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Da W.S. couragiert, ideenreich und lebensklug ist, machte sie eine Wohnung zur Szenerie für ihre Ambitionen, verbündete sich mit einem Regisseur (Christian Frosch), lud einen Musiker (Matthias Bauer) hinzu und die "Texte um Nichts" von Samuel Beckett. Zusammen ergab das ein kleines, feines Theater-ereignis, das dem Kenner das Herz wärmte, die Sinne weitete und wieder Lust auf Theater machte. Ein großer Raum. In der Mitte, zum Podest erhöht, ein Schienenteil, das mit Sand und Kies aufgefüllt einen Pfad assoziiert. Den Weg ins Nichts. Walfriede Schmidt hat sich Becketts Text zum Thema Sein oder Nichtsein zu eigen gemacht. Der Musiker begleitet stilsicher und sehr spartanisch ihre intensive Arbeit, ein Spot, geführt vom Regisseur, erhellt uns und die spannungsgeladene Szene. Der Schauspielerin gelingt es, mit diesem schweren Text die ganze Palette ihrer Kunst vorzuführen. Sie steht auf dem Steg: grauer, schlecht sitzender Anzug, schwarzer Knautschhut, brauner Pappkoffer, das Gesicht dezent clownesk geschminkt, und nimmt die Zuschauer (knapp 100 an der Zahl) vom ersten Atemzug mit auf ihre Gedankenreise. Komplizierte Gedankengänge führt sie uns lebhaft, leichtfüßig vor - wohin sie auch geht, wir gehen mit. Lachend, weinend, verzweifelt, grübelnd und immer wieder hoffend. Das hochgestemmte Podium (zwei Meter mal 70 Zentimeter) aus Eisen und Sand, diese winzigste aller mir bekannten Spielflächen, zwingt die Darstellerin zu gestischem Minimalismus. Der wiederum braucht den allergrößten Reichtum an Mitteln, den handlungsarmen Text erfahrbar, genußfähig zu machen. Die kleine Person Walfriede Schmidt präsentiert sich im Großformat. Das Anliegen: ihrer Arbeit erweiterten Sinn zu geben, ihrem Publikum die Sinne zu schärfen für das Leben mit Katastrophen, Elend, Not und Verzweiflung, Vereinsamung, Verrohung, dem unausweichlichen Ende unserer Existenzen. An diesem Abend wird die Frage nach dem "Wie" gestellt, nachhaltig, sehr professionell. Wie leben? Ein schönes Beispiel dafür, was sich auf dem Theater ereignen kann. Die Welt im Tautropfen. Der Blick auf die Welt durch die Augen von Beckett und Schmidt. Ihn lebendig zu halten auf der Bühne, erfordert Können, Liebe, Fleiß und Echtsein. Das alles gab es diesen Abend in einem Zimmer in der Meyerbeerstraße, Berlin. * Ein anderer Abend, dasselbe Thema. "Quiz 3000: Du bist die Katastrophe" nennt Christoph Schlingensief seine Show in der Volksbühne, Rosa-Luxemburg-Platz. Alles ist wie bei Jauch ("Wer wird Millionär?") plus querbeet durch ähnliche Spielformen: das Licht, das Podest, Glitzer, Reklame, Prominente, Fragen, Kandidaten, Assistentinnen, akustische Effekte, das Publikum. Letztgenanntes wird zuvor gedrillt. Gut gelaunt probiert ein wenig charmanter Mensch Kreischen, Stille, Lachen und Applaus. Die Prominenten sammeln Geld. Für prominente Zwecke. Rolf Eden spendet einen Rolls Royce (Spielzeugausgabe!). Schlingensief kommt. Publikum rast in vereinbarter Ekstase. Szenisch sieht die Bühne aus wie bei einer Transvestitenshow. Erste Frage: Ordnen Sie folgende Konzentrationslager von Nord nach Süd. Auschwitz, Bergen-Belsen, Dachau, Ravensbrück. Unruhe im Saal. Schlingensief spricht jetzt mit gedämpfter Stimme, spannungsgeladen wie ein Trommelwirbel, dann ruft er befreit: Richtig! Zweite Frage: Wie viele Deutsche sind für die Ausstrahlung von Pornofilmen in öffentlich-rechtlichen Anstalten? Dritte Frage: Welche Maße hatten die Stehzellen im KZ Auschwitz, in denen Internierte zu viert Tage und Nächte verbringen mußten? Zwischendrein interviewt Schlingensief die Kandidaten, eine liebens-würdige alte Dame darf auf der Bühne sagen, daß sie für "Ficken & Frieden" plädiert, Schlingensiefs Tochter Laura singt lange und sehr falsch "Am Tag, als Conny Kramer starb", danach stellt er einen Kandidaten bloß, d.h. er versucht es, aber das Publikum reagiert blitzschnell und zischt die Attacke nieder. Es gibt auch lustige Fragen, z.B. nach den Bauchumfängen von Bundeskanzlern am Ende ihrer Amtszeit oder: "Wozu führt die induratio penis prostata?" Mögliche Antworten sind: Penisverfärbung, -verholzung, -verkrümmung oder -versteifung. Irgendwann, nach fast zwei Stunden, singt Schlingensief: "Das Spiel ist aus, die Zeit vorbei." Dafür bin ich dankbar und gehe. Überraschung! Die Show geht weiter. Ich auch. Fazit: Ziel erkannt - nicht getroffen. Der Spagat zwischen Horror und Terror gelingt nicht. Zynismus wird nicht zur Provokation, sondern bleibt rohe Verachtung. Weil die gute Idee nicht gut genug gearbeit, nicht intelligent umgesetzt ist. Mehr ist dazu nicht zu sagen. * "Unerwartete Rückkehr", eine Uraufführung, Autor Botho Strauss, der das Stück dem Regisseur Luc Bondy gewidmet hat. Ort: Berliner Ensemble. Seit Peymann/Beil in das Haus am Helene-Weigel-Platz eingezogen sind, blüht die Kultur des Programmheftes. Die Programmhefte zu loben, war mir seit einiger Zeit Bedürfnis. Heute ist der Tag. Die Begleitbücher zur jeweiligen In szenierung bereichern mich, ergänzen die Aufführungen. Intelligente Kompendien zu der Sache, die da jeden Abend verhandelt wird: Theater. In ihnen finde ich das Stück, Kontexte zur Aufführung und kann damit meine Kopftexte ergänzen. Morgens im Bett, bevorzugte Lesezeit, erlebe ich noch einmal, mit Erweiterung, was ich am Abend zuvor gesehen habe. Diesmal war das anders, schmerzlich anders. Das Programmheft, sonst Zugewinn, mußte mir zum Rettungsanker für Verständnis werden. Zum Theater gehören Leidenschaft, Sinnlichkeit. Werden mir diese Zutaten lediglich als ästhetische Kategorie vorgeführt, bleiben sie Attitüde, rutschen von da in Platitüde, Gleichgültigkeit, Langeweile. Tod eines jeden Theaterabends. So erging es mir mit dieser Aufführung. Weder Dagmar Manzel noch Nina Hoss, Peter Fitz, Robert Hunger-Bühler durften dem Abend eine Erregung geben, geschweige denn eine auslösen. Bondy hat das entschieden verhindert. Zugang zum Stück fand ich lesend. Es handelt vom Umgang mit unserem Leben zwischen "Totzeit (der Masse nicht verbrachten Lebens) und erfahrbar Gelebtem" (frei zitiert). Die Begegnung mit dem norwegischen Maler Odd Nerdrum und die suggestive Kraft des Textes der "Flugschrift 12", die uns vom indischen Theater, seiner Geschichte und Tradition erzählt, haben mehr Turbulenzen ausgelöst in mir als Bondys Inszenierung. Im Programmtext wird Gao Xingjian zitiert, er sagt: "Sind die Bilder verloren, dann auch der Raum. Ist der Klang verloren, dann auch die Sprache. Werden die Lippen lautlos bewegt, weiß man nicht, was gesagt wurde, nur im Kern des Bewußtseins bleibt noch ein Rest Begehren. Kann dieser Rest Begehren nicht mehr gehalten werden, kehrt man ins Schweigen ein." Ich stimme bei und nutze dazu einen anderen Dichter: Der Rest ist Schweigen.
Erschienen in Ossietzky 6/2002 |
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