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Dazu ist aber eine Einleitung vonnöten: Ich bin Jahrgang 1920, in der HitlerJugend aufgewachsen ("flink wie Windhunde, zäh wie Leder, hart wie Kruppstahl") und begann 1938 nach dem Reichsarbeitsdienst mein Medizinstudium in Greifswald. Nach dem Überfall auf Polen wurden die Universitäten Greifswald und Breslau geschlossen, ich studierte weiter in Berlin. Zehn Tage nach der ärztlichen Vorprüfung (Physikum) wurde ich zur Infanterie eingezogen, wo ich Nachrichten-Funker werden sollte. Es ging ins Saargebiet, durch die Maginot-Linie und über den Rhein-Marne-Kanal - mit hohen Verlusten. Nach der Besetzung Frankreichs retournierten wir über den Truppenübungsplatz Groß-Born in unsere Garnisonstadt Danzig und zogen von dort durch das "Generalgouvernement" (Polen), das "Reichsprotektorat" (Tschechoslowakei) und die "Ostmark" (Österreich) als "Deutsche Lehrtruppe" nach Rumänien, von wo aus wir am 1.3.1941 Bulgarien besetzten, um das rumänische Erdöl "vor einer britischen Invasion aus Saloniki zu schützen". Dann wurde Jugoslawien überrannt, und ich bekam als Medizinstudent meine Versetzung zur Sanitätstruppe nach Stettin. Hier wurden wir, fünf Studenten, im "Institut am Deutschen Berg" eingesetzt, um Erreger bösartiger Infektionskrankheiten auf verschiedenen Nährböden gegeneinander zu überimpfen. Die Ergebnisse blieben uns verborgen, weil wir sechs Wochen später schon als Sanitäter zu einer ostpreußischen Infanteriedivision zu Fuß abgestellt wurden und von Tilsit aus im Verlauf eines Vierteljahres über Litauen, Lettland und Estland bis an den Kessel von Leningrad vorrückten. Von dort wurden alle Medizinstudenten abkommandiert und zum Weiterstudium in sogenannten Studentenkompanien zusammengefaßt. Ich erhielt einen Studienplatz in Prag. In den großen Semesterferien 1942 kamen wir zum "Fronteinsatz" in ein Feldlazarett im großen Donbogen zwischen Kursk und Woronesch, 1943 auf dem Rückzug mit Kriegslazarett von Smolensk über Orscha und Mogilew bis an die Beresina, und 1944 machte ich als Feldwebel von Juli bis Dezember mein Staatsexamen. Im Januar 1945 folgten die Approbation als Arzt, die Promotion zum Dr. med. und die Abstellung in ein Kriegslazarett nach Mähren. Ungarn war schon großenteils von der Roten Armee besetzt, Breslau war eingeschlossen. Ich wurde Truppenarzt bei einem Infanteriebataillion, wurde verwundet, kam nach Prag zurück und geriet dort in Gefangenschaft. Jetzt beginnt das, wonach Eckart Spoo gefragt hatte. Der Transportzug ging über Theresienstadt und das zerstörte Dresden in die Niederlausitz, wo wir zwischen Cottbus und Guben noch einmal ein riesiges Lazarett aufmachten und viele verwundete Kameraden nach Hause schicken konnten, weil sie für Arbeiten im Kriegsgefangenenlager nicht mehr einsatzfähig waren. Da unser Abtransport über das Zentrallager Breslau in die Sowjetunion bevorstand, gab ich einem Kameraden, der in meine Heimat entlassen wurde, mein silbernes Zigarrettenetui mit einem Foto von mir mit. Er sollte es meiner Mutter mit einem Gruß übergeben, traf niemand an und warf es einfach in den Briefkasten. So nahm die Familie zwei Jahre lang an, daß ich tot sei - bis sie meine erste Postkarte erhielt. Auf dem Transport in die SU waren je 90 Mann in einem großen Güterwaggon untergebracht, links und rechts der Mitteltür je 45. In halber Höhe war eine Decke eingezogen, auf der 20 Mann "wohnten". Immer zehn Mann lagen sich gegenüber, die Füße unter den Achselhöhlen der anderen. Unten lagen 25 Mann, weil sie sich weiter zur Mitte ausbreiten konnten. Als Abtritt war an der Schiebetür eine hölzerne Rinne nach außen mit Sitzbalken angebracht; jeder durfte einmal täglich über die andern klettern, um dahin zu kommen. Wer Durchfall hatte, mußte unten in der Mitte liegen. Einfacher war die Urinbeseitigung. Eine leere Konservendose wurde durch die Reihen gereicht und oben aus der vergitterten Luke ins Freie gegossen. Zweimal am Tag öffnete die Wachmannschaft die Schiebetür, und es kam eine Milchkanne mit Tee herein, eine Kanne mit dünner Graupensuppe und ein Sack voll getrocknetes Kommißbrot, das sorgfältig in 90 Portionen ausgewogen wurde. Immerhin war zu erkennen, daß es für uns regelmäßig etwas gab, während die Zivilbevölkerung, die wir unterwegs im kriegszerstörten Land durch die Luke an den Bahnstationen stehen sahen, häufig gar nichts zu essen hatte. Auf der gesamten Fahrt 28 Tage lang von Breslau bis in den Kaukasus konnten wir ein einziges Mal für eine halbe Stunde den Zug verlassen, in Brest, wo die Waggons von der europäischen auf die breite russische Spur umgesetzt wurden. Unterwegs vertrieben wir uns die Zeit mit Schachspiel, Kartenspiel und Zeichnen. In Rostow am Don mußte ein Kollege mit schwerer Ruhr ausgeladen werden. Wir hatten unterwegs mehrere Krankheitsabgänge, jedoch keinen Todesfall. Als wir in Otschemtschiri in Abchasien, das damals noch zu Grusinien (Georgien) gehörte, ausgeladen wurden, konnten wir auf schwankenden Beinen kaum noch unsere Rucksäcke tragen. Es ging auf "Automaschinen" - Ford russischer Bauart und Studebaker (Kriegslieferungen der USA) - immer bergauf, bis in 700 Meter Höhe über dem Schwarzen Meer die Lager Kwesani und Akarmara auftauchten, im Kohlegebiet Tkwartschelugol gelegen, jedes mit 1000 Mann belegt. Die Baracken mit zweistöckigen hölzernen Betten faßten je 100 Mann. Es gab eine russische Kommandantur und eine deutsche Lagerführung. Da nicht alle 22 Ärzte in ihrem Beruf eingesetzt werden konnten, mußten wir jüngeren mit in die Arbeitsbrigaden. Ich arbeitete im Schacht, im Steinbruch, im Hoch- und Tiefbau und lernte vieles. Mein Bettnachbar Albert, ein Bollwerksbruder auf dem Danziger Hafen, zeigte mir, wie man die Körperkräfte rationell einsetzt und wie man Verschleiß möglichst vermeidet. Ohne ihn hätte ich die ungewohnte schwere körperliche Arbeit nicht durchgestanden. Unser Kommandant, Major Kotelnikow, ein Jude, bemühte sich um Anstand und Gerechtigkeit - nach allem, was die Deutschen den Juden angetan hatten. Er nahm sogar Lagerinsassen in Schutz, wenn sie von der deutschen Lagerführung drangsaliert wurden. Ich weiß, in anderen Lagern herrschten andere, schlimme Bedingungen. Ich bin froh, daß ich nicht nach Workuta gekommen bin. Nach zweieinhalb Jahren unter mongolischen Posten kam die große Gesundheitskommission aus Tiflis, die mich und 115 andere Gefangene wegen Dystrophie, Ödemen, Furunkeln und Ekzemen in ein Erholungslager schickte - eine Sowchose, in der Mandarinen, Apfelsinen, Zitronen und Pampelmusen angebaut wurden. Es gab auch Feigenbäume und Bambus. Die Sowchose lag direkt am Schwarzen Meer. Wir hatten einen Dolmetscher, einen Tischler aus Siebenbürgen, der Rumänisch, Deutsch, Ungarisch und Russisch sprach. Er brachte mir die kyrillische Schrift bei, ich mußte die Listen führen über Bekleidung und Lebensmittel. Bald konnte ich Russisch lesen und schreiben. Das Lager hatte keinen Stacheldraht, nur einen Bambuszaun, und wir konnten im Meer baden. Einziger Posten unter Gewehr war Sergeant Aaron Feinsilber, ein ukrainischer Jude - eine Seele von Mensch. Manchesmal überkam es ihn, obwohl streng verboten, ein paar Worte Deutsch mit Gefangenen zu sprechen. Ich durfte außerhalb des Lagers behandeln, die Landwirte, den Oberingenieur, ihre Familien. Mein Chef, der Lagerarzt des Hauptlagers Müsseri, Viktor Iwanowitsch Fedorow, war ein menschlich denkender Kollege, der mir viel Freiheit ließ. Der einzige Rat, den er mir erteilte, war: Nicht wie bei Euch, erst behandeln, dann das Geld - sondern erst das Geld, dann die Behandlung, sonst bekommst Du nichts. Der Ingenieur Arsamosow, von Geburt Armenier, hieß eigentlich Arsamesjan. Viele Bürger aus nichtrussischen Sowjetrepubliken hatten, um voranzukommen, ihre Namen russifiziert. Seine Frau, eine schöne Jüdin aus Leningrad, war meine Patientin. Sie lieh mir Bücher aus und ließ mich oft kommen, nur um sich mit mir zu unterhalten, weil ihr in der abchasischen Abgeschiedenheit (vielleicht war es Verbannung) das kulturelle Leben von Leningrad fehlte. So konnte ich als 29jähriger Arzt trotz aller Einschränkungen in der Kriegsgefangenschaft seelisch Luft schöpfen und etwas warme Menschlichkeit genießen. Auch an der Beerdigung des kleinen Kindes von Aaron Feinsilber durfte ich teilnehmen. Ich hatte Frau und Kind behandelt. Die kleine Ljuba war erst zwei Jahre alt, in elendem Allgemeinzustand und ohne alle Abwehrkräfte. Sie hatte Fieber, Schüttelfrost, faltige Haut - vielleicht war es Malaria. Sie kam ins Krankenhaus, aber auch dort konnte man ihr nicht helfen. Zur Beerdigung wurde ich ausdrücklich mit der Begründung eingeladen, ich hätte alles getan, was unter den gegebenen Umständen möglich war. Sie waren herzlich und familiär zu mir. Als im Jahre 1948 die großen Heimtransporte liefen, kam ich vom Stadtlager Suchumi zurück in mein Stammlager Kwesan. Wir hatten nichts mehr zu tun, unterhielten uns, spielten Schach, klönten auch mal mit den sowjetischen Brigadieren, die uns in die Stolowaja (Volksküche) einluden: sto gram wipiht (100 Gramm Wodka trinken). Doktor, warum willst Du nach Hause, sagten sie. Du sprichst unsere Sprache, bleib doch hier. Du kannst hier viel Gutes tun, so viele Leute behandeln. Man gibt Dir was, Du könntest nicht schlecht leben. Sie hätten es gern gesehen, wenn ich ja gesagt hätte. Aber ich konnte nur sagen, jeder Mensch möchte in seine Heimat. Im November 1949 kehrte ich zurück. Es dauerte zehn Jahre, bis ich mich in der kapitalistischen Welt zurechtgefunden hatte - soweit das möglich ist.
Erschienen in Ossietzky 3/2003 |
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