Erbauliches

Werner René Schwab

Diejenigen Mitbürger, die dank ihrer gehobenen Position in der Gesellschaft von den Medien besonders ernst genommen und häufig zitiert werden, zeichnen sich bekanntlich durch besondere Klugheit, Ehrlichkeit, Menschenfreundlichkeit und Formulierungskunst aus. Hier einige Beispiele aus den ersten drei Monaten der Ära Angela Merkel – alle mit gebührendem Respekt zu lesen.

November

Telekom-Chef Kai-Uwe Riecke zu dem Plan, in den nächsten drei Jahren von 170.000 Stellen 32.000 abzubauen: »Wir können den Kunden mit weniger Beschäftigten einen besseren Service bieten.«

Angela Merkel in ihrer Regierungserklärung: »Wir wollen durch eine neue Gerechtigkeit weniger Mißbrauch in der Sozialpolitik.«

Professor Gertrud Höhler im Südwestrundfunk: »Die Reichensteuer ist eine Stigmatisierung der Wohlhabenden.«

Norbert Walter, Chefvolkswirt der Deutschen Bank: »Ich frage mich immer, warum man junge Menschen, die Familie haben, mit sechs Wochen Urlaub beglückt, wenn sie nicht mal das Geld haben für eine Woche.«

Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU): »Mein einziges Hobby, was ich wirklich habe, ist der Fußball.«

Dezember

Bischof Ludwig Gerhard Müller, Regensburg, löst den von den Gläubigen gewählten Diözesanrat auf, ersetzt ihn durch einen Diözesanpastoralrat, dessen Mitglieder von ihm ernannt werden, und nennt das dann »Modernisierung«.

Gloria Fürstin von Thurn und Taxis findet für die Massenproteste des niederen katholischen Kirchenvolks gegen diese Maßnahme ihres Bischofs den Begriff »Zwergerl-Aufstand«.

Bundespräsident Horst Köhler: »Heute müssen Arbeitgeber und Arbeitnehmer begreifen, daß sie im Betrieb angesichts des weltweiten Wettbewerbs im gleichen Boot sitzen.«

Fritz Kuhn, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bundestag: »Die Gesundheitsreform muß natürlich Solidarität, aber vor allem mehr Wettbewerb bringen.«

Januar

Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU): »Wo Lohnzurückhaltung nötig ist, um Arbeitsplätze zu sichern und im Wettbewerb zu bestehen, ist das bei den kommenden Tarifverhandlungen richtig und wichtig.«

Dieter Hundt, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände: »Wir leisten uns in Deutschland den Luxus, daß wir den Sektor der niedrig bezahlten Tätigkeiten zu wenig nutzen.«

Heribert Rech (CDU), Baden-Württembergs Innenminister, läßt Einbürgerungswillige von seinen Beamten unter anderem mit diesen Fragen verhören: »Was halten Sie davon, wenn ein Mann in Deutschland mit zwei Frauen gleichzeitig verheiratet ist?« und: »Darf der Mann seine ungehorsame Frau schlagen?« Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) lobt ihn dafür: »Der Gesprächs-Leitfaden ist den Schweiß des Edlen wert.«

Andreas Köhler, Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung: »Ältere sollten für ihre Krankenversicherung mehr zahlen als Jüngere.« Sie würden ja auch öfter krank.

Matthias Platzeck, Vorsitzender der SPD: »Wir müssen unsere Politik beenden, die sozialnostalgisch an uneinlösbar gewordenen Sicherheitsversprechungen von vorgestern festhielt.«

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Ja, es wirkt immer wieder erbaulich, den Medien entnehmen zu können, wie tonangebende Frauen und Männer dieses Landes denken und/oder reden.

Erschienen in Ossietzky 3/2006