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In Sevilla kündet die Giralda, das in den Glockenturm der drittgrößten Kathetrale der Welt verwandelte Minarett der früheren Moschee, von einer gewissen Toleranz und dem praktischen Sinn der spanischen Könige und des damaligen katholischen Klerus. Die Reconquistadoren Ostdeutschlands verhalten sich anders. Sie schleifen Bauwerke des wiedereroberten Landes. Wie müssen sie die untergegangene DDR hassen, daß sie selbst vor dem Palast der Republik nicht haltmachen und mit seinem Abriß demonstrieren wollen, wie sie insgesamt mit dem vereinnahmten Staat und seinen Bürgern umgehen. Sie lassen sich offenkundig auch in diesem Fall von dem Geist leiten, der den Sozialdemokraten und späteren Reichspräsidenten Friedrich Ebert 1918 gegenüber Prinz Max von Baden, dem letzten Kanzler des Hohenzollernreiches, ausrufen ließ: »Ich hasse die Revolution wie die Sünde.« Aber vielleicht ist ihr blindwütiges Handeln gegen den unschuldigen Palast auch Ausdruck einer unbewußten und vorerst leider noch unnötigen Angst vor dieser Sünde. Wie dem auch sei: Der Palast wird dem Erdboden gleichgemacht. An seiner Stelle will man eine Wiese anlegen, auf der dereinst ein »Humboldt-Forum« mit den barocken Fassaden des Stadtschlosses der Hohenzollern errichtet werden soll. Laut Bundesbauminister Tiefensee könnte es »um 2018/2020« eröffnet werden. Die Palast-Abreißer haben einen langen Weg zurückgelegt: von der auf Weisung der Kohl-Regierung erfolgten grotesken panikartigen Flucht der Noch-DDR-Volkskammer im April 1990 über die planmäßige Verwandlung des Bauwerkes in einen asbestsanierten Rohbau, der noch immer einen immensen Wert darstellt, bis zum Beschluß des Bundestages über den vollständigen Abriß, über den sich nun viele Hohlköpfe freuen. Nichts konnte die Gebäudestürmer aufhalten. Weder die zahllosen Pro-Palast-Erklärungen namhafter deutscher und ausländischer Architekturhistoriker und weltbekannter Künstler noch das am Vorabend der entscheidenden Bundestagssitzung vom erst vor wenigen Monaten gegründeten Ost-West-»Bündnis für den Palast« rasch noch einmal verbreitete Argument, wonach »der Wiederaufbau des Schlosses... mit geschätzten 1,2 Milliarden Euro ungefähr 10 mal so teuer (ist) wie ein Umbau des Palastes der Republik mit neuer Fassade«. Weder die Tatsache, daß allein in der Zeit der Zwischennutzung des verwüsteten Bauwerkes bei Diskussionen, Ausstellungen und Konzerten 650.000 Besucher gezählt wurden, noch der Umstand, daß sich 95 Prozent der Ostdeutschen gegen einen Wiederaufbau des Kaiser-Schlosses und mehr als 60 Prozent gegen den Palast-Abriß aussprachen. Gelegentlich war zu hören, daß die Mehrheit des Bundestages die Abrißbeschlüsse aus den gleichen engstirnigen ideologischen Gründen faßte, mit denen seinerzeit Ulbricht das Schloß wegsprengen ließ. Der Vergleich hinkt mehrfach. In der DDR wurde nicht das Berliner Schloß, sondern seine Ruine, die der von Berlin ausgegangene Zweite Weltkrieg hinterlassen hatte, gesprengt. In der Bundesrepublik wird ein Gebäude zerstört, das vorher zielstrebig zur Ruine gemacht wurde. Für einen Wiederaufbau des Hohenzollernschlosses hatte die DDR in ihren ersten Jahren kein Geld, sie brauchte jede Mark, um ihren Bürgern Arbeit, Brot und Wohnraum zu sichern. Heute vergräbt die Bundesrepublik das Geld in eine Wiese im Herzen der Hauptstadt, statt die um sich greifende soziale Verelendung zu stoppen. So betrachtet, ist dem Präsidenten der Bundesarchitektenkammer, Arno Sighart, der in diesen Tagen von »einem Armutsbeschluß für die deutsche Baukultur« sprach, im doppelten Sinne zuzustimmen. Von der geistigen Armut der Palast-Abreißer zeugt die Idee der Berliner SPD-Stadtentwicklungssenatorin Junge-Reyer (SPD), auf dem Schloßplatz eine Aussichtsplattform zu errichten, von der aus der Abriß in allen seinen Etappen, also das öffentliche Sezieren eines Gebäudeleichnams, bestens verfolgt werden könne. Den Aussichtspunkt soll ein provisorisches Informationszentrum mit dem Namen »Humboldt-Box« krönen. Die Namenswahl ist gelungen. Alexander von Humboldt nannte die Vernichtung von Monumenten und Bauwerken durch fremde Eroberer »Barbarei und Intoleranz«.
Erschienen in Ossietzky 3/2006 |
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