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Im Rahmen des Festivals, das den merkwürdigen Titel "Cyborgs against the Empire" trägt, treten Gruppen aus dem Nahen und Fernen Osten, aber auch aus Europa auf. Der Festival-Leiter Hidenaga Otori schreibt, daß der kulturelle Austausch mit "einem Kolonisationsprozeß" einhergehe und daß in vielen Regionen "diese Kulturen über lange Zeiträume hinweg gezwungen wurden, die Invasion und Herrschaft anderer zu akzeptieren". Die "Cyborgs" seien Menschen, die als kolonisiertes Volk kulturelle Vorherrschaft erfahren haben. Der Kaspar-Hauser-Stoff zeigt diesen Prozeß am Beispiel Sprache. Der indonesische Kaspar, ein halbnackter Halbwilder, affenähnlich, lebt nicht im Dschungel, sondern eingesperrt in einem Lager, von elektrisch geladenem Stacheldraht umzäunt. Er spricht nicht, erkundet die Welt durch Tasten, ist den Dingen ausgeliefert. Und der Sprache, dem Gebrüll der Bewacher, die auf der Videoleinwand im Hintergrund geisterhaft eingeblendet werden. Kaspar hat seine Sprache verloren oder verlernt - oder ist sie ihm verboten? Er verständigt sich mit den anderen sechs Kaspars, die, kahlgeschoren, ihm zum Verwechseln ähnlich sehen, durch intensive Mimik und durch unartikulierte Laute. Lebende Natur ist ersetzt durch Metall. Gerüste. Ratternde Stühle auf Rollen. Und Abfall: Büchsen. Folter durch Lärm. Kaspar (bewundernswert Tony Broer) findet einen Rhythmus für sich, Töne wie Gesang. Und er lernt, kopiert die schreienden Militärs ohne Gesicht, ihre Un-Sprache. Zieht sich eine Tarnjacke an. In einer Schubkarre: Elektronikmüll, der piept. Kaspar versucht zu lesen, stockend: "Made in USA". Ein blinkendes Schrott-Gerät hängt ihm am Hals, läßt sich nicht abreißen, wie die Krone aus Stacheldraht auf dem Kopf. Er lernt durch Nachmachen. "Amerika, ratlos", stottert er hervor, "überall Krieg - Krieg?" Er paßt sich an, um zu überleben. Ruft in das unaufhörliche Piepen hinein, in Englisch (nicht in Bahasa, seiner neuen Muttersprache): "I want to learn, I want to speak, but I am not a terrorist." Schwenkt eine schwarze Fahne. Und dann - zur Tarnung? - stammelt er: "I am a goat and a monkey." Flugzeuge und Feuer auf dem Video und reale Papierflieger ins Publikum. Ein spielerischer Einfall des Regisseurs Rachman Sabur, den das Hamburger Abendblatt ihm nicht verzeihen kann. Unser Geschmack - unser Geschäft - sind Flieger, nicht aus Papier, sondern aus Fleisch und Blut: Leichtmetall. Begonnen hatte das Festival mit der "Arts Fission Company" aus Singapur, die ihre "Shadowhouses" vorstellte. Geleitet von der Choreographin Angela Liong zeigen fünf Tänzerinnen und zwei Tänzer Reaktionen auf den 11. September 2001. Zwischen zerbrochenen weißen Mauern, die nicht wie Hochhäuser, eher wie Papier wirken, versuchen die Tänzerinnen wieder aufzubauen, was zerstört wurde, etwas wieder herzustellen durch die tägliche Arbeit, das Immergleiche. Tragen ein zartes Gebilde herein, einen filigranen Sarg aus Draht, klopfen den Boden ab, wie um sich zu vergewissern, daß da noch etwas ist, was hält. Die beiden Männer, javanisch gekleidet, führen einen Kampf zwischen Gut und Böse vor, weit entfernt von der Realität der Frauen, mythische Bilder, kraftvoll getanzt im traditionellen Stil. Alles wird zerrissen, zerstört durch Riesenhagelkörner, die vom Himmel fallen, laut aufschlagen. Männer mit Helmen erscheinen, es wird gekämpft - kein Mythos mehr. Ein wunderbar zartes und doch energisches Solo tanzt die Inderin Maya Krishna Rao mit ihrem Stück "Khol Do". Auseinandersetzungen in Indien, die 1947 zur Gründung Pakistans führten und bis heute andauern, geben den Rahmen ab für dieses Stück, das man Tanz nennen kann, Performance oder Theater. Es ist ein Sprechen mit dem Körper und - zu ihm. Ein Vater verliert in den Wirren seine Tochter auf einem Bahnhof. Nur ein blauer Schal bleibt zurück. Maya Krishna Rao, in einem weißen Hosengewand, verwandelt sich von einer Sekunde zur anderen von einer Frau in den Vater, man glaubt, einen alten Mann zu sehen, die Gestik, Mimik, jede Bewegung sagt es. Durch ihre Ausbildung in der Kathakali-Tanzkunst gelingt es ihr, mit kleinsten Nuancen Veränderungen herzustellen. Als Frau führt sie die Hände in eine Drehbewegung, wie eine Maschine, immer gleich, hält sie ins Publikum, wie um zu signalisieren: Nicht nur in Indien ist das so. Ihr Gesicht spiegelt alle Gefühlsregungen wider, sie gibt sie an die Arme weiter, die Füße nehmen sie auf, suchend. Was diese grauhaarige Tänzerin in großer Eindringlichkeit zeigte, hob sich wohltuend ab von postmodernen Stücken wie der Hamlet-Version der japanischen Gruppe "T factory" mit ihrem "Hamlet Clone 2003". In Anlehnung an Heiner Müllers "Hamletmaschine" lassen die Japaner alles in das Stück fließen, was heute provokativ sein könnte. Von der Endphase des Kapitalismus - der man ja zustimmen möchte - bis zu Sätzen wie: "Ich war Auschwitz", "Ich war Hiroshima", "Ich war das World Trade Center", alles versteigern sie: Wer bietet mehr? Mittendrin hatten sie es schon gesagt: "Die Aufführung ist gescheitert."
Erschienen in Ossietzky 19/2003 |
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