Impressum Plattform SoPos |
Schockschwerenot! Der von Ihnen benutzte Internetbrowser stellt Cascading Style Sheets nicht oder - wie Netscape 4 - falsch dar. Unsere Seiten werden somit weder in dem von uns beabsichtigten Layout dargestellt, noch werden Sie diese zufriedenstellend lesen oder navigieren können. Wir empfehlen Ihnen nicht nur für unsere Internet-Seiten, auf einen anderen Browser umzusteigen - z.B. Netscape 6/Mozilla, Opera, konqueror. Suppenküche der Volkssolidaritätvon Ulla Jelpke Der Wohnungsleerstand in Potsdam ist mit bloßen Augen erkennbar: tote Fenster an vielen Häusern in der Innenstadt. Die Zahl der Obdachlosen "ist nicht zu ermitteln", sagt der städtische Beauftragte für betreutes Wohnen, Hans Joachim Böttcher. Angeblich sind unter ihnen viele Pendler, und die Stadtverwaltung wagt deshalb keine Schätzungen. Die Suppenküche der Volkssolidarität für Obdachlose und Bedürftige liegt im Zentrum von Potsdam, aber ein wenig abgelegen. In der Lindenstraße, einer Straße ohne Geschäfte, findet man in der Nachbarschaft auch die AIDS-Hilfe und andere soziale Einrichtungen. Schon im Eingang riecht es nach frischem Gemüse und Gekochtem. Erstaunlich viele Junge, aber auch Ältere, meist Männer, sitzen in der Volksküche, die heute mit fast 20 Leuten gut gefüllt ist, um 11 Uhr vormittags. Es gibt Kartoffelsalat mit Buletten. Das Herz der Volksküche sind Renate Pahl (61) und Margret Hardan (57). Sie wurden vom Arbeitsamt hierher auf eine SAM-Stelle vermittelt. SAM bedeutet: Strukturanpassungsmaßnahme. Und was bedeutet Strukturanpassungsmaßnahme? "Ängstlich war ich nur am Anfang", läßt Margret Hardan durchblicken. "Man lernt die Obdachlosen zu akzeptieren, so wie sie sind." Heute ist sie froh, daß ihre Stelle verlängert worden ist, denn: "Hier werde ich wirklich gebraucht." Renate Pahl arbeitet lieber im Hinterland, in der Küche. "Angst darf man nicht zeigen", meint sie. An Vierer-Tischen sitzen die Gäste: Menschen, die auf der Straße leben. Und sogenannte "verdeckte Obdachlose", die irgendwo eine Bleibe haben. Und andere Bedürftige, meist Sozialhilfeempfänger. Auch Menschen aus dem Nachbarhaus wie die Rentnerin, die alle "Omi" nennen. Omi kommt jeden Tag, sie fühlt sich wohl hier, "zu Hause bin ich doch nur allein". Werner lebt auf der Straße, er ist einer der Älteren. Früher war er mal Gärtner auf Schloß Sanssouci und verdiente 1800 Ost-Mark. Seine Arbeit verlor er, weil sie ihn mit Alkohol am Steuer erwischt hatten. Da war der "Lappen weg", seufzt er. Heute geht Werner zweimal die Woche zum Sozialamt und holt sich neun Euro Stütze. Seit zwölf Jahren ist er obdachlos. Seinen Freund neben sich nennt er "Fisch", weil der aus Rostock kommt. Fisch war früher Bauarbeiter für Wärmedämmung. Bis wann? Er rechnet nach: 1992 hat seine Freundin die Beziehung beendet, er war "unglücklich verliebt" und ist auf die Straße gegangen. Als er zurück wollte, paßte sein Schlüssel nicht mehr für die gemeinsame Wohnung. Werner und Fisch sagen nicht, wie alt sie sind; "ist nicht wichtig", winken sie ab. Ihre zerfurchten Gesichter und rot unterlaufenen Augen lachen spitzbübisch, wenn sie über ihre "Pennplätze" reden. Der Ort wird auch unter den Obdachlosen geheim gehalten, nur daß es eine "Platte mit Badewanne" ist, wird stolz verraten. Und "wenn Fremde kommen, gibt es was auf die Fresse," sagt Werner. Mit den staatlichen Ordnungshütern hätten sie keine Probleme. "Die wissen gar nicht, wo der Eingang ist", freuen sich gleich mehrere am Tisch. In die Obdachlosenschlafstelle am Lerchensteg wollen sie auf keinen Fall. Keiner von ihnen. Als Werner erzählt, daß er schon mehrmals beklaut worden ist, nicken die anderen am Tisch. Und gleich berichten alle durcheinander über ihre Schmutz- und Gewalt-Erfahrungen. "Streit gibt es immer um Schnaps und Geld", ruft ein junger Obdachloser vom Nachbartisch. Wolfgang setzt zum Sprechen an, aber Werner hindert ihn daran: "Der darf nicht mitreden, der lebt nicht richtig auf der Straße." Er hat ein gemietetes Zimmer. Fisch berichtet, daß "die vom Amt" auch ihm mehrmals eine Wohnung angeboten haben, aber ein solches Leben könne er sich nach elf Jahren nicht mehr vorstellen. Soziale gesellschaftliche Hierarchien und Sozialneid sind auch in der Volksküche spürbar. Plötzlich rastet der sonst von Omi als friedlich bezeichnete Werner aus: Die am Tisch gegenüber Sitzenden "haben hier nichts zu suchen". Werner springt auf einen jungen Obdachlosen zu und droht ihm Schläge an. Thoralf, der Angegriffene, blickt ängstlich, aber verteidigt sein Recht: "Ich bin Bedürftiger." Der Leiter der Einrichtung, Friedhelm Lothar, ein stämmiger Mann, geht dazwischen, Margret Hardan schüttelt den Kopf, aber es gelingt, Werner zu beruhigen. Diesmal "eskaliert der Streit nicht, aber manchmal hilft nur noch die Polizei", sagt der Leiter. Omi scheint schon häufiger Zeugin derartiger Auseinandersetzungen gewesen zu sein. "Es ging Werner nur um seine Ehre", meint sie verteidigend. Thoralf ist 37 Jahre alt. Wenn er lacht, sieht man nur kaputte Zähne. In der DDR war er auf der Sonderschule und später in der Nervenklinik. Mit der Mutter klappte es gar nicht, sagt er. Bis zur Wende hatte er wenigstens noch Arbeit in einem Genußmittelbetrieb, danach "ging es bergab". Immer wieder mußte er zur Mutter zurück, bis die Streitereien ihn auf die Straße brachten. Ein halbes Jahr schlief Thoralf am Lerchensteg, "das war eine schreckliche Zeit", erzählt er. Jetzt lebt er mit weiteren elf Obdachlosen seit über einem Jahr in einem besetzten Haus. Bislang hatten sie noch keinen Ärger mit der Ordnungsmacht. "Wir versuchen alle zu arbeiten, eine von uns ist Taxifahrerin, und ich arbeite auf dem Bau." Thoralf will weg von der Straße. "Deshalb trinke ich auch keinen Tropfen mehr." Hilfe von den Behörden kennt er nicht. "Die stellen nur blöde Fragen, und damit will ich nichts zu tun haben." Neben Thoralf sitzt der Totalverweigerer Jan (25). Sieben Jahre war er abgetaucht. Jetzt hat er sich freiwillig zum Zivildienst gemeldet und bekommt am Tag sieben Euro. Sein "Lieblingsland Norrland" hat er sich über das ganze Bein tätowieren lassen, und kunstvoll ist er an Nase, Ohren und Kinn gepierct. Die Wohnungen, die leer stehen, könnte man den Leuten geben, die keine haben, findet er. "Aber hier biste ja nur was wert, wenn du Steuern zahlst." Um die 30 Menschen werden täglich in der Suppenküche verköstigt, "davon die Hälfte Jugendliche", sagt Margret Hardan besorgt. Die beiden Frauen arbeiten hier jeden Tag von morgens um 7 bis nachmittags um 15 Uhr. Brot und Kuchen kommen von den umliegenden Bäckereien. Auch übrig gebliebene Speisen von Partys und Hochzeiten werden gebracht. Frau Pahl schmunzelt: "Die bringen ihr schlechtes Gewissen her." Mit Spenden und mit Zuschüssen der Stadtverwaltung kann die Volkssolidarität die Miete und andere Kosten bezahlen. Die Obdachlosen und Bedürftigen zahlen 1 bis 1,50 Euro pro Mahlzeit; wer gar nichts hat, wird nicht weggeschickt. Duschen und Wäsche waschen kann man fast umsonst. Die Kleiderkammer ist sorgfältig gefüllt mit Winter- wie Sommerkleidung. An einigen Tagen in der Woche ist auch eine Sozialpädagogin für die Beratung da. "Verdeckte Armut gab es in der DDR auch", sagt Renate Pahl, aber "so schlimm, vor allem für die Jugend, kam es erst nach der Wende." Die beiden Frauen sind unzufrieden: Es müßte etwas geschehen gegen dieses Elend, aber es geschieht zu wenig, die Arbeitsplätze werden immer rarer, und den Armen nimmt der Staat immer mehr weg. "Da nutzt es uns auch wenig, wenn einmal im Jahr, an Weihnachten, der Bürgermeister zu Besuch kommt", frotzelt Margret Hardan.
Erschienen in Ossietzky 19/2003 |
This page is hosted by SoPos.org website
<http://www.sopos.org> Contents copyright © 2000-2004; all rights reserved. Impressum: Ossietzky Maintained by webmaster@sopos.org |