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Im Gegenteil, die Union hat im Bundesrat alle von Schily kommenden Gesetzesverschärfungen abgesegnet. Brigitte Zypries (SPD) nahm die traditionelle Rolle der Bundesjustizministerin als grundrechtsorientierter Widerpart des sicherheitsbewußten Innenministers überhaupt nicht wahr. Folglich konnte sich eine konservativ geprägte Innenpolitik nach dem Muster der Union durchsetzen, vorformuliert und exekutiert von einem Sozialdemokraten. Nun haben wir auch formell die große Koalition. Es liegt in der Logik der bisherigen Ereignisse, daß sich an der Grundlinie der Innen- und Rechtspolitik nichts ändern wird. Der Koalitionsvertrag vom 11. November 2005 läßt jedenfalls an keiner Stelle erkennen, daß die Bürgerrechte wieder den ihnen zukommenden Rang bekommen werden. Es bleibt also die Aufgabe des Parlaments, klare Gegenpositionen zu formulieren und sich vor allem der deutlich sichtbaren Tendenz entgegenzustellen, den (noch akzeptablen) Präventivstaat in einen (verfassungswidrigen) Überwachungsstaat zu verwandeln. Die Formulierung im Koalitionsvertrag, die Werte Freiheit und Sicherheit müßten »immer wieder neu – je nach den sich ändernden äußeren Bedingungen – ins Gleichgewicht gebracht werden«, weckt Argwohn. Was heißt denn das: »je nach sich ändernden äußeren Bedingungen«? Ist dies der Abschied von der unveräußerlichen Geltung elementarer Grund- und Menschenrechte? Hier deutet sich eine gefährliche Relativierung des Grundrechtsverständnisses an. Zu den umstrittenen Einzelmaßnahmen, auf die sich CDU/CSU und SPD geeinigt haben, zählt die sogenannte Kronzeugenregelung, die wieder eingeführt werden soll. Hier wird die Relativierung des Rechtsbewußtseins konkret: Ein Beschuldigter, der sich als Zeuge gegen andere Beschuldigte zur Verfügung stellt, erhält eine erhebliche Strafmilderung oder völligen Straferlaß, obwohl er selbst eine schwere Straftat begangen hat. Dadurch wird das Prinzip gleichmäßiger, kalkulierbarer und der Schuld angemessener Bestrafung verwischt. Viele werden noch den Fall Charles Manson aus Kalifornien im Gedächtnis haben, auch wenn er schon lange Zeit zurückliegt. Manson ermordete auf grausame Weise gemeinsam mit vier Mittäterinnen die schwangere Schauspielerin Sharon Tate, Ehefrau des berühmten Filmregisseurs Roman Polanski. Eine der jungen Frauen sagte als Kronzeugin gegen Manson und die anderen Angeklagten aus und kam frei, obwohl sie sich in gleicher Weise des Mordes schuldig gemacht hatte. Manson und den anderen Mittäterinnen drohte die Todesstrafe; sie wurden schließlich zu lebenslanger Haft verurteilt. Im anglo-amerikanischen Rechtskreis hat »King's evidence« (daher die Bezeichnung »Kronzeuge«) Tradition. Unserem Rechtsempfinden widerstrebt dieses »bargaining«, dieses Geschäft mit der Gerechtigkeit. Allerdings kennt auch das deutsche Strafrecht seit langem in § 46 des Strafgesetzbuches das Kriterium, daß »Verhalten nach der Tat« sich strafmildernd auswirken kann, sprich, daß ein Geständnis zu einem »Strafrabatt« führt, zumal dann, wenn daraus weitere Erkenntnisse für die Justiz gewonnen werden. Dennoch argumentieren auch Strafrechtskoryphäen wie der Münchner emeritierte Professor Claus Roxin, Verfasser diverser Standardwerke, gegen eine Kronzeugenregelung: Die Verführungskraft eines erheblichen Straferlasses sei so stark, daß Straftäter zu falscher Beschuldigung anderer Angeklagter geradezu eingeladen würden, um sich selbst einen Vorteil zu verschaffen. Dieses Argument kann ich aus meiner eigenen, freilich schon 25 Jahre zurückliegenden Praxis als Staatsanwalt nur unterstreichen. Ich hatte ein Verfahren gegen einen Beschuldigten zu führen, dem Heroinhandel zur Last gelegt wurde. Die Beweislage war erdrückend. Der Beschuldigte, wohl wissend, daß es im Betäubungsmittelrecht schon damals (wie auch heute) eine Art Kronzeugenregelung gab, machte von sich aus eine Aussage mit dem offenkundigen und verständlichen Ziel, die zu erwartende hohe Freiheitsstrafe zu reduzieren. Er nannte viele andere Personen, die ebenfalls Rauschgiftgeschäfte machen würden. Die Polizei ging diesen Hinweisen nach; sie erwiesen sich samt und sonders als frei erfunden. Nun beschwerte sich der selbsternannte »Kronzeuge« heftig darüber, daß trotz seiner Hinweise nicht intensiv genug gegen die von ihm angeschuldigten Dritten ermittelt worden sei. Eine solche Nachlässigkeit der Polizei dürfe nicht zu seinen Lasten gehen. Er habe jedenfalls ein Recht auf Strafnachlaß. Das Beispiel zeigt, auf welches Glatteis sich der Staat begibt, der sich auf solche Handelsgeschäfte einläßt. Noch schlimmer liegt der Fall aber, wenn aufgrund falscher Angaben eines Kronzeugen ein Unschuldiger verurteilt wird. Deshalb fordert die FDP, daß, sollten CDU/CSU und SPD wirklich eine Kronzeugenregelung durchsetzen, zumindest ein Grundsatz festgeschrieben wird: Es darf keine Verurteilung geben, die ausschließlich auf der Aussage eines Kronzeugen beruht. Selbst wenn man eine solche Sicherung einbaut, bleibt das ungute Gefühl, daß der Staat mit einer Kronzeugenregelung den Boden der Klarheit und Gerechtigkeit verläßt und einzelne Menschen, die ohnehin als Beschuldigte in einer psychischen Ausnahmesituation sind, gegen andere ausspielt. Es mag sein, daß man dadurch zur Aufklärung oder Verhütung von Straftaten kommt. Wer möchte gegen dieses Ziel etwas einwenden? Aber der Preis, den der Rechtsstaat zu zahlen hat, ist hoch.
Erschienen in Ossietzky 24/2005 |
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