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Zeitgleich mit dem Aufheulen der Sirenen in Belgrad und in anderen jugoslawischen Orten, mit dem Einschlag der ersten Raketen und den Todesschreien der ersten Opfer wandte sich der deutsche Kanzler Gerhard Schröder an jenem Abend über Funk und Fernsehen an das deutsche Volk und sprach den unvergleichlichen, unvergeßlichen Satz: "Wir führen keinen Krieg, aber wir sind aufgerufen, eine friedliche Lösung im Kosovo auch mit militärischen Mitteln durchzusetzen." Die im darauffolgenden 78tägigen "Nicht-Krieg" eingesetzten Waffen sind weitgehend bekannt (nur den Lesern der meisten deutschen Zeitungen nicht): 1259 Flugzeuge, 206 Hubschrauber, etwa 10 000 Marschflugkörper, 31 000 Geschosse mit abgereicherten Uran, über 150 Container mit 35 000 Streubomben, rund 200 000 Tonnen Sprengstoffe. Gleichermaßen bekannt sind die Folgen des "Nicht-Krieges": Tausende von Frauen, Männern und Kindern erschlagen oder verstümmelt, große Teile der Infrastruktur und der industriellen Basis, darunter 23 Raffinerien und Chemieanlagen sowie über 100 weitere Industriebetriebe, 19 Bahnhöfe, 13 Flughäfen und 60 Brücken zerstört, 480 Schulgebäude, Dutzende Krankenhäuser und Geburtskliniken, 365 Klöster, Kirchen, Kultur- und historische Gedenkstätten zertrümmert oder schwer beschädigt, die Umwelt in weiten Gebieten auf Jahrzehnte vergiftet. Die dem Land in zweieinhalb Monaten zugefügten materiellen Verluste übersteigen den Schaden, den Jugoslawien in den vier Jahren des Zweiten Weltkrieges erlitt, um ein Vielfaches. Bekannt sind auch die Verantwortlichen für diese "humanitäre Intervention" und ihre Folgen: die Oberhäupter und Regierungschefs, die Verteidigungs- und Außenminister der beteiligten NATO-Staaten, der Generalsekretär und die Heerführer des Paktes, denen auf zahlreichen informellen Tribunalen schwerste Verstöße gegen zwingendes internationales Recht und humanitäres Völkerrecht nachgewiesen wurden. Doch drei Jahre nach dem Krieg stehen nicht Clinton, Blair, Schröder, Scharping, Fischer, Solana, Clark und andere vor den Schranken des zumindest dem Namen nach für sie zuständigen "Internationalen Tribunals zur Verfolgung von Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien", sondern der Präsident des überfallenen Staates: Slobodan Milosevic, angeklagt inmitten des NATO-Angriffs-krieges am 27. Mai 1999, gestürzt mit Hilfe der NATO am 5. Oktober 2000, verhaftet unter dem Druck der NATO am 1. April 2001, ausgeliefert nach neuen Pressionen der USA und der NATO am 28. Juni 2001. Der Prozeß vor dem unter Verletzung der UNO-Charta von den Aggressorstaaten initiierten, finanziell und personell ausgestatteten Tribunal begann am 12. Februar dieses Jahres. "Der Beginn des Prozesses gegen Slobodan Milosevic war ein wichtiges Datum auf dem Weg in eine etwas bessere Welt. Zum ersten Mal seit den Nürnberger Prozessen 1945/46 steht wieder ein Staatsmann wegen Kriegsverbrechen vor einem internationalen Gericht. Es war ein langer Weg von Nürnberg nach Den Haag, politisch und juristisch, und es ist ein großer Schritt hin zu einem internationalen Strafrecht für Menschheitsverbrechen" - so äußerte sich kürzlich in einem Berliner Blatt ein Rechtsgelehrter, ein renommierter dazu. Ein neues Beispiel dafür, daß Irren menschlich ist, denn hier hat der sonst hochgeschätzte Professor Uwe Wesel gewaltig geirrt, und das mindestens zweimal. Gewiß kann man den Prozeß in Den Haag mit den Nürnberger Prozessen vergleichen, vergleichbar ist nahezu alles in der Welt, wenn man die Unterschiede nicht vergißt. Und zwischen Den Haag und Nürnberg gibt es deren nicht wenige. Der entscheidende liegt auf der Hand und wird doch am häufigsten verschwiegen: In Nürnberg saßen die Aggressoren auf der Anklagebank und die Vertreter der überfallenen Staaten auf den Plätzen der Ankläger und Richter. In Den Haag ist es umgekehrt. Und was den dort stattfindenden "Prozeß der Prozesse" als "großen Schritt" auf dem Weg "zu einem internationalen Strafrecht für Menschheitsverbrechen" anbelangt, so mag das ein verständlicher Wunsch des Rechtsgelehrten sein, vielleicht auch das Ergebnis langen Studiums, aber schon Lessing wußte: "Man kann studieren und sich tief in den Irrtum hineinstudieren." Im vorliegenden Fall scheint mir dieser in der Illusion zu bestehen, daß es unter den gegebenen internationalen Kräfteverhältnissen und der globalen Vormachtstellung der USA und anderer NATO-Staaten möglich sein könnte, unabhängig und unparteiisch über Menschheitsverbrechen zu richten. Der Haager Prozeß und die dort zu besichtigende Umkehr aller Rechts- und Moralbegriffe beweisen gerade das Gegenteil. Aus jedem Irrtum kann man sich, so man will, auch "herausstudieren"; der bisherige Verlauf des Prozesses gegen Milosevic bietet dazu ausreichend Studien- und Anschauungsmaterial. Bisher verläuft er keineswegs nach den Wünschen der Chefanklägerin, ihrer Auftraggeber und deren Belgrader Assistenten. Wäre der Gerichtshof tatsächlich ungebunden in seinen Entscheidungen, dann hätte er die in zweieinhalb Jahren ausgearbeitete und trotzdem stümperhaft gebliebene Anklageschrift gar nicht erst zur Verhandlung zulassen dürfen. Wäre der britische Richter Richard May wahrhaft unparteiisch, dann hätte er nach dem Anklageplädoyer seines Landsmannes Geoffrey Nice und der selbst seine politischen Gegner beeindruckenden Erwiderung des Angeklagten den Prozeß sogleich einstellen müssen. Hätte der ehrenwerte Richter nicht den starken Erwartungsdruck der Initiatoren des Tribunals verinnerlicht, dann hätte er zumindest der mittlerweile tausendfach unterstützten Forderung Milosevics stattgegeben, sich als freier Mann verteidigen zu können. Schon in einer Vorverhandlung hatte der Expräsident erklärt, dem Gericht und der ganzen Welt dürfte klar sein, daß er "aus dieser Schlacht, die gegen mein Land und gegen mein Volk geführt wird", nicht fliehen werde und nicht die Absicht habe zu fliehen. Doch nichts von all dem, was rechtens wäre, geschieht und wird auch nicht geschehen. Ob man den Angeklagten liebt oder haßt, glorifiziert oder herabsetzt, er ist, wie Alexander Sinowjew, Vorsitzender des Russischen Gesellschaftlichen Komitees zur Verteidigung von Slobodan Milosevic, erklärte, zu einem "Symbol des Widerstandes" geworden. Solange dieses erhalten bleibe, bleibe der Sieg über Jugoslawien unvollendet. Unter Hinweis auf die "außerordentliche Wichtigkeit und Wirkungen symbolischer Erscheinungen" im Zeitalter der Globalisierung fügte der weltbekannte, einst in der Sowjetunion jahrzehntelang als Dissident verfolgte Philosoph und Schriftsteller hinzu: "Ein Sieg über Slobodan Milosevic als eine symbolische Person für die USA und die NATO ist in der entstandenen Situation in der Welt sogar wichtiger als alles andere, was sie in der ganzen Periode des Krieges auf dem Balkan erreicht haben." So ist es nur allzu verständlich, daß die USA und die führenden NATO-Staaten auch nach dem aus ihrer Sicht mißlungenen Prozeßauftakt und dem Debakel ihrer Zeugen in den vom Angeklagten souverän geführten Kreuzverhören auf diesen "Sieg" nicht verzichten wollen. Nun sollen neue Zeugen herbeigeschafft werden, möglichst solche, die in Den Haag selbst angeklagt sind, darunter Radovan Karadjic, der Milosevic spätestens seit dem Vertrag von Dayton haßt, und Milan Milutinovic, der Noch-Präsident Serbiens, der seit dem Machtverlust der Sozialisten in Belgrad ängstlich in der Versenkung verschwunden und nur noch um seine eigene Haut besorgt scheint. Sie sollen, koste es, was es wolle, nach Den Haag und soweit gebracht werden, daß sie, true or not true, gegen Milosevic aussagen. In Jugoslawien selbst hat der Haager Prozeß zu unerwarteten Ergebnissen geführt. Die Life-Übertragungen aus dem Haager Gerichtssaal bewirkten, daß nach Meinungsumfragen 77 Prozent der jugoslawischen Bürger hinter Milosevic stehen und der Auffassung sind, daß er nicht nur sich selbst, sondern die ganze Nation verteidigt, die in Den Haag verunglimpft und erniedrigt worden sei. Selbst regierungstreue Blätter stellen fest, daß die Popularität Milosevics in Jugoslawien Höhen erklommen habe, die "an die glanzvollsten Perioden seiner Regierungszeit" erinnerten. Kein Wunder, daß der Lieblingsserbe der NATO, Ministerpräsident Zoran Djindjic, den Prozeß als "Zirkusiade" kritisierte und eine straffere Prozeßführung verlangte. Inzwischen hat das staatliche serbische Fernsehen seine Direktübertragungen aus dem Haager Gerichtssaal eingestellt. Der Schauprozeß bekommt, von Ausnahmen abgesehen, immer stärker Züge eines Geheimprozesses. Wer ihn realistisch betrachtet, der wird hinsichtlich seines Ausganges wenig Illusionen haben. Spannend wird er bleiben. Von Ralph Hartmann erscheint nach "Ehrliche Makler" und "Glorreiche Sieger" in diesen Tagen "Der Fall Milosevic. Ein Lesebuch" (Karl Dietz Verlag Berlin, 250 Seiten, 12.80 Euro) mit zahlreichen Dokumenten, darunter Erklärungen des Angeklagten - für Menschen, die beide Seiten hören wollen, um sich ein eigenes Urteil zu bilden. Der Autor spendet das Honorar für die Finanzierung der Schadenersatzklage der Opfer des NATO-Bombardements auf Varvarin (s. Ossietzky 6/2001).
Erschienen in Ossietzky 6/2002 |
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