Ein Comeback?

von Walter Kaufmann

Oder war er nie fort, dieser Ekkehard Schall aus den legendären Brecht-Aufführungen des Berliner Ensembles? Sollten Sie ihn in Ödön von Horvàths "Ein Kind unserer Zeit" zwischen dem 19. und 28. Dezember im Theater 89 in der Berliner Torstraße verpaßt haben, rate ich Ihnen, die Intendanz um Wiederholungen im neuen Jahr anzugehen (Telefon 030 -28 24 656). Ein Bühnenerlebnis! Wie Schall "Ich bin Soldat" spricht, "und ich bin gerne Soldat... und freut es mich, in Reih und Glied zu stehen. Jetzt hat mein Dasein plötzlich wieder Sinn!", das umreißt ein Leben, zeigt die Verzweiflung eines jungen Mannes nach Jahren ohne Arbeit, wirft ein Schlaglicht auf seine Gegenwart. Schall schafft das - und hält die Spannung nahezu zwei Stunden lang. Eine Glanzleistung. Dieses Sich-Besinnen auf die Kindheit, auf Streit mit dem Vater, auf Diebstähle aus Not, auf Gejagtwerden und Entkommen, auf Vagabundieren in den Vorstädten, bis - endlich, endlich! - das ein Ende hat, weil er jetzt Soldat ist, Soldat unter Soldaten, Soldat im Krieg. Und all die Frauen, die immer unerreichbar waren, auch das Mädchen an der Kasse im Vergnügungspark, die Anna. Ekkehard Schall, graubärtig, fast kahlköpfig, verwandelt sich in einen Stadtstreicher von zwanzig, einen jungen Soldaten, einen Sehnsüchtigen, einen zögerlichen Liebhaber der Witwe des einstigen Hauptmanns. Und scheint sein Gedächtnis beim Stehen, beim Gehen, beim Sichhinsetzen auf eine Parkbank zu strapazieren - just jetzt, in diesem Augenblick: Er spricht mit den Händen, den Augen, hebt die Stimme, senkt die Stimme, bleibt sparsam mit den Mitteln und immer genau.

Wo war dieser Mime bloß in all den Jahren? Jetzt ist er wieder da, und wer ihn nicht erlebt hat, der setze der Intendanz zu.

Erschienen in Ossietzky 1/2004