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Laienspieler, Neulehrer, Mitglied in der LDP - das war der Lebensraum des jungen Wekwerth. Bald darauf entwickelte er sich zum Kommunisten und Laienspielleiter. Nach Tschechow und Gorki inszenierte er Brecht: "Die Gewehre der Frau Carrar". Das Publikum sollte zur Premiere mit der Verheißung gelockt werden: "in Anwesenheit des Autors". Wie das anstellen? Die Truppe avisierte ihr Vorhaben postalisch beim "Berliner Ensemble", Brecht kam nicht, aber die Weigel schickte zwei Busse und lud die jungen Leute zum Vorspielen ein. Im Zuschauerraum der Probebühne hatte sich eine illustre Gesellschaft versammelt: Ernst Busch, die Giehse, Langhoff, Hanns Eisler, Paul Dessau, Wolfgang Harich, Paul Rilla, auch Volksbildungsminister Paul Wandel. Ergebnis: Wekwerth wurde von Brecht "zum Lernen" ins Ensemble aufgenommen. Von B.B. ermuntert, wagte er erste Meinungsäußerungen, erste Aufträge folgten. Der Umgang mit klugen, kritischen politischen Köpfen und hochklassigen Künstlern, der Blick über die Grenzen der DDR hinaus, ermöglicht durch Gastspiele, die Querelen persönlicher Art im Ensemble, all das zwang und half Wekwerth, sich selbst zu positionieren. Den Skandal um die Oper "Lukullus", für den heute üblicherweise die "Diktatur des Proletariats" verantwortlich gemacht wird, interpretiert er als die gewaltsame Zurücknahme der Revolution, die vermeintliche "Proletarisierung" als Verbürgerlichung. Kritisch und produktiv geht er mit seinen Erfahrungen um. "Verletzbarkeit" ist ein häufig wiederkehrendes Wort in seinen Tagebuchnotizen. Seine Fähigkeit, sensibel zu reagieren, ohne zu zerbrechen, ist charakteristisch für den jungen Künstler. Die Diskussionen um Harich, um die Notwendigkeit von Kritik, die Veränderbarkeit der Welt, den Formalismus oder um den 17. Juni formten ihn, machten ihn zu einem unverzichtbaren Mitarbeiter für Brecht. Wer sollte nach Brechts Tod 1956 das traditionsreiche Haus leiten? Die Weigel entschied sich für Besson, Palitzsch und Wekwerth. Ihre Entscheidungen, nicht immer nachvollziehbar, waren Gesetz. Mann und Magen rebellierten, er brauchte Natron. Was Stefan Lisewski inspirierte, Wekwerth "Natron der Weise" zu nennen. Und so trennten sich nach 20 Jahren - trotz der überregionalen Erfolge des "Arturo Ui", der "Mutter Courage", der "Tage der Commune", des "Coriolan" - die Wege Weigel-Wekwerth. Er kündigte. Vorträge in Schweden schlossen sich an, er inszenierte am Deutschen Theater, promovierte summa cum laude an der Humboldt-Universität zum Doktor der Philosophie, inszenierte am National Theatre London, beim Deutschen Fernsehfunk, mehrere Spielzeiten am Schauspielhaus Zürich und am Burgtheater Wien. Sein Ruhm als prägender Regisseur des europäischen Theaters im 20. Jahrhundert mehrte sich, während im Berliner Ensemble nach dem Tod der Weigel (1971) unter der Intendantin Ruth Berghaus die Besucherzahlen auf 20 Prozent sanken. Konrad Wolf, der Akademiepräsident, überzeugte Wekwerth mit zwei Flaschen grusinischem Kognak, die Intendanz des BE zu übernehmen. Nüchtern geworden, nannte der sich einen Esel und trat das Amt an. Arbeiten: "Großer Frieden" von Braun, "Galileo Galilei" von Brecht, Gorkis "Jegor Bulytschow". Nach Konrad Wolfs Tod wurde Wekwerth Akademiepräsident (1982-1992). Christoph Schroth, Erich Engel, Dario Fo, Horst Sagert entlasteten ihn im Theater am Schiffbauerdamm. In einer Zeit, da die politischen und wirtschaftlichen Probleme der DDR sich zuspitzten, das Volk in Massen das Land verließ respektive seinen Ausreisewillen bekundete, formulierte er seine Besorgnis zur gegenwärtigen Lage (November 1988). Von "eklatanter Entmündigung der Leute" schrieb er in einem Brief an Stephan Hermlin und davon, daß Brechts "List der Vernunft" nicht mehr ausreiche, jetzt sei die "Diktatur der Vernunft" angesagt. Als 1989 die DDR ihr 40jähriges Bestehen feierte, eröffnete das BE seine 40. Spielzeit mit Heiner Müllers "Germania. Tod in Berlin." Hitzige Diskussionen im Ensemble. Gemeinsam mit dem Deutschen Theater bereitete das BE die Novemberdemonstration vor. Nachdem die Mauer gefallen war, kamen neue Herren. Der Kultursenator des Landes Berlin, Ulrich Roloff-Momin, entschied, daß Professor Dr. Manfred Wekwerth als Mitglied des Zentralkomitees der SED mitverantwortlich gewesen sei für die Unterdrückung der künstlerischen Freiheit in der DDR und somit nicht mehr kulturpolitisch wirken dürfe. Er inszeniert weiterhin - nicht in Berlin. Die Londoner Universität, an der er regelmäßig Vorlesungen hält, verlieh ihm im vergangenen Jahr die Honorary Felloship für "Verdienste um das Europäische Theater". Ohne Häme, mit Freundlichkeit und Genauigkeit besichtigt hier ein Kundiger sein Zeitalter, markiert gelassen und selbstbewußt seinen Platz. Klappt man Wekwerths Erinnerungen zu, ist man klüger als zuvor. Und Lesen wurde wieder einmal zum Vergnügen. Manfred Wekwerth: "Erinnern ist Leben - Eine dramatische Autobiographie", Faber & Faber, 461 Seiten, 20,40 €
Erschienen in Ossietzky 18/2003 |
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