo ihr sie trefft. Der Dortmunder Oberbürgermeister Gerhard Langemeyer hat den Bürgerinnen und Bürgern immer wieder geraten, den Nazis keine Chance zu geben. Und dann bekommen sie von der Landesregierung und dem Bundesverfassungsgericht jede Chance! Wie am 3. September 2005 in Dortmund, als sie säuselten: »Nie wieder Krieg...« Die Polizei schritt auch nicht ein, als der Naziredner ergänzte: »... nach unserm Sieg!« Nie wieder Krieg werde es heißen, wenn der »nationale Sozialismus« weltweit gesiegt habe. Der antisemitische Hetzredner unter dem Gejohle seiner Anhänger: »Jedem Volk seine Nation, sein Reich.« Und weiter: »Da dem auserwählten aller Völker, nach eigenem Bekunden, das Himmelreich gehört, brauchen wir uns darüber auch keinen Kopf machen.« Ich habe die Rede der Staatsanwaltschaft übergeben, die jedoch bekundete, man könne derlei »noch nicht« als Volksverhetzung bezeichnen und ahnden. Als ich den Vorgang ins Internet stellte, begannen die Neonazis auf ihren Websites eine Diskussion darüber, was gegen mich zu unternehmen sei. Und am Tag nach dem Auschwitz-Gedenktag demonstrierten sie nun dafür, den Volksverhetzungsparagraphen abzuschaffen. Sie wollen freie Bahn für noch mehr Gewalt, Antisemitismus, Rassismus und Kriegshetze. Und wie reagieren wir auf Behörden und Verfassungsrichter, die sich zu ihren Helfern machen? Wann müßte ziviler Ungehorsam beginnen? Ulrich Sander
Die niedersächsische Landeszeitung für die Lüneburger Heide veröffentlichte zum Auschwitz-Gedenktag einen informativen Bericht über Lüneburger Sinti unter dem Titel »Von Lüneburg nach Auschwitz«. Mitten hinein stellte ein offenbar besonders sensibler Umbruchredakteur eine Anzeige des e.on-Konzerns: »E.ON sorgt schon heute für das Gas von morgen.« V.B.
Das Kind des Konsuls aus AfrikaEin gleichermaßen berührender wie informativer Bildband erinnert an die Sängerin Fasia Jansen. Anhand eines Einzelschicksals gibt er ungewohnte Einblicke in die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts und korrigiert nicht wenige Klischees. Fasia kam 1929 als Tochter des liberianischen Konsuls in Hamburg und eines für seine Familie arbeitenden deutschen Kindermädchens zur Welt. Da die Ärzte das Klima Zentralafrikas für die Kleine als ungünstig und riskant ansahen, blieb die Mutter mit ihr in Hamburg, als Konsul Massaquoi wenig später in sein Land zurückkehrte. Die junge Frau konnte mit dem Kind nicht zu Hause wohnen, fand aber im Hinterhofviertel um den Röhrendamm ein Milieu, in dem die dunkelhäutige Fasia solidarisch aufgenommen wurde. Geschützt und stark gemacht wurde sie auch vom neuen Lebenspartner der Mutter. Fasias Jugend ist eines der wenigen, aber sicher wirklichkeitsnahen Zeugnisse dafür, daß es in großen Teilen der deutschen Arbeiterklasse damals solide antirassistische Überzeugungen und Haltungen gab. Es war der Staat, der ab 1933 Einschränkungen und Diskriminierungen verordnete und sogar einmal versuchte, das Mädchen mit angeblichen Impfungen zu euthanasieren, also zu ermorden. Weil Fasia von der ersten Spritze ein gefährliches Fieber bekam – das sich später zu einer nie mehr ausheilenden Herzkrankheit auswuchs –, verweigerte die Mutter weitere »Impfungen«. Fasia durfte nichts lernen und mußte sogar den Tanzkurs verlassen, der ihr eine Zeitlang die Illusion eines künftigen Berufs vermittelt hatte. Ihren Arbeitsdienst mußte sie in der Küche eines Außenlagers des KZ Neuengamme ableisten – eine traumatisierende Lebensphase, in der sie Grauenvolles aus nächster Nähe miterlebte und auch selbst Angst um ihr Leben haben mußte. Nach dem Krieg engagierte sie sich in Hamburg in der Freien Deutschen Jugend (FDJ) und in verschiedenen Laienkunstzirkeln, wo sie tanzte und musizierte. Für das bescheidene, aber doch immer selbstbewußter auftretende Mädchen war es ein großer Schritt, sich schließlich auch als Sängerin zu versuchen. Anfang der fünfziger Jahre kam sie ins Ruhrgebiet und profilierte sich dort als der authentische kulturelle Ausdruck sozialer Bewegungen: Sie erfand eine glaubhafte Form des deutschen Polit-Blues. Mit ihrer warmen, dunklen Stimme begleitete sie die Ostermärsche, die Kämpfe um den Erhalt der Kohlengruben ebenso wie die aufkommende Frauenbewegung mit neuen und auch mit den alten klassischen Arbeiterliedern aus Deutschland und der Welt. Fasia Jansen arbeitete mit Dieter Süverkrüp, Gerd Semmer, Franz-Josef Degenhardt, Peter Maiwald, Hannes Wader und mit verschiedenen Skiffle-Gruppen wie den Conrads. Das Leben dieser modernen Volkskünstlerin ist ein Ruhmesblatt der deutschen Arbeiterbewegung. Sie starb 1997. Fasia hat nicht mehr erfahren, daß ein Enkel des Konsuls, ihr Neffe Hans Jürgen Massaquoi, mit seiner deutschen Mutter ebenfalls in Hamburg gelebt und überlebt hatte. Er publizierte 1999 das sehr erfolgreiche Buch »Neger, Neger, Schornsteinfeger«, das Günther Schwarberg den Ossietzky -Lesern schon vorgestellt hat. Sabine Kebir
Marina Achenbach: »Fasia, geliebte Rebellin«, Asso-Verlag, 304 Seiten mit einer CD, 29.80
Standardwerk zur NS-Militärjustiz Manfred Messerschmidt, international renommierter Militärhistoriker und Ju-rist, von 1970 bis 1988 Leitender Histo-riker des Militärgeschichtlichen For-schungsamts in Freiburg, wird in diesem Jahr seinen 80. Geburtstag feiern kön-nen. Jetzt legt er eine umfassende Dar-stellung der Geschichte der Wehr-machtjustiz in der Zeit des Nationalso-zialismus vor. Man muß kein Hellseher sein, um vorherzusagen, daß sein Buch künftig als das Standardwerk über die NS-Militärjustiz gelten wird. In den ersten Jahrzehnten nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde das Bild, das man sich in der bundes-deutschen Öffentlichkeit von der Wehr-machtjustiz machte, maßgeblich von deren Repräsentanten geprägt, die jetzt wieder einflußreiche Positionen innehat-ten, darunter der spätere Ministerpräsi-dent von Baden-Württemberg, Hans Fil-binger. Der ehemalige Militärrichter Erich Schwinge, der auch Autor des meistbenutzten Kommentars zum Militärstrafgesetzbuch war, brachte es nach 1945 zum Rektor der Universität Mar-burg. Zusammen mit seinem – publizistisch ungemein regen – Kollegen Otto Peter Schweling prägte er lange Zeit ein positives Bild von den Militärrichtern in der NS-Zeit. Sie seien, so wollten sie glauben machen, auf Distanz zum Hit-ler-Regime gegangen und hätten sich immer an rechtsstaatliche Prinzipien gehalten. Erst der Fall Filbinger hat 1978 eine intensive und kritische Beschäftigung mit der NS-Militärjustiz angestoßen. Eine Frucht dieses neu erwachten Interesses stellte das Werk »Die Wehrmachtjustiz im Dienste des Nationalsozialis-mus. Zerstörung einer Legende« dar, das Manfred Messerschmidt und Fritz Wüll-ner 1987 veröffentlichten. Es räumte mit der beschönigenden Sicht Schwelings, Schwinges und anderer gründlich auf. Hernach wurden viele Forschungsarbei-ten publiziert, die besonders den Opfern Aufmerksamkeit schenkten, nämlich den sogenannten Wehrkraftzersetzern, den Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren und anderen widerständigen »kleinen Leuten in Uniform«. Messerschmidt geht nun zunächst auf die Vorgeschichte ein. Er zeigt, aus wel-chen Quellen sich die rechtspolitischen Grundsätze des nationalsozialistischen Denkens entwickelten. Besonders weist er auf die Bedeutung der Niederlage von 1918 hin, die – aus der Sicht der deutschen Nationalisten – auch etwas mit der mangelnden Härte der damaligen Militärjustiz zu tun hatte. Erst vor dem Hintergrund von Hitlers Vorwurf, die Militärjustiz habe im Weltkrieg 1914–1918 versagt, wird der vorauseilende Gehorsam der Militärrichter im Zweiten Weltkrieg, der sich auch in übermäßiger Härte zeigte, verständlich. Mit Hitlers Regierungsantritt wurde die Militärjustiz wieder eingeführt, die sich bald zu einem willigen Vollzugsorgan der NS-Ideologie entwickelte. Nun wurden alle tradierten rechtsstaatlichen Prinzipien bedeutungslos. Ersetzt wurden sie durch den Grundsatz, der Wille des Führers sei die maßgebliche Quelle des Rechts. Messerschmidt erklärt, daß der Militär-justiz dieser Weg nicht aufgezwungen werden mußte, sondern daß sie ihn eigenständig und in wachsender Nähe zur NS-Ideologie beschritt. Die 1939 erlassene »Kriegssonderstrafrechtsverordnung« gab den Juristen für die Kriegsjahre ein scharfes Machtmittel an die Hand, nicht zuletzt die Todesstrafe für die Schwachen, die Zersetzer und die Kampfunwilligen. In der Endphase des Krieges radikalisierte sich die Wehr-machtjustiz noch einmal und entfernte sich vollends von rechtsstaatlichen Grundsätzen. Die Bilanz ist nieder-schmetternd, weil im historischen wie im internationalen Vergleich einmalig: Mindestens 25.000 Wehrmachtsangehö-rige wurden zum Tode verurteilt, etwa 18.000 von ihnen hingerichtet. In einem Epilog beleuchtet der Autor die schleppende Aufarbeitung des Ju- stizunrechts. Erst 50 Jahre nach Kriegsende, am 16. November 1995, kam der Bundesgerichtshof, das in Sachen Strafgerichtsbarkeit höchste deutsche Gericht, zu einer klaren Aussage: »Terrorjustiz«. Richter, die in der NS-Militärjustiz tätig gewesen waren und danach in der Bundesrepublik ihre Laufbahn fortgesetzt hatten, bezeichnete der BGH als »Blutrichter«, die sich eigentlich »wegen Rechtsbeugung in Tateinheit mit Kapitalverbrechen hätten verantworten müssen«. Tatsächlich haben sich die Wehrmachtjuristen dieser Verantwortung jedoch erfolgreich entziehen können. Wolfram Wette
Manfred Messerschmidt: »Die Wehr-machtjustiz 1933–1945«, hg. vom Mili-tärgeschichtlichen Forschungsamt, Ver-lag Ferdinand Schöningh, 528 Seiten, 39,90
Heiße LuftIm Zusammenhang mit dem Iran ist gerade wieder von »Luftschlägen« die Rede. Mich wundert es, wie intensiv die wörtliche Übersetzung des englischen »air strike« in den letzten Jahren in die deutsche Sprache eingegangen ist – zunächst in die Sprache der Medien, die dann dafür sorgen, daß sich solche Begriffe in unseren Köpfen festsetzen. »Luftschlag« klingt für mich ähnlich wie »Lufthauch«, »Luftpumpe«, »Frischluft«, »Luftikus«, »Luftschloß« und gar nicht wie »Luftangriff« oder »Bombenangriff«. Wahrscheinlich ist genau diese Verharmlosung beabsichtigt. Der Begriff »Luftschlag« wirkt wie ein leichter Windstoß oder wie heiße Luft. Fast ir- real. Die zu erwartenden Opfer der »Luftschläge« im Iran dagegen werden sehr real sein. Stefan Hug
Kreuzberger NotizenDieser Artikel ist aus urheberrechtlichen Gründen nicht verfügbar.
Wer kennt Armenien?»Aus der Tiefe der Jahrhunderte ist dieses Buch zu uns gekommen. Wie ein Irrlicht ist es umhergeschweift...«, heißt es in der Erzählung »Das Buch der Blumen« von Derenik Demirtschjan. Geschichtliches und Phantastisches verbinden sich auch in den anderen neun Erzählungen dieser armenischen Anthologie. Neben dem Krieg gegen die Okkupanten aus Nazi-Deutschland ist vor allem der türkische Genozid an den Armeniern gegenwärtig – auch in Erzählungen ganz anderer Thematik. Welcher Berliner käme darauf, daß 1945 für einen armenischen Soldaten die Berliner Hardenbergstraße das eigentliche Kriegsziel war? Dort hatte 1921 ein armenischer Student einen Hauptverantwortlichen für den Völkermord erschossen, das Berliner Landgericht sprach den Studenten frei. Aber die Autoren wollen nicht hauptsächlich Historie schildern. Zum Beispiel Hrant Matewosjan in »Der Fremdling«. Geht es da um einen Wettkampf zweier Schülergruppen – vergoldet von erwachender Erotik der Jungen angesichts der Mädchen mit ihren »vielfarbigen Augen«? Oder um das Verhältnis zu Fremden, zu körperlich Unterlegenen? Der Ich-Erzähler nennt die 25 Jahre zurückliegenden Vorgänge »die Geschichte meines kranken Gewissens«. Und obwohl der ferne Krieg in den psychischen Vorgängen präsent ist und die Erzählung – wie bei Matewosjan stets – im Geburtsdorf des Autors spielt, wird sie auch heute und außerhalb Armeniens das Gewissen jedes aufmerksamen Lesers berühren. Adelheid Latchinian, Verfasserin des informativen Nachworts, hat das Buch beim NORA-Verlag in Berlin herausgegeben; das heißt auf eigene Kosten. Sie hat also für die vor über 15 Jahren noch bei Volk und Welt in der DDR konzipierte Ausgabe in der BRD keinen herkömmlichen Verlag gefunden. Indirekt liefert in der Anthologie William Saroyan einen Kommentar dazu. In seiner von 1934 datierten Geschichte »Siebzigtausend Assyrer« schreibt er: »Warum baue ich keine Handlungen zusammen und schreibe keine schönen Liebesgeschichten, die man verfilmen kann? Warum versuche ich nicht, dem amerikanischen Publikum zu gefallen?« »Eine Zensur findet nicht statt«, heißt es im Grundgesetz der BRD. Während aber DDR-Zensur-Erforscher nicht arbeitslos werden, scheitern unzählige Autoren, Herausgeber, Übersetzer bemerkenswerter Werke bei der Suche nach einem Verlag. Gewiß bedeutet das nicht, daß es keine ambitionierten Verleger gäbe. Wenn man solche Ablehnungen bekommt wie die folgende (aus einem Verleger-Brief), ist es ein gesellschaftliches Problem: »Die Erfahrungen, die wir mit der Herausgabe derartiger Literatur in den letzten Jahren sammeln mußten, waren niederschmetternd.« Natürlich, wenn Konzerne Riesengewinne machen, Manager etliche Millionen Euro Jahresgehalt beziehen, während Millionen anderen BRD-Bürgern Auskommen und Lebensinhalt geraubt werden, dann geht das zu Lasten von Bildung, Kultur und anderen Werten. Die größeren Zusammenhänge – auch einer global-medialen Volksverdummungspolitik – konnte man sinnfällig am 3. Januar 2006 bei arte in einer Art real-historischen Neu-Insze-nierung von Bertolt Brechts »Dreigroschenroman« sehen (»Die Oligarchen«). Wie weit das geht, demonstrierte ein erster Rezensent des vorliegenden Erzählungsbandes, der im Sinne des Zeitgeistes (DDR-Delegitimierung) schrieb: »Armenien! Wer kennt schon das kleine transkaukasische Land am Rande Europas, über das zu DDR-Zeiten allenfalls »Sender Jerewan«-Witze kursierten« (Roland Müller, Neues Deutschland vom 26./27.11.05). Gäbe es doch in der BRD verlegerische Möglichkeiten für so systematische Aufmerksamkeit gegenüber der armenischen Literatur wie einst in der DDR, wo allein bei »Volk und Welt« zehn Einzelausgaben erschienen; die vorliegende Anthologie war als elfte geplant. Noch ein Wort zum Verlag: Bei NORA kann man Bücher herausgeben, wenn sich herkömmliche Möglichkeiten nicht finden – solche Freiheit muß man nur selbst bezahlen können. Leonhard Kossuth
Adelheid Latchinian: »Sehnsucht ohne Ende«, Armenische Erzählungen, NORA-Verlag Berlin, 172 Seiten, 14.90
Und noch ein AbrißAn der Mittelstraße in Berlin-Pankow ist das Nordendkrankenhaus abgerissen worden. Carl von Ossietzky lebte dort als Schwerkranker, seit ihn die Nazis aus dem KZ Esterwegen entlassen hatten; gepflegt wurde er von seiner Frau und dem jüdischen Arzt Wilhelm Dosquet; im Mai 1938 erlag er seinem Leiden. In den letzten Jahren stand das Gebäude leer. Es hätte sich als Gedenkstätte für den Friedensnobelpreisträger von 1935 geeignet. In Deutschland gibt es Gedenkstätten für viele tausende Personen der Geschichte. Für Ossietzky nicht. E.S.
Frühstarter»Es ist drei Tage nach dem berühmt-berüchtigten 17. Juni 1953, da beginnt im sächsischen Grimma eine der erstaunlichsten Schauspielerkarrieren Deutschlands. An diesem 20. Juni nämlich wird Ulrich Mühe geboren…« So hebt Jürgen Otten in der jüngsten Ausgabe des Berliner-Philharmoniker-Magazins zur Ulrich-Mühe-Legende an und bescheinigt damit dem zur Zeit vor allem in seiner Fernsehrolle als Kriminalpathologe bekannten Schauspieler einen beträchtlichen Vorsprung vor einem gewissen Jesus von Nazareth. Der wurde zwar schon als Baby angebetet – was von Mühe nicht bekannt ist –, seine Darsteller-Karriere jedoch begann erst etliche Lebensjahre später, als er im Tempel von Jerusalem mit den Pharisäern disputierte. Unsere Zeit ist eben schnellebiger. Sigurd Schulze
Press-KohlDie Deutsche Bahn lockt Kunden mit diversen Publikationen, darunter der Zeitschrift punkt 3 . Darin wurden kürzlich die »Aktuellen Angebote« mit der verlockenden Frage eingeleitet: »Wollten Sie schon immer lernen, richtig am Stock zu laufen?« Nun, welcher Bahnkunde wollte dies dank seiner einschlägigen Erfahrungen in Zügen und auf Bahnsteigen nicht schon immer lernen? Ein solider Spazierstock kann eine zuverlässigere Reisehilfe sein als ein defekter ICC. Übungen mit dem Gerät offeriert das Blatt in Luckenwalde beim »Nordic Walking«-Schnupperkurs mit zwei Übernachtungen, einmal Halbpension, einer Begrüßung mit Wellness-Tee für 145 Euro pro Nase. Der Tourismus-Service Templin bietet ebenda das gleiche Arrangement für nur 134 Euro. Dort ist aus dem »Nordic Walking «-Schnupperkurs allerdings ein »Nordic Working«- Kurs geworden. In Templin kann man zusätzlich etwas Bundeskanzlerinnen-Ambiente schnuppern. * Die Northeimer Neuesten Nachrichten meldeten einen aufsehenerregenden »Knochenfund. Vier Jahre nach den Terroranschlägen von New York sind auf dem Dach des ehemaligen Gebäudes der Deutschen Bank Knochenfragmente entdeckt worden. Die zehn mal fünf Zentimeter großen Knochenfragmente wurden der New Yorker Rechtsmedizin übergeben.« Daraus kann man schließen, daß die Knochenfragmente (10 x 5 cm) auf dem Dach des Gebäudes der Deutschen Bank in N.Y. und nicht auf dem Dach des Hauses der Northeimer Neuesten Nachrichten gefunden wurden. Der Zusammenhang zwischen dem Knochenfund und den Terroranschlägen in N.Y. dürfte sich herausstellen, wenn Herr und Frau Steinmeier oder die CIA oder alle drei zusammen herausgefunden haben, weshalb die Reste der Gebeine ausgerechnet 10 x 5 Zentimeter groß sind. Vergleiche hierzu die Grabinschrift: »Hier liegen meine Gebeine. Ich wollt‘, es wären deine.« Felix Mantel
Erschienen in Ossietzky 3/2006 |
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