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Adorno soll erklärt haben, das Buch dokumentiere vor allem die Zerstörung von Lukács' eigener Vernunft. Worauf der wiederum mit dem Diktum vom »Hotel Abgrund«, in dem sich die Frankfurter Schule aufs komfortabelste einquartiert habe, antwortete. An dieser Konstellation änderte sich in den folgenden Jahrzehnten wenig, und zwar in beiden deutschen Staaten. Besonders schlimm stand es aus der Sicht der naserümpfenden Deuter um das Nachwort des Buches. Es hat den Titel »Über den Irrationalismus der Nachkriegszeit« und enthält Sätze wie, »daß das Ende des Krieges ... die Vorbereitung eines neuen Krieges, gegen die Sowjetunion, bedeutet, daß die ideologische Bearbeitung der Massen für diesen Krieg ein Zentralproblem der imperialistischen Welt bildet«. Lukács vertritt Thesen, die gegenwärtig gerade wieder als »Anti-amerikanismus« unter das Verdikt mindestens politischer Geschmacklosigkeit gestellt sind: daß nämlich nach dem Zweiten Weltkrieg »die Vereinigten Staaten als führende Macht der imperialistischen Reaktion immer stärker in Erscheinung traten und in dieser Hinsicht an die Stelle Deutschlands getreten sind«. Über die neuen Züge der Periode nach 1945 heißt es: »Die Koalition gegen den Faschismus zerfällt sehr rasch, und der ›Kreuzzug‹ gegen den Kommunismus, das führende Leitmotiv der Hitlerpropaganda, wird immer energischer von ›demokratischer‹ Seite aufgenommen. Natürlich ändert sich dadurch die Bewegungsrichtung (und damit Inhalt und Struktur) solcher ›demokratischer‹ Anschauungen. Sie haben sich im Weltkrieg gegen den Faschismus gerichtet und konnten sich deshalb zuweilen mit Recht als Weiterführungen der längst vergangenen Blütezeit der bürgerlichen Demokratie empfinden – oder sich wenigstens so gebärden. Infolge der großen Anziehungskraft dieser endlich vorwärts weisenden Richtung wird auch nach der vollständigen Umkehr der Versuch gemacht, den Anschein einer solchen Kontinuität zu bewahren: den Kampf gegen den ›Totalitarismus‹ zu richten, wobei man jetzt Faschismus und Kommunismus auf diesen gemeinsamen Nenner bringt.« Die demagogischen Möglichkeiten eines solchen Täuschungsmanövers nutzt der Westen bis heute: Nach dem Erfolg im Kampf gegen die sozialistischen Länder der Sowjetunion wurden »demokratische Revolutionen« zu einem Exportartikel, mit dem eine engere militärische Einkreisung Rußlands als früher erreicht wurde. Weniger erfolgreich war die Ware bislang in der »Dritten Welt«, was so lange keine Rolle spielt, als es nicht »Europas Tankstelle« (Michael Naumann) und die der USA im Mittleren Osten betrifft. Auch die Kriege um billiges Öl benötigen eine »ideologische Bearbeitung der Massen«. Sie scheint nahtlos an den von Lukács analysierten »Irrationalismus der Nachkriegszeit« anzuschließen. Wer wie der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder deutsche Kriegseinsätze im Namen der »Zivilisation« befiehlt und befehligt, folgt ihm ebenso wie George W. Bush, der die »Freiheit« nicht als ein Geschenk Amerikas, sondern als ein Geschenk des Schöpfers an die Welt betrachtet, das die USA überreichen. Es gehört zur neueren sozialen und nationalen Demagogie, die durchaus mit der des deutschen Faschismus vergleichbar ist, daß die soziale Frage – national, regional und weltweit – aus dem Massenbewußtsein eskamotiert wird. Das schafft wie ehedem Platz für Chauvinismus, imperialistische Aggressivität, Unterdrückung und Vernichtung von Völkern. Beobachten läßt sich das an den Propagandaschüben gegen den Iran. Daran wirken der Boulevard – »der Irre von Teheran«, »Wiedergänger Hitlers«, »Iranische Raketen erreichen Deutschland« ( Bild am 15. und 16. Dezember 2005) – und ein breites Spektrum »demokratischer« Ideologen mit, die nach »rationalen« Gründen für einen Krieg suchen. Die lassen sich immer finden: Der Islam ist von Natur aus totalitär, die Mullahs wollen Israel vernichten (das über Atomwaffen verfügt), das Regime ist fundamentalistisch, der Iran muß demokratisiert werden et cetera. Die Leichtigkeit, mit der die Bellizisten des Westens in den letzten 16 Jahren Kriegsanlässe erfanden, herbeiredeten oder -produzierten, ließ sich in Jugoslawien exemplarisch studieren. Es ist heute Protektorat von NATO und EU. Galt der US-Krieg gegen den Irak 2003 hierzulande noch als Abenteuer, als »irrational«, nimmt EU-Europa jetzt Kurs darauf, am nächsten Krieg als gleichwertiger Partner teilzuhaben. Dazu ist die völlige Perhorreszierung eines Regimes nötig, das nicht in Vietnam, Grenada, El Salvador, Nikaragua, Jugoslawien, Libyen, Jemen, Sudan, Afghanistan bombte und trotz seines brutalen Umgangs mit jeder Opposition offenbar Rückhalt in der eigenen Bevölkerung genießt. Nicht nur das Kriegsziel, das ist seinen Ideologen bewußt, ist irrational, sondern auch das Mittel, der Krieg selbst, so technisch er sein mag. Lord George Weidenfeld, Verleger und einflußreicher Politikberater (zum Beispiel über die Bertelsmann-Stiftung), wandte sich am 25. Januar in Springers Welt gegen jede Form von Kompromissen mit dem iranischen Regime und formulierte: »Das Risiko einer militärischen Intervention könnte zwar Opfer in Größenordnungen des Ersten und Zweiten Weltkrieges mit sich bringen, doch der Triumph des islamistischen Terrors würde an Gräßlichkeit alles überbieten, was uns die Weltgeschichte vermittelte.« Es hat Irrationalismus gegeben, aber es gibt keinen mehr? Der Lord hat mit aller Rationalität dargelegt, wie sich Irrationalismus vergangener Zeiten übergipfeln läßt. Weiteres kann man bei Lukács nachlesen.
Erschienen in Ossietzky 3/2006 |
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